Etwas voreilig war wohl unsere Vermutung, dass bei Ultrasonic der kurzzeitig verschwundene Unternehmensgründer und inzwischen abgesetzte Vorstandschef Qingyong Wu nicht mehr auf seinen Chefsessel Platz nehmen wird. Offenbar arbeitet er mit Hochdruck an einer Rückkehr beim chinesischen Schuhhersteller. In einem Interview der Nachrichtenagentur Bloomberg beklagt er, dass sein Lebenswerk zerstört wurde und dass er die Schuldigen für das Kommunikationsdebakel über sein Verschwinden und das fehlende Geld aufspüren und zur Verantwortung ziehen will. Das klingt nicht nach zerknirschter Reue und Einsicht, sondern nach Flucht nach vorn. Zwar ist er als Vorstandschef der deutschen AG vom Aufsichtsrat abgesetzt worden, doch Geschäftsführer der operativ tätigen chinesischen Firmen bleibt er. Darauf hat der Aufsichtsrat keinen Einfluss (siehe auch: “China-Aktien: Was läuft falsch?”).
Bisher wurde Wu auf dem Firmengelände noch nicht gesehen, doch sein Vorgehen lässt darauf schließen, dass seine Rückkehr kurz bevor steht. Es wird vermutet, dass der Wirbel um sein Verschwinden auch in einflussreichen Kreisen in China für Verstimmung gesorgt hat. Diese Gemüter muss er wohl erst besänftigen, bevor er sich in der Öffentlichkeit wieder sehen lassen kann, ohne Konsequenzen zu fürchten. Danach geht es darum, das operative Geschäft wieder zum Laufen zu bringen. Aus China hören wir, dass einige Lieferanten und Kunden die Geschäftsbeziehung unterbrochen haben. Wu wird großes Geschick oder den Einfluss mächtiger Freunde brauchen, um diese zurückzuholen. Auch die Mitarbeiter sind sauer. Inzwischen lassen sie sich nicht mehr alles widerspruchslos gefallen, sondern gehen und finden schnell woanders eine adäquate Anstellung. Und dann ist da noch der 60 Mio. Dollar Kredit von Nomura. Das Geldhaus wird sicherlich auf der sofortigen Rückzahlung bestehen. Wenn noch etwas von dem Geld übrig ist, das Wu „kurzfristig ausgeliehen“ hat, dann sollte das kein Problem darstellen. Denn zum 30. Juni 2014 waren – ohne Nomura-Kredit – mehr als 70 Mio. Euro in der Firmen-Kasse.
Der Knackpunkt ist die Beziehung Wus zur deutschen AG. Offiziell abgesetzt, dürfte er kein großes Interesse an der Zusammenarbeit haben. Sollte der Aufsichtsrat allerdings seine Entmachtung zurücknehmen, könnte es einen Neuanfang geben. Nach deutschen Gepflogenheiten wäre das zwar haarsträubend. Denn Missverständnis hin oder her, es kann nicht sein, dass ein Vorstand sich nach Lust und Laune an der Firmenkasse bedient. Da muss hierzulande immer der Aufsichtsrat zustimmen. Doch was nützt die deutsche Gründlichkeit, wenn das Vermögen der Aktionäre auf dem Spiel steht? Wir vermuten, dass der Aufsichtsrat beide Augen zudrücken – darin hat er ja Erfahrung – und nicht auf schnelle lückenlose Aufklärung bestehen wird. Denkbar ist ein Bauernopfer. Da bietet sich der freiwillig zurückgetretene Finanzvorstand Clifford Chan an. Nach deutschem Verständnis hat er zwar alles richtig gemacht, aber in China gehen die Uhren eben anders.
Bei all diesen unschönen Ereignissen wollen wir auch das positive sehen. Das beherzte Eingreifen von Chan hat dazu geführt, dass der verschwunden geglaubte Wu schlussendlich zurück ist. Das Geld kommt vielleicht auch. Damit ist wahrscheinlich ein möglicher Betrugsfall verhindert worden. Das könnte Nachahmungstäter abschrecken und das Vertrauen in die hier gelisteten Chinesen stärken. Hoffen wir, dass sich Fälle wie Kinghero, Youbisheng und Ultrasonic nicht wiederholen werden.
Bild: Karl-Heinz Geiger