Angenommen, Corona wäre jetzt nicht das alles dominierende Thema. Dann würde borsengefluester.de die aktuelle Einschätzung zur Geratherm-Aktie vermutlich damit beginnen, dass der Anbieter von Glasfieberthermometern sich für kleines Geld mit zehn Prozent bei dem Berliner Startup HALM Straws eingekauft hat ist und nun zusätzlich die Produktion von Glasstrohhalmen aufnimmt. Immerhin wird die Herstellung von Trinkhalmen aus Plastik ab dem kommenden Jahr in der EU verboten. Kurzfristig erwarteter Umsatzbeitrag für Geratherm: Rund 0,5 Mio. Euro. Gemessen an den 2019 erzielten Konzernerlösen von 19,85 Mio. Euro ist das freilich überschaubar, zeigt aber wie findig CEO und Großaktionär Gert Frank – nicht nur seinem Parallelinvestment Limes Schlosskliniken – unterwegs ist. Eigentlicher Auslöser für die endlich mal wieder gute Verfassung der Geratherm-Aktie ist jedoch die aktuelle Sonderkonjunktur für Produkte zur Lungenfunktionsmessung und Fieberthermometer – beides getrieben durch die Ausbreitung des Corona-Virus (siehe dazu auch den Beitrag von borsengefluester.de HIER).
„Das Stammgeschäft, läuft an der Kapazitätsgrenze“, heißt es offiziell. Und Vorstandschef Frank sagt: „Unsere gesamten Lagerbestände und die erhöhte Produktion an Fieberthermometern konnten abgesetzt werden. Die hohe Nachfrage trifft auf ein begrenztes Angebot. Wir sind mit den Standorten in Thüringen mit der Thermometerproduktion und mit der Produktion von Produkten zur Lungenfunktionsmessung in Bad Kissingen bis August 2020 ausgelastet.“ Entsprechend zuversichtlich fällt der Ausblick für das Gesamtjahr aus, wenngleich er Raum für Interpretationen lässt: So kalkuliert Geratherm mit einem „deutlichen Umsatzwachstum im zweistelligen Prozentbereich“ bei einer im Vergleich zu 2019 verdoppelten EBIT-Marge. Zunächst einmal: Im Vorjahr kam das südlich von Erfurt in Geschwenda angesiedelte Unternehmen auf ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) von 1,05 Mio. Euro – entsprechend einer EBIT-Marge von knapp 5,3 Prozent.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 21,03 | 21,52 | 19,85 | 27,47 | 23,94 | 25,85 | 20,96 | |
EBITDA1,2 | 1,77 | 2,80 | 2,35 | 4,35 | 2,31 | 3,55 | 4,27 | |
EBITDA-Marge3 | 8,42 | 13,01 | 11,84 | 15,84 | 9,65 | 13,73 | 20,37 | |
EBIT1,4 | 0,63 | 1,99 | 1,05 | 3,04 | 0,59 | 2,07 | 2,55 | |
EBIT-Marge5 | 3,00 | 9,25 | 5,29 | 11,07 | 2,46 | 8,01 | 12,17 | |
Jahresüberschuss1 | 0,22 | 0,83 | 0,29 | 1,90 | 0,33 | 1,08 | 1,67 | |
Netto-Marge6 | 1,05 | 3,86 | 1,46 | 6,92 | 1,38 | 4,18 | 7,97 | |
Cashflow1,7 | 2,47 | 1,35 | 1,54 | 3,92 | 0,92 | 2,79 | 1,47 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,14 | 0,23 | 0,11 | 0,41 | 0,02 | 0,19 | 0,21 | |
Dividende8 | 0,47 | 0,40 | 0,25 | 0,40 | 0,12 | 0,15 | 0,10 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Baker Tilly |
Eine historisch schwache Ausbeute, die die vielfältigen Probleme widerspiegelt, die Geratherm zuletzt hatte. Insbesondere im Bereich Medizinische Wärmesysteme, hier geht es um Produkte zur Aufrechterhaltung der Körpertemperatur im OP- oder Rettungsbereich – befindet sich die Gesellschaft noch immer in einem Rezertifizierungsprozess aufgrund der neuen EU-Verordnung. „Das Bürokratie-Monster aus Brüssel lähmt derzeit einen Großteil der Medizintechnikunternehmen in Europa. Die Zulassungsverfahren für neue Produkte sind deutlich aufwendiger, bei gleichzeitigen Ressourcendefiziten der Zulassungsstellen“, findet Frank markante Worte. Zudem kam es zu Erlösverschiebungen bei der Tochter LMT Medical Systems, die spezielle MRT-Geräte zur Untersuchung von Frühgeborenen herstellt. Hier sorgten Verzögerungen bei der Einführung einer neuen Produktgeneration für Umsatzausfälle von rund 1,40 Mio. Euro. Wichtige Botschaft für Anleger an dieser Stelle ist, dass ein Großteil der verschobenen LMT-Umsätze wohl im ersten Halbjahr 2020 nachgeholt wird.
Zurzeit mit Sicherheit am meisten Fantasie hat der Bereich Lungenfunktionstechnik (Respiratory), auch wenn er 2019 gerade einmal gut 21 Prozent zum Konzernumsatz beisteuerte und für ein Betriebsergebnis von 357.000 Euro stand. Hintergrund hier ist, dass die Lungenfunktion selbst von als geheilt geltenden Corona-Patienten offenbar geschädigt sein kann (HIER). Entsprechend groß ist die Nachfrage von Universitätskliniken und pneumologischer Praxen zur Diagnose solcher Spätfolgen. Ein interessantes und internationales Geschäft, zumal im laufenden Jahre noch mit Produktzulassungen für Russland, China und Australien zu rechnen ist. „Der Bereich Respiratory ist mit zweistelligen Umsatzzuwächsen gut in das erste Quartal 2020 gestartet“, betont Frank im jetzt vorgelegten Geschäftsbericht 2019. Nun: Zieht man sämtliche Faktoren zusammen, könnte Geratherm im laufenden Jahr auf ein Umsatzplus mehr als 20 Prozent auf rund 24,5 Mio. Euro kommen. Bei der avisierten Verdopplung der EBIT-Marge würde das einem Betriebsergebnis von etwa 2,5 Mio. Euro entsprechen. Eine Größenordnung, die Geratherm in den Jahren 2015 und 2016 erzielte – und damals notierte der Spezialwert noch um ein gutes Stück höher.
Mehr Sichtbarkeit bringen bereits die für den 20. Mai 2020 angesetzten Zahlen für das Auftaktquartal. Angesichst des Börsenwerts von annähernd 54 Mio. Euro ist der Titel allerdings eher was für erfahrene Anleger. Die Dividenrendite, sonst ein wichtiges Investmentkriterium bei Geratherm, beträgt nach der jüngsten Kürzung auf 0,25 Euro je Aktie nur rund 2,3 Prozent. Umso besser, dass sich Geratherm-Aktionäre momentan nicht nur an einen Strohhalm – beziehungsweise in diesem Fall Glashalm – klammern müssen.
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