Der Konzentrationsprozess im Agrarsektor ist in vollem Gang. Chemchina will Syngenta und Bayer Monsanto übernehmen. Allein die Zielgesellschaften sind jeweils mehr als zehn Mal so groß wie KWS Saat. Wie lange kann das SDAX-Unternehmen den multinationalen Eroberern noch Stand halten? Ist auch KWS ein Übernahmeziel? Doch damit nicht genug der Sorgen der Investoren. Derzeit bildet sich eine breite Front gegen das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat. Wird ein Verbot des Herbizids die Einbecker treffen? Stefan Otto sprach für boersengefluester.de mit Hagen Duenbostel, Sprecher des Vorstands von KWS.
Auch Hagen Duenbostel hat im ersten Moment kurz gestaunt, als er von dem jüngsten Coup erfuhr. Doch seine Analyse macht schnell klar: „Was die multinationalen Konglomerate treiben, ist keine Saatgutfokussierung.“ Und KWS ist ausschließlich im Bereich Saatgut tätig. In den vergangenen 160 Jahren hat sich das Unternehmen auf die Züchtung von Mais und Zuckerrüben für die gemäßigten Klimazonen spezialisiert. Beim Mais, der inzwischen 60 Prozent des Umsatzes ausmacht, liegt der Marktanteil in Europa bei 19 Prozent. Das ist Platz zwei hinter Pioneer mit rund 22 Prozent und vor Monsanto mit 15 Prozent. Mit dem dynamischen Wachstum des Maisgeschäfts konnte das Zuckerrübengeschäft – besonders in Europa – nicht mithalten. In den 28 EU-Ländern verteidigen die Einbecker weiterhin unangefochten die Spitzenposition. Mit stolzen 46 Prozent Marktanteil liegen sie vor SESVander-Have mit 24 Prozent. Weltweit kommt KWS auf einen Marktanteil bei Zuckerrübensaat von 54 Prozent. Die restlichen knapp 10 Prozent des Umsatzes erzielt KWS mit Getreide, hauptsächlich Roggen aus Hybridzüchtungen. Bayer taucht in der Wettbewerbsbetrachtung von Duenbostel gar nicht auf. „Bayer macht tolle Baumwolle und super Gemüse. Wir haben ein anderes Arbeitsgebiet“.
KWS hat sich auf das konzentriert, was das traditionsreiche Familienunternehmen an besten kann: Saatgut. „Hier sind wir gut und machen die besten Sorten“, sagt Duenbostel nicht ohne Stolz. Deutlich mehr als 400 neue Sorten hat KWS im vergangenen Jahr zugelassen bekommen. „Dazu brauchen wir aber den vollen, uneingeschränkten Zugang zu den Traits.“ Weil kein Anbieter von Traits – das sind genetische Eigenschaften, durch einen transgenen technischen Prozess in eine Pflanze eingebracht werden – wie Monsanto, Syngenta, DuPont/Pioneer oder Dow alle Bereiche abdeckt, muss in der Branche jeder mit jedem zusammenarbeiten. Durch Kooperationen mit Syngenta, Monsanto und Bayer spielt KWS Saat hier in geringem Umfang mit. Das Ziel ist aber nicht, sich auf ein Herbizid zu fokussieren, sondern ein umfassendes Unkrautmanagement. „Was wir nicht selbst entwickeln können, kaufen wir so ein, dass es sich wirtschaftlich trägt. Die Konzentration in der Branche hat keine Auswirkungen auf den Zugang zu Traits“, bekräftigt Duenbostel.
Während die großen Agrarkonzerne kräftig durch Akquisitionen wachsen, die – wie im Fall Bayer /Monsanto – schon im ersten vollen Jahr nach der Übernahme zum Ergebniswachstum beitragen sollen, zahlt KWS viel Geld, um neue Märkte zu erschließen. Das belastet Jahr für Jahr das Ergebnis. Die Zielprofitabilität der Einbecker liegt bei 10 bis 11 Prozent EBIT-Marge (Ergebnis vor Zinsen und Steuern in Realtion zum Umsatz). Der Umsatz soll dabei jährlich zwischen fünf und zehn Prozent zulegen. Duenbostels Maxime ist „ein stetiges, langfristiges und profitables Wachstum.“ Ausreißer nach oben nutzt KWS eher für höhere Ausgaben für Forschung und Entwicklung, um das langfristige Wachstum nachhaltig abzusichern, als für den Ausweis höherer Gewinne. Doch sehr lieb sind Duenbostel diese Ausreißer gar nicht. Wenn die Reise nämlich in die andere Richtung geht, muss er die Forschungsprojekte, die selten in wenigen Monaten abgeschlossen sind, durchhalten, ohne zu sehr unter Druck zu geraten. Immerhin dauert die Entwicklung einer neuen Sorte zwischen zehn und zwölf Jahren – bei einem Lebenszyklus von fünf Jahren.
Der Preis für das Saatgut ist nur indirekt abhängig von den Commodity-Preisen. Wenn zum Beispiel die Bauern erwarten, dass die Maispreise steigen werden, wollen sie Mais anbauen und fragen verstärkt das Saatgut nach. „Wenn alle Maissaatgut haben wollen, können wir für unsere neuen leistungsfähigeren Sorten gute Preise erzielen“, erklärt Duenbostel. Doch auch die Landwirte, die für KWS das Saatgut vermehren, fordern in Zeiten hoher Konsumpreise mehr für ihre Leistung. Traditionell wächst KWS organisch. Zum einen über die Entwicklung neuer Sorten und damit der Vergrößerung des Produktportfolios und zum anderen durch die Erschließung neuer regionaler Märkte. Für Forschung und Entwicklung geben die Pflanzenzüchter jährlich etwa 14 Prozent vom Umsatz aus. Der kontinuierliche Ausbau des Vertriebsnetzes führt dazu, dass die Vertriebskostenquote durchschnittlich zwischen 18 und 20 Prozent liegt und sich nicht mit zunehmender Erlösgröße verringert. Nur in Ausnahmefällen wird etwas dazugekauft: wie 2012 in Brasilien. Um schneller im Markt Fuß zu fassen, wurden die Züchtungsgesellschaften Delta und Semilia übernommen und zunächst eine Mehrheitsbeteiligung an der Produktions- und Vertriebsgesellschaft Riber Sementes eingegangen, die Ende 2015 vollständig übernommen wurde. Mit dieser Expansion drang KWS nicht nur in eine neue Region, sondern auch in eine andere Klimazone vor und benötigte die entsprechenden Kulturarten und Verkaufsorganisationen.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 1.068,01 | 1.113,34 | 1.282,55 | 1.310,23 | 1.539,52 | 1.819,80 | 1.678,12 | |
EBITDA1,2 | 182,42 | 198,72 | 225,50 | 230,86 | 252,40 | 318,15 | 388,10 | |
EBITDA-Marge3 | 17,08 | 17,85 | 17,58 | 17,62 | 16,40 | 17,48 | 23,13 | |
EBIT1,4 | 132,56 | 149,99 | 137,37 | 137,03 | 155,06 | 222,76 | 301,95 | |
EBIT-Marge5 | 12,41 | 13,47 | 10,71 | 10,46 | 10,07 | 12,24 | 17,99 | |
Jahresüberschuss1 | 99,66 | 104,02 | 95,22 | 110,59 | 107,76 | 126,99 | 130,83 | |
Netto-Marge6 | 9,33 | 9,34 | 7,42 | 8,44 | 7,00 | 6,98 | 7,80 | |
Cashflow1,7 | 98,06 | 72,85 | 136,16 | 168,32 | 100,32 | 144,65 | 157,21 | |
Ergebnis je Aktie8 | 3,02 | 3,15 | 2,89 | 3,35 | 3,27 | 3,85 | 3,96 | |
Dividende8 | 0,64 | 0,67 | 0,70 | 0,80 | 0,80 | 0,90 | 1,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Ernst & Young |
Grenzen des Wachstums sieht Duenbostel in den kommenden Jahrzehnten nicht: „In den kleinen Märkten sind wir stark. In den großen Wachstumsmärkten haben wir die ganze Welt noch vor uns.“ Deutlich zweistellig sind die Marktanteile von KWS zum Beispiel beim Mais in Nord-, Mittel- und Südeuropa. Da wird die Expansion schon schwieriger. In Argentinien, Südosteuropa, Osteuropa, Brasilien und Nordamerika sind sie nur im mittleren bis höheren einstelligen Prozentbereich. In China gar nur bei rund drei Prozent. Einwände, dass gerade in diesen Märkten die politischen Situationen und die Währungen alles andere als stabil sind, begegnet er mit gewohnter Gelassenheit: „Regierungen und Währungen kommen und gehen. Wir planen in Zeiträumen von 50 Jahre.“
Bayer und Chemchina sind bereit, etwa das 15fache des EBITDA für Monsanto oder Syngenta zu bezahlen. KWS ist derzeit nur mit rund dem zehnfachen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen bewertet. Bei einem Verkauf könnten also rund 50 Prozent Kurspotenzial winken. Von solchen Rechenbeispielen will Duenbostel nichts wissen. „Die Unabhängigkeit ist bei uns keine Randerscheinung, sondern der Kern der ganzen Veranstaltung.“ Es geht darum, über 160 Jahre geschaffene Werte für künftige Generationen zu erhalten. Daran lässt auch Aufsichtsratschef Andreas Büchting, Nachfahre der Unternehmensgründer und Großaktionär, keinen Zweifel. Den Anteilsbesitz seiner Familie hat er mit denen der Familie Oetker gepoolt. Zusammen halten sie 56 Prozent. Die Einbecker werden sich – wie die Einwohner eines berühmten gallischen Dorfes – standhaft gegen mögliche Eindringlinge wehren. Sie haben zwar keinen Zaubertrank, aber dafür einen riesigen Schatz, der in keiner Bilanz auftaucht. „In 160 Jahren Sammeln und Selektieren haben wir einen umfangreichen Genpool aufgebaut“, sagt Duenbostel. Der ist die Basis für die erfolgreiche Entwicklung neuer leistungsfähigerer Sorten. Neben weiteren Toleranz- und Resistenzeigenschaften liefern diese durchschnittlich 1 bis 2 Prozent Ertragswachstum. Auch neue und schnellere Methoden der Pflanzenzüchtung ersetzen diese Artenvielfalt nicht.
Über die Konzentration im Agrarsektor hinaus bewegt derzeit Glyphosat die Gemüter. Nicht nur bei Umweltschützern bildet sich eine breite Front gegen das weit verbreitete Herbizid. Derzeit ist es Streitthema in der deutschen Regierungskoalition und auf EU-Ebene. Hat ein mögliches Verbot Auswirkungen auf KWS? Auch hier gibt Duenbostel Entwarnung: „In Europa hätte das gar keine Auswirkungen.“ Weder die Umsatz- noch die Ertragsseite wäre davon betroffen. KWS hat hier nicht in Traits zur Glyphosattoleranz investiert, weil Gentechnik in der EU nicht akzeptiert ist. Die jüngst bekanntgegebene Herbizidresistenz für Zuckerrüben, die zusammen mit Bayer CropScience auf konventionelle Weise – also ohne Gentechnik – durch Mutationszüchtung entdeckt wurde, ist keine Glyphosatresistenz, sondern eine Sulfonylharnstoffresistenz und kann auch beim Unkrautmanagement mit anderen Mitteln eingesetzt werden. Sollte Glyphosat langfristig auch in anderen Ländern verboten werden, sieht Duenbostel ebenfalls keine größeren Probleme für die Einbecker: „Es wird neue Methoden der Unkrautbekämpfung geben. Das ist auch heute schon unser Geschäft. Das betrifft die gesamte Branche. Wir fahren ja auch künftig weiter Auto – nur eben mit anderen Antrieben.“ Bei den Traits ist KWS weitgehend Lizenznehmer. Daher wurden in der Vergangenheit nicht die hohen Renditen wie bei Monsanto erwirtschaftet. So überraschen denn auch die gerade veröffentlichten Neun-Monats-Zahlen von KWS nicht. Der Umsatz stieg um 7,1 Prozent auf 833,2 Mio. Euro. Das EBIT litt unter negativen Währungseinflüssen, höheren Herstellungskosten und den von Duenbostel beschriebenen um 21 Mio. Euro gesteigerten Aufwendengen für Forschung und Entwicklung und Vertrieb. Mit 128,7 Mio. Euro blieb es gut 8 Prozent unter dem Vorjahreswert.
Im Bereich Mais legte der Umsatz trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage und teilweise rückläufigen Anbauflächen um 8,6 Prozent auf 648,5 Mio. Euro zu. In Brasilien wuchsen trotz des weiterhin schwachen brasilianischen Reals auch die in Euro konsolidierten Umsätze. Das Nordamerikageschäft war dagegen begünstigt durch einen starken Dollar. Unterm Strich belasteten das Ergebnis die Währungseffekte und der starke Vertriebsausbau sowie die Intensivierung der Züchtung in Brasilien. Es ging um mehr als 18 Prozent auf 71,4 Mio. Euro zurück. Die Zuckerrübe versüßt KWS das Ergebnis. Es stieg um 22,2 Prozent auf 108,3 Mio. Euro, bei einem um knapp 15 Prozent auf 331,4 Mio. Euro verbessertem Umsatz. Sorgenkind bleibt das Getreidegeschäft. Hier hat KWS bei der Qualität noch Nachholbedarf. Zwar wird mit 104,3 Mio. Euro ein um gut 6 Prozent höherer Umsatz ausgewiesen, doch ist dieser hauptsächlich auf den im Vorjahr erfolgten Erwerb der restlichen Anteile des Beteiligungsunternehmens Momont zurückzuführen. Das Betriebsergebnis ging um 20 Prozent auf 16,7 Mio. Euro zurück.
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