Mit einem Schock beginnt die neue Woche für die verbliebenen Beobachter hierzulande gelisteter chinesischer Unternehmen. Wieder gibt es Unregelmäßigkeiten. Dieses Mal bei Joyou. Den Badausstatter hatte boersengefluester.de bisher immer als Musterknaben unter den Red Stocks bezeichnet. Umso größer sind die Enttäuschung und der Schaden für das gesamte Börsensegment. Welcher China-Firma kann man denn überhaupt noch trauen?
Die Meldung, die für einen Kurssturz sorgt, wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. „Aufgrund jüngster Informationen zu Geschäftsvorfällen bei Tochtergesellschaften der Joyou AG (die „Gesellschaft”) hat sich die Notwendigkeit zur Überprüfung dieser Geschäftsvorfälle ergeben. Der Aufsichtsrat der Gesellschaft hat daher beschlossen, eine Sonderuntersuchung durch Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte durchzuführen, um prüfen zu lassen, ob die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage in der Vergangenheit zutreffend dargestellt worden ist und die entsprechenden Sachverhalte vollumfänglich aufzuklären. Der Aufsichtsrat hat mit den Mitgliedern des Vorstandes der Joyou AG, Jianshe Cai und Jilin Cai, vereinbart, dass diese während der Sonderuntersuchung ihre Ämter als Mitglieder des Vorstands bei der Gesellschaft mit sofortiger Wirkung ruhen lassen. Der Aufsichtsrat hat das Vorstandsmitglied Herrn Gerald Mulvin zum Interims-Vorsitzenden des Vorstands der Joyou AG ernannt.”
Die spannenden Fragen werden hier leider nicht angesprochen: Um was für Geschäftsvorfälle handelt es sich und welches Ausmaß haben sie? Geht es – wie bei Ultrasonic – um die Barmittel von knapp 200 Mio. Euro? Wurden – wie bei Youbisheng – Maschinen, Anlagen oder vielleicht ganze Betriebsteile verpfändet? Oder gibt es lediglich ein paar Unstimmigkeiten bei alten Vertriebsabrechnungen? Für die letzte Spekulation spricht, dass der Unternehmensgründer Jianshe Cai und sein Sohn Jilin Cai als Vorstände der in Deutschland notierten AG beurlaubt wurden. Sie haben sich in der Vergangenheit hauptsächlich um den Vertrieb gekümmert. Ob sie das nach wie vor tun, beantwortet die aktuelle Mitteilung nicht. Die deutsche AG hat keinen Einfluss auf die operativen Geschäfte in China. Das mussten die Aktionäre von Youbisheng und Ultrasonic leidvoll erfahren. Obwohl die Manager ihre Vorstandsposten verloren hatten, konnten sie in China schalten und walten wie zuvor. Auf Nachfrage beim Unternehmen teilte man uns mit, dass Gerald Mulvin inzwischen nicht nur Interimsvorsitzender der AG ist, sondern auch die operativen Geschäfte in China leitet. Wer aber zurzeit die Siegel und damit die einzige Legitimation für Bankgeschäfte besitzt, konnte uns die Presseagentur von Joyou nicht mitteilen.
Joyou galt bisher auch bei institutionellen Anlegern als vertrauenswürdiges, transparentes Unternehmen. Schon vor dem Börsengang hatte sich der deutsche Wettbewerber Grohe an der Firma beteiligt und ein Jahr nach dem IPO die Mehrheit übernommen. Inzwischen wurde Grohe selbst von dem japanischen Wohnungsbaukonzern Lixil geschluckt. Erst Ende vergangenen Jahres hatte Lixil von der Familie Cai die restlichen Grohe-Anteile für rund 250 Mio. Euro übernommen, die die Gründer als Gegenleistung für den Verkauf ihrer Joyou-Anteile erhalten hatten. Seit dem Einstieg von Grohe war die Zusammenarbeit sehr eng. Auch im Vorstand von Joyou sitzen seit Jahren Grohe-Manager. Das schaffte Vertrauen. Für erste Irritationen sorgte dann der 2014er Geschäftsbericht von Joyou. Hier wurde öffentlich, dass die Familie Cai – obwohl sie keine Aktien mehr besitzt – bis zum Jahr 2023 weitreichendes Mitspracherecht bei der Besetzung der Führungsgremien, der Ausschüttung und bei börsenrelevanten Transaktionen eingeräumt bekommen hat. Nun fragen sich die Investoren, ob damit dunkle Machenschaften der Familie Cai in der Vergangenheit verschleiert werden sollten. Hat Jianping Wu, die seit September 2014 neu im Amt des Finanzvorstands ist und die Vollkonsolidierung in Lixil-Konzern vorbereitet, die Unregelmäßigkeiten entdeckt?
Es bleiben noch viele Fragen offen und es ist zu wünschen, dass Joyou hierauf so schnell wie möglich Antworten gibt. Die Anleger sind sehr verunsichert. Böse Erinnerungen an die vielen Betrügereien bei chinesischen Unternehmen mit Erstnotiz hier in Deutschland werden wach. Einen Vorteil haben Joyou-Aktionäre aber gegenüber ihren Leidensgenossen von Youbisheng oder Ultrasonic. Lixil als Großaktionär, der Joyou nun in sein eigenes Zahlenwerk voll einbeziehen will, ist darauf angewiesen, dass die deutsche AG nicht insolvent geht. Zudem kommen die Japaner nur durch Ausschüttungen der Joyou AG an ihr Geld, das in China liegt. Die Lixil-Aktie reagierte auf die Unregelmäßigkeiten bei Joyou kaum. Auch Joyou-Aktionäre sollten erst einmal abwarten, bis es Informationen gibt, was genau bei ihrer Gesellschaft passiert ist. Ein Totalverlust ist wohl eher unwahrscheinlich.
Bild: Karl-Heinz Geiger