War gar nicht geplant, dass sich boersengefluester.de auf den Hamburger Investorentagen (HIT) mit dem Vorstand von ERWE Immobilien zum Einzelgespräch trifft. Doch wie häufig bei kurzfristig eingeschobenen Terminen: Genau die entpuppen sich dann als besonders interessant. Das war beim 1on1 mit Rüdiger Weizel – sein Namenskürzel ist gleichzeitig auch Namensgeber für die Gesellschaft – nicht anders. Das Geschäftsmodell der Frankfurter: Ein Portfolio aus innerstädtischen Immobilien in Orten wie Speyer, Krefeld oder Coesfeld, die ein neues Nutzungskonzept bekommen. So wird aus einem nicht mehr rentablen Kaufhaus ein Gebäude mit Mischnutzung wie Einzelhandel, Bürofläche, Arztpraxen und Hotel. Angesichts des schwierigen Umfelds für klassische Handelsunternehmen, ein spannendes Konzept.
Sieben Bestandsobjekte und drei Projektenwicklungen weist das Unternehmen momentan aus. Der Börsenwert beträgt etwas mehr als 45 Mio. Euro, womit die Gesellschaft zu den kleinsten Gewerbe-Immobilien-Aktien aus der Coverage-Liste von boersengefluester.de gehört. Gerade einmal 14,5 Prozent davon sind dem Streubesitz zuzurechnen. Größter Einzelaktionär ist mit rund 37,3 Prozent die Hamburger Elbstein AG um die bekannte Familie Ehlerding. Ansonsten halten Rüdiger Weizel sowie der frühere Vorstand Axel Harloff zwei größere Pakete von jeweils über 20 Prozent. Mit der Pflichtofferte vom vergangenen Sommer durch die Elbstein AG erfolgte ein Downlisting vom General Standard in das Spezial-Freiverkehrssegment Scale der Frankfurter Börse. Befürchtungen, dass es sich möglicherweise um einen schleichenden Delistingprozess handelt, weist Rüdiger Weizel vehement zurück und sagt mit einem Augenzwinkern: „Wir tun so, als wären wir im DAX.“
Neben dem weiterhin regelmäßigen Reporting spricht freilich auch die Teilnahme an Kapitalmarktkonferenzen wie dem HIT dafür, dass ERWE es weiterhin ernst meint mit den Publizitätspflichten. Glücklich ist Rüdiger Weizel mit dem geringen Freefloat in der Aktie indes nicht: „25 bis 30 Prozent wäre eine sinnvolle Größe.“ Viel drängender ist zurzeit aber ein ganz anders Thema: Mitte Dezember des laufenden Jahres läuft eine mit 7,5 Prozent verzinste Mittelstandsanleihe im Volumen von 40 Mio. Euro aus. „2023 ist das Jahr der Konsolidierung und Refinanzierung“, sagt Rüdiger Weizel. Wie bei vielen anderen Aktien aus dem Sektor, drückte auch bei ERWE die nahende Bondrückzahlung heftig auf den Kurs. In den vergangenen Wochen gab es zwar eine deutliche Gegenbewegung, aber gelöst ist das Thema Bond 2019/23 damit noch lange nicht. Entsprechend notiert der Titel mit 1,85 Euro auch signifikant unter dem Substanzwert (NAV) von 2,82 Euro je Aktie.
Frei interpretiert befürchten die Investoren, dass ERWE sich möglicherweise von wichtigen Immobilien trennen muss, um die Anleihengläubiger zu bedienen. Das wiederum würde die im Prinzip so eingängige Story eines Bestandsentwicklers spürbar konterkarrieren. Mittelfristig ist aber klar, dass die Gesellschaft beim Thema Fremdkapital deutlich vom Gas muss. Bezogen auf den LTV (Loan-To-Value) – also die Relation von Finanzschulden zum Verkehrswert der Immobilien – von zuletzt fast 71 Prozent will das Management runter auf eine Bandbreite zwischen 50 und 60 Prozent kommen. Es stehen also einige Aufgaben an. Mit Blick auf die für das Ergebnis von Immobilienunternehmen regelmäßig so wichtigen Bewertungseffekte, hofft der Vorstand, dass das Schlimmste vorbei ist und sich auch der Investoren wieder differenzierter mit den Immobilien-Aktien beschäftigen.
„Wir befinden uns genau im städtebaulichen Trend der Mischnutzung. Trotzdem werden wir in einen Topf mit vielen anderen Unternehmen geworfen“, sagt Rüdiger Weizel. Am Ende heißt es für ERWE Immobilien aber ganz klar: Positive Cashflows erzielen und das Bond-Thema lösen. Dann sollte es auch mit dem Aktienkurs nachhaltig nach oben gehen. Das bisherige Kursziel der Montega-Analysten beträgt 2 Euro – nach zuvor 3 Euro. An diesem Punkt ist der Titel zwar fast wieder angelangt, der Deckel muss deswegen aber noch lang nicht drauf sein.