Schwarzer Tag für die Anteilseigner der DFV Deutsche Familienversicherung. Im Tief um bis zu 40 Prozent knickt der Aktienkurs ein, nachdem das Versicherungsunternehmen kurz vor Jahreswechsel völlig überraschend den Ausstieg aus dem Konsortium rund um die Pflegezusatzversicherung CareFlex für die Beschäftigten der Chemiebranche und parallel dazu eine Gewinnwarnung für 2021 bekanntgegeben hat. Das Kursminus entspricht einem Verlust an Börsenwert von annähernd 133 Mio. Euro und treibt die Notiz bis fast an die 12 Euro Emissionskurs vom 4. Dezember 2018. Das Ausmaß des Kursrutsches mag zunächst einmal brutal hoch vorkommen. Andererseits war Careflex das zentrale Element in der Wachstumsstory der Deutschen Familienversicherung. Zudem ließ CEO Stefan Knoll in der Vergangenheit keine Gelegenheit aus, um den Careflex-Deal in höchsten Tönen zu loben.
Nun: Wie kam es zu dem Showdown? Vorangegangen war eine umfangreiche Korrespondenz mit der Finanzaufsicht BaFin. Dabei drehte es sich im Kern um die Frage, ob die DFV den Rechnungszins für den Careflex-Tarif mit der erforderlichen Sicherheit kalkuliert hat. Immerhin wütete Corona seit Monaten bereits auch auf den Kapitalmärkten. Um den Nachweis zu erbringen, stützte sich die DVF auf eine bei der Helaba in Auftrag gegeben Studie nach dem ALM-Verfahren (Asset-Liability-Management), die eine Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent zur Erwirtschaftung des Rechnungszinses bescheinigt. Obligatorisch für alteingesessene Versicherungen mit großen Kapitalstock ist laut dem AUZ-Verfahren (Aktuarieller Unternehmenszins) zwar eine Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent. Doch für Neugründungen oder schnell wachsende Gesellschaften aus der Assekuranz gelten auch nach AUZ andere Maßstäbe. Im Grunde ging es auf der Zielgeraden darum, der BaFin verständlich zu machen, dass die 75-Prozent aus der ALM-Studie den 90 Prozent aus dem AUZ-Verfahren entsprechen. Doch die Zeit lief den Frankfurtern davon und da auch das Projekt nicht gefährdet werden durfte, entschloss man sich „aus gegebenem Anlass“ zu der Exit-Variante.
Hinzu kam, dass die Rahmenbedingungen in der Realwirtschaft und an den Kapitalmärkten durch Corona nicht einfacher geworden sind und zunehmend ein Risiko darstellten. Schließlich ist eine Anpassung des Rechnungszinses in den ersten drei Jahren nach Start von Careflex vertraglich ausgeschlossen. So zieht sich die DFV aus dem Gespann mit der Barmenia Krankenversicherung sowie der R+V Krankenversicherung zurück und wird Careflex künftig nur als Rückversicherer für die Barmenia begleiten. Auf der eigens einberufenen Analystenveranstaltung am 4. Januar 2021 gibt sich Stefan Knoll gleichwohl zuversichtlich, was das das künftige Expansionspotenzial der Gesellschaft angeht. Um 25 bis 30 Prozent will die DFV auch ohne den unmittelbaren Careflex-Antrieb wachsen. Zudem hebt Knoll die Rolle als Rückversicherer hervor, die ebenfalls ein anständiges Auskommen verspricht. Außerdem betont er, dass es keine Zusatzbelastungen aus dem Austritt geben wird und auch die Investitionen in die IT künftig voll nutzbar sind.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 70,66 | 66,52 | 90,92 | 114,74 | 155,22 | 183,51 | 119,50 | |
EBITDA1,2 | 2,12 | -2,88 | -2,71 | -7,52 | 2,42 | 4,03 | 7,33 | |
EBITDA-Marge3 | 3,00 | -4,33 | -2,98 | -6,55 | 1,56 | 2,20 | 6,13 | |
EBIT1,4 | 2,12 | -4,10 | -5,20 | -10,56 | -0,81 | 1,67 | 5,72 | |
EBIT-Marge5 | 3,00 | -6,16 | -5,72 | -9,20 | -0,52 | 0,91 | 4,79 | |
Jahresüberschuss1 | 1,48 | -3,34 | -2,10 | -7,43 | -1,70 | 0,99 | 4,16 | |
Netto-Marge6 | 2,09 | -5,02 | -2,31 | -6,48 | -1,10 | 0,54 | 3,48 | |
Cashflow1,7 | 16,62 | 6,63 | 14,33 | 17,67 | 14,62 | 46,35 | 23,40 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,14 | -0,25 | -0,37 | -0,53 | -0,12 | 0,26 | 0,28 | |
Dividende8 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Deloitte |
Aus seiner Sicht beinhaltet die jetzige Rückversicherungslösung um das biometrische Risiko der Versicherten sogar mehr gute als schlechte Nachrichten, zumal die DFV damit aus dem Zinsrisiko entbunden ist. „Auch wenn es derzeit unschön aussieht. Es war die richtige Entscheidung, hinter der ich uneingeschränkt stehe. Ich bin froh, dieses Risiko weg zu haben“, sagt Knoll. Freilich ist das nur die eine Seite der Medaille, denn auch die DFV hatte sich von den neuen Kunden aus der Chemiebranche erhebliches Zusatzgeschäft erwartet. Diese Fantasie ist nun aus dem Aktienkurs raus. Und so muss auch CEO Stefan Knoll auf der Analystenkonferenz einräumen: „Momentan lecken wir unsere Wunden.“ Da geht es nicht so sehr darum, ob die Bardenia möglicherweise nicht doch wieder auf die DFV zukommt und Plattform der Frankfurter einbinden wird.
Details zur neuen Ergebnisplanung wird die Deutsche Familienversicherung bereits am 21. Januar – zeitgleich mit der Veröffentlichung vorläufiger Zahlen für 2020 – präsentieren. Fest steht aber schon jetzt, dass die Deutsche Familienversicherung die ursprünglich bereits für 2021 avisierten schwarzen Zahlen erst ein Jahr später in Angriff nimmt. Aus Spezialwertesicht ebenfalls interessant ist derweil die Rolle der Netfonds AG, die die Beratungen und Abrechnungen bei Careflex vornimmt, selbst aber nicht Teil des Konsortiums ist. Hier wir derzeit geklärt, wie schnell die technische Betriebsführung an die Barmenia übergeben wird. Ansonsten sollte die aktuelle Entwicklung aber keine negativen Auswirkungen auf Netfonds haben. Der Titel bleibt somit auf „Kaufen“.
Bei der DFV-Aktie sehen wir auf dem aktuellen Niveau sehr viel Negatives eingepreist und raten, den Titel nach dem Absturz im Depot zu lassen. Vermutlich wird es in den kommenden Tagen allerdings weiterhin recht hektisch in der Aktie zugehen.
Foto: Kevin Lanceplaine auf Unsplash