Das ist schon ein krasses Ungleichgewicht: Ende November 2019 kam die offizielle Meldung raus, dass ein Konsortium aus R+V Krankenversicherung (Anteil: 45 Prozent), der börsennotierten DFV Deutsche Familienversicherung (35 Prozent), Barmenia Krankenversicherung (20 Prozent) sowie der ebenfalls gelisteten Netfonds als Administrations- und Beratungspartner den Zuschlag für die mit der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie ausgehandelte Pflegezusatzversicherung CareFlex Chemie bekommen hat. Seitdem ist die Marktkapitalisierung der DFV um etwas mehr als 100 Mio. Euro in die Höhe geschossen, was einem Zuwachs von rund 77 Prozent entspricht. Ganz anders sieht die Performance bei der Netfonds-Aktie aus: Mit einem Plus an Börsenwert von rund 8 Mio. Euro – was einem Anstieg von knapp 18 Prozent gleichkommt – hat sie sich zwar ebenfalls positiv entwickelt, aber eben längst nicht so knackig performt wie der Anteilschein der Deutschen Familienversicherung.
Das liegt natürlich an den unterschiedlichen Rollen in der Gemengelage, zu einem gewissen Teil aber wohl auch an der unterschiedlichen Art der Kommunikation. Netfonds berichtet eher hanseatisch nüchtern, während DFV-Vorstand Stefan Knoll für den großen Auftritt geschaffen ist und intensiv wie sonst kaum jemand aus dem Small Cap-Bereich auf Kapitalmarktkonferenzen präsentiert. Lange Zeit half zwar auch das nicht dem DFV-Kurs auf die Sprünge. Doch seit dem CareFlex-Deal hat die Notiz des Frankfurter Online-Versicherers den Turbo eingeschaltet. Umso gespannter war boersengefluester.de auf den Kapitalmarkttag von Netfonds am 3. Februar 2020 in den Räumen der Hamburger Firmenzentrale.
Und Netfonds hat sich die Chance nicht nehmen lassen: In kleiner Runde hat ein Team um Vorstand Peer Reichelt von 15.30 bis nach 20.00 Uhr die gesamte Story von Netfonds vorgestellt: Vom Geschäft als Haftungsdach für Vermögensverwalter, über die Aktivitäten als Maklerpool, in der Vermögensverwaltung bis hin zum Immobilienbereich. Große Klammer bei Netfonds ist dabei die neue IT-Infrastruktur finfire, in die die Gesellschaft bis zur Fertigstellung – sofern man bei einem solchen Projekt überhaupt jemals diesen Zustand erreicht – immerhin rund 8 Mio. Euro investiert hat. „Wir wollen der Technologieführer sein“, sagt Reichelt. Diese Investitionen sind freilich auch der Hauptgrund dafür, dass die Zahlen von Netfonds seit geraumer Zeit keine leichte Kost sind, was wiederum Ballast für den Aktienkurs ist.
Dennoch ist boersengefluester.de überzeugt davon, dass der Kapitalmarkt die schiere Größe und das Potenzial von Netfonds klar unterschätzt. Beispiel Pflegezusatzversicherung CareFlex Chemie: Abgedeckt ist die Vereinbarung für die rund 435.000 Tarifmitarbeiter, hinzu kommen – sofern der Arbeitgeber mitspielt – etwa 145.000 außertarifliche Angestellte. Während die Deutsche Familienversicherung der Risikoträger ist und auch die Rechnungen an die Unternehmen schickt, agiert Netfonds als Dienstleister im Hintergrund. In Kraft tritt die Versicherung am 1. Juli 2021, wobei der Arbeitgeber 33,65 Euro pro Monat zahlt. Wichtig zu wissen ist, dass die Möglichkeit besteht, für Kinder und Ehepartner aufzustocken und Zusatzmodule abzuschließen. Letztlich erhofft sich Netfonds rund 300.000 Beratungsgespräche im Rahmen der Einführung von CareFlex, an dessen Ende möglicherweise bis zu 900.000 Verträge stehen könnten.
Vertrieblich und technologisch unterstützt wird das ganze Prozedere über den NVS Netfonds Versicherungsservice und die bereits erwähnte finfire-Plattform. Noch hat sich Netfonds nicht dezidiert zu möglichen Effekten hieraus auf die bisherige Langfristplanung bis 2023, die bei Netto-Umsätzen von mehr als 45 Mio. Euro ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) von rund 15 Mio. Euro vorsieht, geäußert. Eine einfache Überschlagsrechnung könnte jedoch zeigen, was möglich ist: Bereits bei rund 500.000 Verträgen mit einem Monatsbeitrag von 30 Euro würden über die Bestandsprovision rund 3,6 Mio. Euro zusätzlich bei Netfonds hängen bleiben. Gemessen daran wirkt der bisherige Zugewinn an Börsenwert von „nur“ 8 Mio. auf knapp 54 Mio. Euro deutlich zu klein.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 17,12 | 20,19 | 26,47 | 31,82 | 38,64 | 33,62 | 36,60 | |
EBITDA1,2 | 2,58 | 1,39 | 3,43 | 4,17 | 15,65 | 6,47 | 4,91 | |
EBITDA-Marge3 | 15,07 | 6,88 | 12,96 | 13,10 | 40,50 | 19,24 | 13,42 | |
EBIT1,4 | 1,89 | -0,17 | 1,16 | 1,81 | 11,67 | 2,96 | 1,34 | |
EBIT-Marge5 | 11,04 | -0,84 | 4,38 | 5,69 | 30,20 | 8,80 | 3,66 | |
Jahresüberschuss1 | 1,27 | -0,72 | -0,40 | 0,03 | 8,74 | 0,88 | -0,28 | |
Netto-Marge6 | 7,42 | -3,57 | -1,51 | 0,09 | 22,62 | 2,62 | -0,77 | |
Cashflow1,7 | 1,57 | -0,04 | -9,68 | 5,22 | -17,77 | 3,07 | 1,50 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,45 | -0,33 | -0,19 | 0,01 | 3,79 | 0,38 | -0,12 | |
Dividende8 | 0,20 | 0,15 | 0,00 | 0,16 | 0,25 | 0,25 | 0,25 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: NPP |
Überhaupt noch gar nicht berücksichtigt unter Bewertungsaspekten ist nach Auffassung von boersengefluester.de zudem das Potenzial, das sich an anderer Stelle der Netfonds AG – und zwar in der Tochter NFS Hamburger Vermögen – ergibt. Die Hamburger Vermögen agiert selbst als Vermögensverwalter und hat mittlerweile gut 1 Mrd. Euro Assets Under Management, was einem Netto-Umsatz von vermutlich rund 2 Mio. Euro und einem Betriebsergebnis von etwa 1 Mio. Euro entspricht. Andere „Robo-Advisors“ wie zum Beispiel Scalable Capital, wenn man die Hamburger Vermögen denn in diese Fintech-Schublade stecken will, schweben bei ihren Finanzierungsrunden in ganz anderen Dimensionen. Genügend Argumente für eine Neubewertung der Netfonds-Aktie gibt es also allemal. Allerdings muss das Management bei der anstehenden Veröffentlichung der Jahreszahlen die Potenziale auch deutlich aufzeigen. Noch verkauft sich die Gesellschaft hier nämlich unter Wert. Geeignet ist der Small Cap für erfahrene und risikobereite Anleger, die aber nicht auf den schnellen Zock aus sind. Ein wenig Zeit braucht die im Münchner Freiverkehrssegment m:access notierte Netfonds-Aktie zur Entwicklung nämlich schon noch.
Foto: Shutterstock