Einen komplett entspannten Peter Bollenbeck treffen wir auf dem Frankfurter Eigenkapitalforum. Kein Wunder, hat der Vorstandschef von InVision doch offenbar alles richtig gemacht. Mit 26,60 Euro befindet sich der Aktienkurs des auf Software für die Optimierung des Personaleinsatzes in Call Centern spezialisierten Unternehmens gegenwärtig in Regionen, die er – das August-Hoch bei 29 Euro mal ausgeklammert – eine gefühlte Ewigkeit nicht gesehen hat. Selbst der Emissionspreis von 32 Euro aus dem Juni 2007 scheint plötzlich wieder greifbar. Auslöser der Rally: Die im Frühjahr 2011 eingeleitete radikale Umstellung des Geschäftsmodells Richtung Cloud Computing ist endlich abgeschlossen und wirkt sich zunehmend positiv auf das Zahlenwerk aus. „Wir kommen jetzt in eine Phase, wo die Steigerung bei den Abo-Erlösen die rückläufige Entwicklung bei den einmaligen Lizenzumsätzen überkompensiert“, sagt Bollenbeck. Vorteil für InVision: Dem Vernehmen nach sind 85 Prozent aller Call Center kleinere Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern – und die scheuen häufig den teuren Kauf von kompletten Softwarepaketen.
Und genau hier setzt Bollenbeck an. Seine Software-Abos aus der Cloud bietet InVision für monatlich 9 Euro pro Mitarbeiter an. „Diese Ausgabe rechnet sich für die Unternehmen fast von selbst“, sagt Bollenbeck – so groß sind die Produktivitätsfortschritte durch den Einsatz der InVision-Produkte. Clever: Neben der Software zur Planung des Personaleinsatzes haben die Ratinger auch ein umfangreiches E-Learning-Programm zur Schulung von Call-Center-Mitarbeitern im Angebot. Die jüngste Entwicklung des Gewinns vor Zinsen und Steuern (EBIT) kann sich bereits sehen lassen. Im ersten Quartal kam InVision auf ein EBIT von 0,13Mio. Euro. Von Anfang April bis Ende Juni verdiente die Gesellschaft 0,40 Mio. Euro, und im dritten Jahresviertel waren es bereits 0,51 Mio. Euro. Für das Gesamtjahr 2013 stellt InVision derzeit ein operatives Ergebnis von mindestens 1,7 Mio. Euro in Aussicht. Demnach müsste im Schlussquartal ein EBIT von mindestens 0,65 Mio. Euro herauskommen. Bollenbeck ist sicher, dass er das schafft und blickt voller Zuversicht nach vorn: „Wir werden diesen schönen linearen Trend auch im kommenden Jahr fortsetzen.“
Die Analysten von Warburg Research haben ihre Prognosen für InVision vor wenigen Tagen komplett überarbeitet. Statt eines EBIT von 2,7 Mio. Euro für 2014 rechnen die Banker nun mit einem Betriebsgewinn von 3,4 Mio. Euro. Für 2015 halten sie gar einen Zuwachs auf 4,4 Mio. Euro für denkbar. Bislang lag die 2015er-Schätzung bei 3,6 Mio. Euro. Das Kursziel hat Warburg Research von 29 auf 36 Euro heraufgesetzt. Demnach hätte die InVision-Aktie noch ein Potenzial von gut einem Drittel. Gegenwärtig kommt der Small Cap auf eine Kapitalisierung 59,4 Mio. Euro. Das entspricht etwa dem 4,5-Fachen der für das laufende Jahr erwarteten Umsatzerlöse. Gemessen an heimischen Nebenwerten aus dem Sektor Personalsoftware – wie etwa Atoss Software (KUV: 3,1) oder P&I (KUV: 4,1) – wirkt diese Relation nicht gerade günstig.
Allerdings sieht Bollenbeck in Titel wie Atoss Software oder P&I nicht die geeignete Peer Group – zu unterschiedlich seien die Geschäftsmodelle. Eher in Frage kommen Unternehmen wie Workday (WKN: A1J39P) oder Salesforce (WKN: A0B87V), auch wenn sie größenmäßig in anderen Ligen spielen. Besonders für stark Cloud-fokussierte Anbieter wie die seit gut einem Jahr gelistete US-Firma Workday werden zurzeit enorme Multiples gezahlt. So kommt Workday gegenwärtig auf einen Börsenwert von rund 12,9 Mrd. Dollar. Dabei kalkuliert die defizitäre Gesellschaft für das laufende Jahr mit Erlösen von 436 bis 446 Mio. Dollar. Dementsprechend beträgt das Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) stattliche 29. Anders ausgedrückt: Jeder Dollar Umsatz, den Workday erzielt, wird an der Börse mit rund 29 Dollar bewertet. Bei Salesforce beträgt dieser Faktor etwa 8,5. Mit einem erwarteten Umsatz von rund 4 Mrd. Dollar ist das Unternehmen jedoch ein echter Branchengigant.
Momentan auf Eis liegt hingegen der auf der Hauptversammlung Ende Mai beschlossene Rückkauf von bis zu 50.000 eigenen Aktien. Knapp 39.000 Anteilscheine wurden bereits erworben, gegenwärtig liegt die Notiz mit gut 27 Euro aber oberhalb des zuvor festgelegten Maximalpreises von 25 Euro – daher der aktuelle Kaufstopp. Noch keine Entscheidung ist darüber gefallen, was mit den bereits gekauften Papieren passieren soll. Nach Berechnungen von boersengefluester.de müssten sich derzeit gut 82.500 eigene Aktien im Firmendepot befinden. Das entspricht annähernd 3,7 Prozent des gesamten Aktienkapitals. Das Wachstum von InVision beruht in der Regel auf organischer Basis, als Akquisitionswährung bräuchte das Unternehmen die Papiere also nicht zwingend. Denkbar wäre also, dass InVision die Aktien einzieht. Damit würde sich der zu verteilende Gewinn zwar auf weniger Stücke beziehen – was bei einem konstanten KGV, zu einem höheren Kurs führen müsste. Andererseits beträgt der echte Streubesitz bereits jetzt lediglich 15,46 Prozent.
Die meisten Stücke hält der Vorstand: So entfallen auf Peter Bollenbeck und Mitgründer Armand Zohari direkt jeweils 17 Prozent der Stimmen. Zudem halten die beiden über die InVision Holding weitere 24,12 Prozent der Aktien. Mitgründer Matthias Schroer, der zurzeit nur noch im Aufsichtsrat sitzt, kommt auf knapp 11,32 Prozent. „Wir sind ein inhabergeführtes Unternehmen, und das wird auch so bleiben“, sagt Bollenbeck. Eine Dividende hat es seit dem Börsengang allerdings noch nicht gegeben. Daran dürfte sich vorerst auch kaum etwas ändern. Unterm Strich bietet die InVision-Aktie zurzeit eine super knackige Investmentstory. Verglichen mit US-Konkurrenten aus dem Cloud-Sektor ist der Small Cap noch immer sehr moderat bewertet. Für boersengefluester.de ist das von den Warburg-Analysten genannte Kursziel von 36 Euro daher eine realistische Marke. Zunächst einmal gilt es jedoch, den Emissionspreis endlich mal wieder von oben zu betrachten – nach sechs Jahren wird das auch höchste Zeit.