Fast zurück auf das Niveau vom Jahresbeginn hat es der Aktienkurs von Vita 34 geschafft. Damit honorieren die Anleger das vergleichsweise konjunkturunabhängige Geschäft des auf die Einlagerung von Stammzellen aus Nabelschnurblut und Nabelschnurgewebe spezialisierten Unternehmens. So haben die Analysten von Montega Research ihr Kursziel nach der Veröffentlichung des Zwischenberichts für das erste Quartal 2020 sogar um 50 Cent auf 15 Euro angehoben, bei einer aktuellen Notiz von 12 Euro. Boersengefluester.de sprach mit dem Vita 34-Vorstandsvorsitzenden Dr. Wolfgang Knirsch über das aktuelle Umfeld, die besonderen Herausforderungen – aber auch Chancen – im Zuge der Corona-Krise sowie die weitere Ausrichtung des in Leipzig ansässigen Unternehmens mit Listing im streng regulierten Börsensegment Prime Standard.
Herr Dr. Knirsch, mit 4,7 Mio. Euro Umsatz im ersten Quartal konnten Sie den Umsatz im Jahresvergleich trotz Corona stabil halten, was als Erfolg zu werten ist. Gilt diese Stabilität in der Umsatzentwicklung regional gesehen für alle Märkte oder gab es in Regionen mit strikteren Lockdown-Maßnahmen wie in Italien oder Spanien Einschnitte?
Dr. Wolfgang Knirsch: Als international agierendes Unternehmen sind wir es gewohnt damit umzugehen, dass sich das Geschäft in den unterschiedlichen Märkten nicht gleichmäßig entwickelt. Die Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus in Europa mit den bekannten Folgen haben wir sozusagen in Echtzeit mitverfolgen können, bevor in Deutschland die ersten Lockdown-Maßnahmen getroffen wurden. Natürlich haben unsere Mitarbeiter und Vertriebspartner nicht in gewohnter Weise ihre Marketingmaßnahmen durchführen können, was auch Einfluss auf die dortigen Resultate hat. Gleichzeitig gibt es eine große Sensibilisierung für Gesundheitsthemen und private Gesundheitsvorsorge, die in gewissem Maß die ökonomischen Auswirkungen kompensieren kann.
Die geänderten Rahmenbedingungen, die Sie mit der COVID-19-Pandemie im ersten Quartal 2020 überraschend trafen, machten – wie CFO Falk Neukirch es anlässlich der Veröffentlichung der Q1-Zahlen ausrückte – „außergewöhnliche Anstrengungen auf allen Ebenen erforderlich“. Welche waren dies konkret und wie sehr beeinflussen diese Ihr operatives Geschäft?
Dr. Wolfgang Knirsch: Oberste Priorität für uns war und ist die Standort- und Prozesssicherheit. In dieser Hinsicht war es von Vorteil, dass wir zum Beispiel aus Südeuropa früh für zu erwartende Konsequenzen der Pandemie, wie Quarantänemaßnahmen und Materialknappheit, sensibilisiert waren. Wir haben uns also zunächst im Einkauf und im Personalwesen auf die Herausforderungen vorbereitet. Veränderte Schichtsysteme und erweiterte Homeoffice-Lösungen wurden in Rekordzeit implementiert. Gleichzeitig haben wir unsere digitale Präsenz zum Kunden verstärkt und die Zeit der Kontaktbeschränkungen genutzt, um eine bereits geplante Verstärkung im Außendienst inhaltlich und strukturell zu optimieren. Die Ausweitung der digitalen Präsenz werden wir beibehalten und unsere Mitarbeiter im Außendienst gehen wieder mit hoher Motivation ihrer gewohnten Tätigkeit nach.
Und wie sieht es im Hinblick auf die weitere Expansion aus?
Dr. Wolfgang Knirsch: Geplante Expansionen stehen natürlich unter einem gewissen Vorbehalt und sind zum Teil verzögert, da beispielsweise auch regulatorische Behörden in Europa momentan von Einschränkungen durch COVID-19 betroffen sind. Wir betrachten dies aber nur als temporäre Einschränkung und werden unsere Strategie wie geplant weiter verfolgen.
Sie haben bereits im vierten Quartal 2019 mehr in Marketing und Vertrieb gesteckt und das im ersten Quartal 2020 fortgesetzt, was kurzfristig auf die Marge drückt. Spiegelt sich das im Gegenzug mittlerweile auch in entsprechenden Vertriebserfolgen wider?
Dr. Wolfgang Knirsch: Wir sind davon überzeugt, dass der Markt für Nabelschnureinlagerungen noch weiteres Potenzial hat. Daher haben wir uns entschieden, hier weiter in die Erschließung dieses Marktes zu investieren. Die Entwicklung der Auftragslage bestärkt uns darin, diesen Weg konsequent weiterzugehen.
Es gibt vielversprechende Hinweise auf Behandlungsmöglichkeiten von schweren COVID-19-Verläufen mit Stammzellen. Erwarten Sie bei erfolgreichem Verlauf dieser Studien mittelfristig „Rückenwind“ aus diesem Thema?
Dr. Wolfgang Knirsch: Jede erfolgreiche Behandlungsstudie ist von großer Bedeutung für uns und unsere Kunden. Dies gilt umso mehr, wenn es nicht um seltene Erkrankungen, sondern um ein breites Gesundheitsthema geht. Unmittelbar merken wir bereits jetzt an den Fragen unserer Kunden, dass dieses Thema schnell große Aufmerksamkeit erregt hat. Wenn hier im kommenden Jahr positive Studienergebnisse veröffentlicht werden können, wird das unser Geschäftsmodell sicher zusätzlich voranbringen.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 19,19 | 20,41 | 19,93 | 20,07 | 28,42 | 68,94 | 77,06 | |
EBITDA1,2 | 1,85 | 4,72 | 5,43 | 5,34 | 0,81 | -3,56 | 5,57 | |
EBITDA-Marge3 | 9,64 | 23,13 | 27,25 | 26,61 | 2,85 | -5,16 | 7,23 | |
EBIT1,4 | 0,14 | 2,63 | 2,45 | 2,38 | -3,07 | -27,28 | -3,12 | |
EBIT-Marge5 | 0,73 | 12,89 | 12,29 | 11,86 | -10,80 | -39,57 | -4,05 | |
Jahresüberschuss1 | -0,33 | 0,83 | 0,72 | 1,50 | -3,93 | -27,38 | -2,03 | |
Netto-Marge6 | -1,72 | 4,07 | 3,61 | 7,47 | -13,83 | -39,72 | -2,63 | |
Cashflow1,7 | 1,53 | 4,60 | 6,32 | 3,98 | 2,73 | -4,49 | 9,15 | |
Ergebnis je Aktie8 | -0,09 | 0,20 | 0,18 | 0,37 | -0,63 | -1,71 | -0,12 | |
Dividende8 | 0,16 | 0,16 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: PricewaterhouseCoopers |
Weiter in der Zukunft sind Ihre Forschungsschwerpunkte im Bereich der Gewinnung von Stammzellen aus Fettzellen für die ästhetische Medizin und im Bereich Immunzellbanking für Zelltherapien in der Onkologie. Wie sieht hier der weitere Zeitplan aus?
Dr. Wolfgang Knirsch: Den ambitionierten Zeitplan für den Bereich Immunzellbanking konnten wir bisher einhalten, so dass die Einhaltung der Ziele nach wie vor realistisch scheint. Die Herstellungserlaubnis für die Einlagerung von Fettgewebe ist noch nicht erteilt. Hier war das Pandemiegeschehen sicher nicht hilfreich. Sobald wir diesen wichtigen Schritt gemacht haben, werden wir auch in diesem Bereich die Aktivitäten, wie geplant, weiterführen können.
Stimmrechtsmeldungen sorgen bei Vita 34 immer wieder für Übernahmespekulationen. Der polnische Wettbewerber Polski Bank Komórek Macierzystych (PBKM) hält 3,2 Prozent an Vita 34. Welche Konsequenzen ergeben sich für Sie und Ihre Managementkollegen aus Vorstand und Aufsichtsrat vor dem Hintergrund, dass ein Wettbewerber einen nennenswerten Aktienanteil hält?
Dr. Wolfgang Knirsch: Wir sind stolz darauf, ein börsennotiertes Unternehmen zu sein. Grundsätzlich kann jeder Anteile an der Vita 34 erwerben, auch Mitbewerber, wenn sie den Kaufpreis und die Entwicklung für attraktiv halten. Unter unseren Investoren sind private und institutionelle Anleger, die kleinere oder größere Anteile als die PBKM halten. Wir fühlen uns all diesen Aktionären gleichmäßig verpflichtet.
Umgekehrt konsolidiert Vita 34 auch aktiv den Markt. Sie sollen auch Ziele avisieren. Bietet sich im Corona-Umfeld nicht die Gelegenheit, um zum vielleicht etwas günstigeren Preis als gewöhnlich 2020 anorganisch zu wachsen?
Dr. Wolfgang Knirsch: Diese Gelegenheiten können sich bieten und wir sind darauf vorbereitet, diese dann auch zu nutzen.
Fotos: Vita 34 AG
Dr. Wolfgang Knirsch hat an der RWTH Aachen im Jahr 1993 seine Promotion in Anorganischer Chemie abgeschlossen und danach seine Karriere in der pharmazeutischen Industrie begonnen. Nachdem er bei Aventis und Merck KGaA verschiedene nationale Vertriebs- und Marketingorganisationen erfolgreich geführt hat, wurde ihm von der Biotest AG im Jahr 2006 die Aufgabe angeboten, dass operative und strategische Marketing neu zu gestalten. In seiner letzten Funktion war Dr. Wolfgang Knirsch bei der Biotest AG für den internationalen Vertrieb verantwortlich, wo er in seinem Bereich durch konsequente Umsetzung der Marketing- und Vertriebsstrategien bei den Kooperationspartnern weltweit Umsatz und Ergebnis nachhaltig gesteigert hat. Neben anderen Indikationsgebieten hat er umfassende Kenntnisse in den Bereichen Hämato-Onkologie, Gynäkologie und Geburtshilfe. Zum 1. Juni 2016 wurde er als Vorstand für Sales und Marketing von Vita 34 bestellt. Seit Mitte Juni 2017 ist Knirsch – Jahrgang 1960 – der Vorstandsvorsitze der Vita 34 AG.