Knapp drei Monate nach der jüngsten Hauptversammlung Ende Mai sollen sich die Anteilseigner von Viscom im Alten Rathaus in Hannover schon wieder zusammenfinden. Thema des außerordentlichen Treffens am 20. August 2013: Die Umstrukturierung der Bilanzen, um das reichlich vorhandene Eigenkapital für Aktienrückkäufe oder Sonderausschüttungen freigeben zu können. So verfügt der Anbieter von Inspektionssystemen für die Elektronikindustrie über Eigenmittel von rund 63 Mio. Euro, was einem Anteil von stolzen 88 Prozent der Bilanzsumme entspricht. Verglichen damit sehen die zu finanzierenden Umsatzerlöse von zuletzt rund 50 Mio. Euro relativ unterdimensioniert aus. Ein Umstand, der auf der ordentlichen Hauptversammlung am 28. Mai 2013 heftig kritisiert wurde.
Umso erstaunlicher, wie schnell das Management nun eingelenkt hat und ein erneutes Treffen einberufen hat. Bilanztechnisch gilt es folgende Hürden zu nehmen: Zunächst werden von den 35,22 Mio. Euro der Kapitalrücklage 22,5 Mio. Euro in Gezeichnetes Kapital gewandelt. Damit bleibt die Zahl der umlaufenden Aktien von derzeit 9.020.000 zwar unverändert. Allerdings steht dann jede Aktie – nicht wie jetzt für einen rechnerischen Anteil von 1,00 Euro am Grundkapital –,sondern repräsentiert 3,50 Euro am nun 31,57 Mio. Euro umfassenden Gezeichneten Kapital. In einem zweiten Schritt wird Viscom das Kapital wieder um 22,5 Mio. Euro herabsetzen, so dass auf jede Aktie wieder ein theoretischer Nennwert von 1,00 Euro entspricht. Diese Hin- und her Buchung klingt wie ein Taschenspielertrick, sie ist aber nötig um zweckbestimmte Kapitalrücklagen in ungebundene Reserven zu wandeln. Viele Anleger dürften dieses Prozedere von bisherigen Sonderausschüttungen wie beispielsweise bei Adcapital, Fabasoft, Magix, wallstreet:online oder Xing kennen.
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Um es klar zu sagen: Noch ist bei Viscom kein konkreter Beschluss über mögliche Aktienrückkaufprogramme oder Sonderausschüttungen gefallen. Es werden nur die Voraussetzungen für solche Maßnahmen getroffen. Unter Beachtung der gesetzlichen Fristen ist auch frühestens im kommenden Jahr mit einer Umsetzung zu rechnen. So betont Viscom-Finanzvorstand Dirk Schwengel: „Unser Ziel ist nach wie vor ein weiteres Wachstum, wir sehen uns auch weiter nach möglichen Zukäufen um. Für den Fall, dass wir keine passenden Investitionsmöglichkeiten finden, möchten wir die zusätzliche Flexibilität schaffen, um zukünftig über Dividendenzahlungen beziehungsweise Aktienrückkaufprogramme entscheiden zu können.“ Dennoch sind die Anleger hellhörig geworden und haben die Viscom-Aktie wieder auf ihre Kauflisten genommen – trotz eines schwachen Jahresauftakts 2013 mit einem Gewinnrückgang von 55 Prozent.
Ganz ohne Hintergedanken hat aber auch der Viscom-Vorstand den Vorstoß nicht unternommen. So hielten die beiden Firmengründer Martin Heuser (Technikvorstand) und Volker Pape (Vertriebsvorstand) über die HPC Vermögensverwaltung GmbH zuletzt knapp 60 Prozent der Viscom-Anteile. Gut 14 Prozent waren der Grünwald Equity Beteiligungs V2 GmbH zuzurechnen. Die Münchner machten sich etwa 2012 für eine höhere Dividende bei Viscom stark und waren früher unter anderem auch bei dem Puppenhersteller Zapf Creation, Net Mobile oder TA Triumph-Adler engagiert. Ende Mai 2013 suchte die Beteiligungsgesellschaft jedoch den Ausstieg bei Viscom. Um den zu befürchtenden Abgabedruck auf die Aktie zu umgehen, haben Heuser und Pape das Paket kurzerhand selbst erworben. „Sollte die Hauptversammlung später über einen Abbau der vorhandenen Liquidität durch Dividendenzahlungen entscheiden, gäbe uns dies auch die Möglichkeit, einen Teil des weitestgehend fremdfinanzierten Kaufs des Aktienpaketes zu refinanzieren“, räumen Heuser und Pape ein.
Gegenwärtig wird Viscom an der Börse mit 90 Mio. Euro bewertet. Rund 80 Prozent davon sind durch Eigenmittel unterlegt. Nach Abzug der Finanzverbindlichkeiten entfällt auf jede Aktie ein Netto-Cash von gut 3 Euro, bei einem aktuellen Kurs von 9,98 Euro. Der verhaltene Jahresauftakt sollte in den kommenden Quartalen wettgemacht werden. Gerade im asiatischen Raum konnte Viscom neue Kunden gewinnen. So kalkuliert der Vorstand für 2013 mit einem Umsatzanstieg von rund zehn Prozent sowie einer operativen Marge zwischen 13 und 17 Prozent. Demnach dürfte sich der Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) im laufenden Jahr zwischen 7,1 und 9,3 Mio. Euro bewegen. Zur Einordnung: 2012 erwirtschaftete Viscom ein EBIT von 9,2 Mio. Euro – Wachstum sieht freilich anders aus. Dafür ist der Small Cap mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 13 und einer Dividendenrendite von sechs Prozent moderat bewertet. Und vermutlich gibt es im kommenden Jahr noch den Extra-Ausschüttungs-Kick. Unterm Strich bietet Viscom damit eine attraktive Chance-Risiko-Kombination.
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Foto: Viscom AG