Buchstäblich auf den letzten Metern von 2022 – am 30. Dezember um 16 Uhr – hat Vectron Systems eine seit vielen Monaten vorbereitete Akquisition in trockene Tücher bekommen, die wichtiger kaum sein könnte für den Hersteller von Kassensystemen und daran angedockten Digitalservices. So übernimmt Vectron die in Dortmund ansässige Acardo Group und stärkt so ganz massiv den Bereich Verkaufsförderung und Couponing. Eine bekannte von Acardo umgesetzte Aktion sind etwa in die mit Gewinncodes versehenen Kronenkorken in Krombacher-Bierflaschen. Im laufenden Jahr soll das Unternehmen bei Erlösen von rund 12,5 Mio. Euro auf ein Ergebnis vor Zinsen, Streuern und Abschreibungen (EBITDA) von rund 2,8 Mio. Euro kommen. Grob über den Daumen gepeilt ist Acardo – gemessen am Umsatz – damit etwa halb so groß wie zuletzt Vectron.
Um den Deal zu stemmen, greifen die Münsteraner tief in die Taschen: Der Basispreis für 100 Prozent an Acardo beträgt 10 Mio. Euro, wird zum Teil allerdings durch ein Verkäuferdarlehen vorfinanziert. Zudem gibt es einen Werbekostenzuschuss “in Millionenhöhe” durch einen Vorlieferanten. Per Saldo dürfte der unmittelbar jetzt von Vectron zu leistende Cashanteil vermutlich deutlich weniger als die Hälfte der 10 Mio. Euro betragen. On top kommt freilich eine im Jahr 2026 fällige ergebnisabhängige Komponente. Die kann im Extremfall ein Volumen von bis zu 25 Mio. Euro uns mehr erreichen, dafür wäre dann allerdings eine „drastische“ Steigerung des durchschnittliches EBIT gegenüber der aktuellen Planung notwendig.
Schwer zu sagen, wo ein mittleres Szenario für die gesamte Earn-out-Vereinbarung anzusiedeln ist. Immerhin hätte sich das Management von Acardo kaum auf die gewählte Deal-Struktur eingelassen, wenn sie nicht vom Erfolg überzeugt wäre. Zudem dürfte es auch eine Reihe anderer Interessenten gegeben haben.
Am Ende scheint aber nicht nur die geschäftliche Kombination gestimmt zu haben, sondern auch die Chemie auf personeller Ebene. „Mit Vectron haben wir den besten Partner“, sagt Acardo-Gründer Christoph Thye. „Vectron macht sich mit dieser Akquisition deutlich unabhängiger vom volatilen Geschäft mit Kassensystemen“, wiederum sagt Vectron-Vorstand Thomas Stümmler. Zudem ändern sich die Gewichte insofern, weil Acardo mit seiner Ausrichtung auf den Lebensmittelhandel, Drogerien, Konsumgüter, Kinos und Apotheken schwerpunktmäßig ganz andere Branchen bedient als die im Börsensegment Scale gelistete Vectron mit ihrer Ausrichtung auf Gastronomie und Bäckereien. Die „strategische Rolle“ von Acardo innerhalb des künftigen Verbunds wird unter auch dadurch untermauert, dass Christoph Thye ein Vorstandsmandat im Vectron-Konzern bekommen wird, Thomas Stümmler hingegen dürfte in den Aufsichtsrat von Acardo einziehen.
Derweil kündigt Vectron Systems für das laufende Jahr die Rückkehr in die schwarzen Zahlen an und will demnächst eine detaillierte Planung für 2023 vorlegen. Allerdings dürfte es noch einige Wochen dauern, bis die HGB-Welt von Acardo in den IFRS-Rahmen von Vectron übertragen ist und sich valide Aussagen für die gemeinsame Zukunft herleiten lassen. Zuletzt mussten die Münsteraner ihre Ziele aufgrund der schwierigen Lage im Gastrosektor mehrfach nach unten korrigieren und gleichzeitig Kostensenkungsprogramme initiieren. Zudem dauert die Einführung bzw. die Akzeptanz neuer Digitalservices – vom Bestellvorgang bis hin zum Payment – länger als ursprünglich gedacht. Insofern drehte sich die Investmentstory von Vectron seit einigen Jahren im Kreis.
Entsprechend groß ist nun die Hoffnung an der Börse auf eine Wende durch den Zusammenschluss mit Acardo. Operativ sollten sich die Zahlen insbesondere ab dem zweiten Halbjahr 2023 spürbar verbessern. Dann nämlich greifen die umfangreichen Einsparungen bei den Personalaufwendungen. Nicht im Zusammenhang mit der Acardo-Transaktion stehen übrigens die ebenfalls Ende 2022 von Vorstand Thomas Stümmler gemeldete Verpfändung von insgesamt rund 3,33 Millionen Vectron-Aktion. Hintergrund hier ist die bereits im Spätsommer 2022 kommunizierte Demission des Mitgründers und damaligen Technikvorstands Jens Reckendorf, der sein gesamtes Aktienpaket im Zuge dessen an Thomas Stümmler verkauft hat – und für eben diese Übertragung stand zuletzt die Finanzierung an. Nun: Gemeinsam mit Acardo stehen die Chancen nun sehr viel besser, dass die Investmentstory von Vectron endlich doch noch den Kursturbo zündet.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 32,38 | 24,83 | 25,17 | 27,77 | 38,23 | 25,22 | 37,02 | |
EBITDA1,2 | 2,25 | -0,45 | -1,37 | -2,19 | 4,71 | -3,86 | 3,72 | |
EBITDA-Marge3 | 6,95 | -1,81 | -5,44 | -7,89 | 12,32 | -15,31 | 10,05 | |
EBIT1,4 | 1,74 | -2,13 | -1,76 | -2,58 | 3,12 | -5,36 | 0,00 | |
EBIT-Marge5 | 5,37 | -8,58 | -6,99 | -9,29 | 8,16 | -21,25 | 0,00 | |
Jahresüberschuss1 | 1,08 | -3,88 | -1,39 | -2,07 | 2,44 | -5,27 | -0,78 | |
Netto-Marge6 | 3,34 | -15,63 | -5,52 | -7,45 | 6,38 | -20,90 | -2,11 | |
Cashflow1,7 | -1,46 | -2,32 | -2,51 | -3,77 | 10,18 | -2,05 | 7,20 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,16 | -0,58 | -0,17 | -0,26 | 0,30 | -0,65 | -0,10 | |
Dividende8 | 0,05 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Nexia |
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