„Ich gehe davon aus, dass das eine Ultra-Gelegenheit ist“, sagt Vectron Systems-Vorstand Thomas Stümmler bei seiner Präsentation auf der von GBC organisierten ZKK Zürcher Kapitalmarktkonferenz am 15. September 2022. Damit nicht genug. In einem Atemzug hält er noch ein Plädoyer für antizyklisches Investieren: „Jeder redet immer davon, dass man kaufen soll, wenn die Kurse am Boden liegen. Aber man muss es dann eben auch tun.“ Thomas Stümmler hat es auf jeden Fall getan, denn im Zuge des Rückzugs seines Vorstandskollegen Jens Reckendorf hat er kürzlich sämtliche Stücke von Reckendorf übernommen – es geht um immerhin gut 1,53 Millionen Aktien – und dafür 5,5 Mio. Euro (entsprechend einem Stückpreis von 3,59 Euro) auf den Tisch gelegt.
Damit summiert sich sein Anteil an dem Hersteller von Kassensystemen für Restaurants und Bäckereibetriebe jetzt auf 41,4 Prozent. Der Rest befindet sich im Streubesitz. Keine Frage: Vectron strapaziert die Geduld der Anleger nun schon seit Jahren und die meisten Investoren haben längst aufgehört, die Liste an verfehlten Prognosen, Gewinnwarnungen und strategischen Winkelzügen zu zählen. Hinzu kommt, dass es nach den kräftezehrenden Corona-Schließungen für etliche Gastrobetriebe mit Energiepreisexplosion und allgemeiner Konsumzurückhaltung gleich in den nächsten Krisenmodus geht – nicht gut fürs Geschäft. Und trotzdem hat die Investmentstory von Vectron Systems für boersengefluester.de noch immer ihren Reiz. Im Kern geht es dabei weiterhin um die Bestrebungen der Münsteraner, die Umsätze aus dem klassischen Kassenverkauf durch möglichst viele digitale Extraservices massiv anzukurbeln. Im Idealfall könnte das bis hin zu einem Faktor von 10 möglich sein, rechnet Thomas Stümmler auf der ZKK vor.
Mit den Basismodulen aus dem Digitalpaket bietet Vectron bereits seit geraumer Zeit Extras wie Kassenbackup, Rechnungs- oder auch Fiskalarchiv an und erzielt damit vorzeigbare – und vor allen Dingen regelmäßig wiederkehrende – Erlösströme. Interessanter Nebeneffekt ist, dass Vectron als Anbieter dieser Services nun auch an Kundendaten kommt. Das ist insofern ein Game-Changer, weil der Vertrieb der Kassen indirekt über Fachhändler läuft und Vectron im Einzelfall bislang gar nicht unbedingt wusste, wo die Kassen überall stehen. Ein System, das Thomas Stümmler aber auch nicht grundlegend ändern will, immerhin zeigen die tiefroten Zahlen von Wettbewerbern, welche Summen ein eigenes Vertriebsteam verschlingt. „Der Fachhandel ist ein Asset für uns, keine Verbindlichkeit“, sagt Stümmler.
Sofort aufgegriffen hat boersengefluster.de die Anregung von Stümmler, sich einmal die Q2-Präsentation der börsennotierten US-Company Toast anzusehen. Die auf cloudbasierte Kassenlösungen für die Systemgastronomie spezialisiert Gesellschaft erwirtschaftete 2021 bei Erlösen von 169 Mio. Dollar einen Fehlbetrag von 487 Mio. Dollar und wird an der Börse mit umgerechnet rund 6,6 Mrd. Euro bewertet. Von so einer Marktkapitalisierung kann Vectron nur träumen. Dabei ist das grundsätzliche Geschäftsmodell von Toast mit seinen zurzeit 15 auf das eigentliche Kassenmodul aufgesetzten digitalen Zusatzleistungen beinahe exakt so ausgerichtet, wie es Stümmler für Vectron vor Augen schwebt. Konsequenz: Die Hardware-Umsätze spielen in der gesamten Erlösstruktur von Toast nur noch eine marginale Rolle. Eine Mixtur, die bei den Investoren offenbar gut ankommt.
Um diesen Zustand zu erreichen, muss Vectron aber noch viel Überzeugungsarbeit bei den Kunden leisten und eben auch entsprechend liefern an der Börse. Immerhin: „Payment wird für uns recht schnell ein spannendes Thema werden“, verbreitet Stümmler Zuversicht. Die jüngste Gewinnwarnung – gepaart mit einem Kostensenkungsprogramm durch die Auslagerung von Teilen der Hardwareproduktion – hat die Aktie dabei erstaunlich gut weggesteckt. So lautet die aktuelle Prognose für 2022 nun auf Erlöse zwischen 27 und 30 Mio. Euro sowie einem Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) von minus 2,05 Mio. bis minus 0,45 Mio. Euro. Die Analysten von GBC haben das Kursziel für die Vectron-Aktie zwar leicht gestutzt, kommen aber immer noch auf recht hohe 9,35 Euro. Das wäre dann tatsächlich die von Thomas Stümmler erwähnte „Ultra-Gelegenheit“.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Peter-Thilo Hasler von Sphene Capital den Investmentcase komplett anders sieht und seine Dauer-Verkaufen-Einschätzung mit einem Kursziel von gerade einmal etwas mehr als 1 Euro – entsprechend der Netto-Cash-Position des Unternehmens – versieht. Krasser könnten die Unterschiede kaum sein. Entsprechend ist der im Frankfurter Freiverkehrssegment Scale gelistete Titel auch nur etwas für sehr risikobereite und erfahrene Anleger.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 32,38 | 24,83 | 25,17 | 27,77 | 38,23 | 25,22 | 37,02 | |
EBITDA1,2 | 2,25 | -0,45 | -1,37 | -2,19 | 4,71 | -3,86 | 3,72 | |
EBITDA-Marge3 | 6,95 | -1,81 | -5,44 | -7,89 | 12,32 | -15,31 | 10,05 | |
EBIT1,4 | 1,74 | -2,13 | -1,76 | -2,58 | 3,12 | -5,36 | 0,00 | |
EBIT-Marge5 | 5,37 | -8,58 | -6,99 | -9,29 | 8,16 | -21,25 | 0,00 | |
Jahresüberschuss1 | 1,08 | -3,88 | -1,39 | -2,07 | 2,44 | -5,27 | -0,78 | |
Netto-Marge6 | 3,34 | -15,63 | -5,52 | -7,45 | 6,38 | -20,90 | -2,11 | |
Cashflow1,7 | -1,46 | -2,32 | -2,51 | -3,77 | 10,18 | -2,05 | 7,20 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,16 | -0,58 | -0,17 | -0,26 | 0,30 | -0,65 | -0,10 | |
Dividende8 | 0,05 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Nexia |
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