Komplett gaga, was zurzeit bei Ultrasonic abgeht. Erst bestätigt der kurz vor dem Abschied stehende Finanzvorstand, Clifford Chan, der verdutzten Anlegerschar, dass der Firmengründer, Qingyong Wu, und sein Sohn, Minghon Wu, nicht mehr „auffindbar“ sind und sich der „ganz überwiegende Teil“ der liquiden Mittel nicht mehr im Einflussbereich des Unternehmens befinden. Einfach ausgedrückt heißt das wohl: Die beiden haben sich mit der gesamten Kohle der Anleger und der Banken aus dem Staub gemacht. Kein Wunder, dass Panik an der Börse ausbricht. Schließlich kreist der Pleitegeier über dem Unternehmen. Da sind 85 Prozent Kurseinbruch eine logische Reaktion. Anschließend wird es aber richtig bizarr: Da meldet sich der verschollen geglaubte Vorstand über ein Videoportal zu Wort und berichtet, dass alles ein großes Missverständnis sei. Er wäre lediglich im Urlaub gewesen, habe dort sein Handy verloren und konnte sich daher nicht melden. Das Geld sei noch vorhanden. Und natürlich werde nachgeforscht, wie solch böse Gerüchte in die Welt kommen konnten.
Was sich nach einer Märchenstunde anhört, scheint hartgesottene Zocker zu überzeugen. Immerhin sorgte die Videobotschaft des abgetauchten Wu Qingyong für einen Run auf Ultrasonic-Aktien. In der Spitze explodiert die Notiz um rekordverdächtige 336 Prozent auf 3,97 Euro. Das entspricht einem Zugewinn an Marktkapitalisierung von rund 39 Mio. Euro. Tappen die Anleger nun in die nächste Falle? Immerhin steht die AG noch immer mit einem Bein vor der Insolvenz, da Nomura einen Kreditrahmen über 60 Mio. Dollar fällig gestellt hat. Da passt eine Marktkapitalisierung von zurzeit wieder mehr als 50 Mio. Euro nicht wirklich ins Bild. Derweil kursieren in Frankfurter Bankenkreisen die ersten Erklärungsversuche für den so unglaublich klingenden Fall.
Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Umstand, dass die ganze Angelegenheit mittlerweile auch in China für Schlagzeilen sorgt. Eine Erklärungsvariante besagt, dass Firmenlenker Wu sich massiv verhoben hat – etwa durch Immobilienspekulationen – und nicht ganz zimperliche Gläubiger hinter ihm her sind. In dieser Situation soll Wu sich an der Firmenkasse vergriffen und gemeinsam mit seiner Familie die Flucht angetreten haben. Noch ist offen, wie es überhaupt sein kann, dass jemand alle Konten räumt und die Banken keinen Alarm schlagen. Doch das ist eine andere Frage. Nicht auf der Rechnung hatte Wu offenbar, dass die Räuberpistole um Ultrasonic auch in China viel Staub aufgewirbelt hat. Möglicherweise gab es ein neues Agreement mit den Gläubigern, wodurch Wu ein wenig Zeit gewonnen hat – aber das ist reine Spekulation.
Bestenfalls als halbherzig ist jedenfalls sein Versuch zu bezeichnen, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Eine Videobotschaft mit hanebüchenen Ausreden wirkt nicht gerade Vertrauen erweckend. Ein Termin mit dem noch aktiven Finanzvorstand auf dem Firmengelände von Ultrasonic ließ Wu dem Vernehmen nach platzen. Angeblich haben die beiden aber zumindest telefoniert. Auch soll das operative Geschäft noch nicht komplett zum Erliegen gekommen sein – trotz der enormen Unsicherheit. Dabei dürften Lieferanten ihre Warensendungen wohl nur noch gegen Vorkasse leisten, wenn sie sich nicht schon komplett von der Firma abgewendet haben.
Vor diesem Hintergrund ist die scharfe Kurserholung der Ultrasonic-Aktie ein Spiel mit dem Feuer. Die Informationslage ist vollständig verworren. Eine belastbare Entscheidungsgrundlage haben Anleger nicht. Zudem schwebt das Damoklesschwert des fällig gestellten Nomura-Kredits über der Aktie. Und einfach so zurückkommen und sagen, „Hallo, da bin ich wieder. Tut mir leid wegen des ganzen Ärgers. Hier ist übrigens das ganze Geld.“– kann Wu ohnehin nicht. Interessant wird, wie intensiv sich die chinesischen Behörden mit dem Fall beschäftigen werden. Aber auch die heimische Finanzaufsicht ist gefordert. Ohne eine lückenlose Aufklärung werden es wohl sämtliche China-Aktien mit Hauptnotiz in Deutschland künftig noch schwerer haben. Schließlich ist Ultrasonic kein Einzelfall. Boersengefluester.de wird in den kommenden Tagen ausführlich berichten.
Bild: Karl-Heinz Geiger