Normalerweise wäre der jüngste Vorstoß von US-Präsident Joe Biden, den Besitz von Marihuana in den Vereinigten Staaten zu entkriminalisieren und damit die gesamte Drogenpolitik zu lockern, die perfekte Steilvorlage für den Aktienkurs von Synbiotic gewesen. Immerhin ist das Unternehmen mit ihren zum Konzernverbund gehörenden Unternehmen die mit Abstand größte Cannabis-Gruppe auf dem heimischen Kurszettel. Aktueller Börsenwert: Knapp 55 Mio. Euro. Doch der erhoffte Kursschub durch das von Joe Biden eingelöste Wahlversprechen ist bislang ausgeblieben, zu sehr schauen die Anleger offenbar darauf, wie die politischen Weichenstellungen in Deutschland aussehen werden. Vermutlich Ende Oktober soll es zumindest ein Eckpunktepapier für die avisierte Legalisierung von Cannabis als Genussmittel geben. Spätestens Anfang 2023 soll dann der Gesetzesentwurf folgen.
Noch ist offen, welchen Weg Deutschland genau bei der Liberalisierung gehen wird – so unterschiedlich ticken die einzelnen Partien in dieser Frage. Hinzu kommt, dass sich politische Gewichte auf der Agenda durch Corona und den Ukraine-Krieg merklich verschoben haben. Jedenfalls hatten die Börsianer die Hoffnung, dass sich nach der Bundestagswahl vor mittlerweile gut einem Jahr sehr viel schneller etwas ändern würde – entsprechend gehörte die Aktie von Synbiotic zwischenzeitlich zu den Highflyern an der Börse. Davon ist momentan nicht mehr viel zu spüren, mit Kursen etwas unterhalb von 13 Euro notiert der Spezialwert sogar in der Nähe des Jahrestiefs.
Keine Frage: So attraktiv und gut zusammenpassend das Firmenportfolio von außen aussieht, in Sachen Reporting und Investor Relations muss sich bei Synbiotic einiges verbessern. Noch immer fehlt ein Konzernabschluss für 2021 und auch die Halbjahreszahlen 2022 beziehen sich nur auf die Einzelebene. Die Hauptversammlung (HV) sollte laut Homepage bereits im August 2022 stattfinden – bislang gibt es aber gar keine Einladung für die HV. Kürzlich fand eine Kapitalerhöhung statt, bei der die Gesellschaft 142.261 Anteilscheine zu je 12 Euro – entsprechend einem Brutto-Erlös von rund 1,7 Mio. Euro – platzieren könnte. Ursprüngliches Ziel war es, bis zu 334.000 Aktien zu einem Preis von 15 Euro unterzubringen. Doch der schwache Gesamtmarkt machte Synbiotic einen Strich durch die Rechnung, und ohne das starke Engagement von Ankerinvestor Christian Angermayer (Apeiron Investment Group) wäre das Ergebnis wohl nochmals anders ausgefallen.
Summa summarum stufen die Analysten von AlsterResearch den Ausgang der Kapitalerhöhung aber als Erfolg ein und sehen positive Rückwirkungen auf das operative Geschäft sowie einen vergrößerten Spielraum für weitere Firmenzukäufe. Entsprechend bleibt Analyst Harald Hof bei seiner Kaufen-Einschätzung – mit einem leicht reduzierten Kursziel von 42 Euro. Das wiederum entspricht noch immer einem potenziellen Verdreifacher. Für risikobereite Investoren kann es also lohnend sein, auf ermutigende politische Signale aus Berlin zu spekulieren. Der Countdown dafür läuft jedenfalls, auch wenn sämtliche Schritte im Einklang mit europäischem Recht stehen müssen, was die Sache zusätzlich verkompliziert.
Um Missverständnissen vorzubeugen: In vielen Bereichen der Wertschöpfungskette – vom Bio-Hanf-Anbau bis hin zum Vertrieb von pharmazeutischen Produkten – ist Synbiotic schon jetzt völlig legal unterwegs. Eine Legalisierung von Cannabis – konkret geht es in erster Linie um eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften – wäre für Synbiotic jedoch unter anderem gleichbedeutend mit einem Startschuss für die bereits mit der Gastronomiegruppe Enchilada (unter anderem Enchilada, dean & david oder auch Pommes Freunde) geschlossene Kooperation, um ein Franchise-System für eine eigene Cannabis-Ladenkette in Deutschland zu eröffnen. Ein Projekt, was für eine erheblich größere Visibilität von Synbiotic sorgen sollte. Der Hebel ist also enorm. Am Ende wird es aber auch für CEO Lars Müller entscheidend sein, Synbiotic möglichst rasch in die schwarzen Zahlen zu bewegen. Gerade in schwierigen Börsenzeiten ist das noch immer die stabilste Währung.
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