Meistens ist die Sache klar. Wenn Anleger die Wahl zwischen Stämmen und Vorzügen haben, werden sie sich für die liquidere Variante entscheiden – egal ob sie mit Stimmrecht ausgestattet ist oder kein Mitspracherecht bietet, dafür aber einen Vorzug bei der Dividende. Innerhalb der DAX-Familie (DAX, MDAX, SDAX und TecDAX) haben immerhin elf Unternehmen zwei Aktiengattungen im Umlauf. Vor einem Jahr waren es noch zwölf Firmen, doch der Dialysekonzern Fresenius Medical Care hat seine – bei internationalen Investoren eher unbeliebten – Vorzugsaktien mittlerweile in Stämme umgewandelt. Ähnlich ProSiebenSat.1: Auch hier gibt es seit August 2013 nur noch Stammaktien. Allerdings waren früher lediglich die Vorzüge des TV-Konzerns börsennotiert.
Für clevere Privatanleger bieten Unternehmen mit zwei Aktiengattungen regelmäßig interessante Investmentchancen. Teilweise locken Vorzugsaktien mit attraktiven Renditevorteilen bei der Dividende, was gerade zur Hauptversammlungszeit ein stichhaltiges Argument sein kann. Losgelöst davon bieten sich immer wieder Tradinggelegenheiten, denn nicht immer laufen beide Aktiengattungen komplett synchron. Boersengefluester.de hat eine umfangreiche Performanceanalyse erstellt und die durchschnittlichen Kursabstände für die Titel aus DAX, MDAX, SDAX und TecDAX mit Sicht auf sieben verschiedene Zeiträume ermittelt – vom aktuellen Spread, über die monatsweise Betrachtung, bis hin zum Jahresrhythmus.
Auffällig sind zunächst einmal die teilweise enormen Unterschiede bei den Kursabständen zwischen beiden Gattungen. Bei BMW, Metro und RWE sind die Stämme um jeweils knapp 30 Prozent teurer als Vorzugsaktien. Hauptgrund: Bei diesem Trio machen die Vorzüge nur einen Bruchteil des Gesamtkapitals aus und waren in erster Linie als Anreizinstrument für Mitarbeiter gedacht. Was kaum bekannt ist: Manche Unternehmen wählten den Weg der stimmrechtslosen Vorzüge für die Belegschaftsaktien auch, um die Hallengröße für die Hauptversammlung nicht auf Stadiongröße ausweiten zu müssen. Mitunter sind aber auch fast gar keine Kursunterschiede zwischen den Aktienpaaren festzustellen – etwa bei Biotest, MAN und Volkswagen. Außerdem gibt es den Fall, dass die Vorzüge sogar mehr kosten als die mit Stimmrecht ausgestatteten Stämme. Dieses Phänomen trifft derzeit insbesondere auf den Medizintechnikkonzern Drägerwerk sowie Henkel zu und hängt mit der Eigentümerstruktur – und der sich daraus ergebenden Handelsliquidität – zusammen.
Angesichts der zuletzt eher festen Gesamtmärkte ist kaum verwunderlich, dass bei den bekannten Blue Chips und Mid Caps die im jeweiligen Auswahlindex vertretene Aktiengattung das Tempo vorgibt. Noch bewegen sich die prozentualen Kursunterschiede bei den meisten Werten aber nicht signifikant über den historischen Mittelwerten. Hier heißt die Devise für Anleger: Sollte sich der Spread deutlich vergrößern, lohnt ein Blick auf die jeweils nicht im Index vertretene Gattung. Zumindest auf die Watchlist gehört unter diesem Gesichtspunkt schon mal die Metro-Vorzugsaktie. Momentan wird das Papier mit einem Abschlag von 22,76 Prozent auf die Stämme des Handelsunternehmens gehandelt. In den vergangenen drei Monaten lag diese Spannbreite im Schnitt bei nur 18,88 Prozent – auf Jahressicht bei 17,89 Prozent. Wem die Metro-Vorzüge zu exotisch sind, kann aber auch auf die Stämme setzen. Nach längerer Talfahrt scheint sich hier eine Trendwende nach oben auszubilden.
Das gegenteilige Bild liefert Fuchs Petrolub. Bei dem Schmierstoffhersteller sind die Vorzüge im MDAX enthalten. Die Stämme befinden sich mehrheitlich in Familienbesitz – und werden daher weniger rege gehandelt. Zuletzt hatte Fuchs ein größeres Aktienrückkaufprogramm über jeweils 740.000 Stämme und Vorzüge abgeschlossen. Mit Wirkung zum 5. Juni steht nun die Ausgabe von Berichtigungsaktien im Verhältnis 1:1 an. Von Teil 1 der Kapitalmaßnahmen hatten zuletzt die Stämme spürbar mehr profitiert, so dass der Kursabstand zwischen beiden Gattungen auf nur noch 4,56 Prozent geschmolzen ist. Üblich waren in der Vergangenheit eher Differenzen im zweistelligen Prozentbereich. Rein unter diesen Aspekt haben die Vorzüge von Fuchs Petrolub nun ein gewisses Nachholpotenzial.
Beinahe noch krasser ist die jüngste Entwicklung bei dem Medizintechnikanbieter Sartorius. Hier verzeichneten die Stämme zuletzt eine deutlich bessere Performance als die im TecDAX enthaltenen Vorzüge und haben den Kursabstand auf 8,25 Prozent schwellen lassen. Normal sind – je nach Betrachtungszeitraum – eher Werte zwischen einem und drei Prozent. Nun kommt es drauf an: Können die Vorzüge die Lücke wieder verringern oder folgen die Stämme den Vorzügen kurzfristig Richtung Süden. Auf diese Weise könnte die Differenz schließlich auch wieder auf Normalmaß gestutzt werden. So ganz klar ist es an der Börse aber eben nicht immer. Sonst wäre es mit dem Geldverdienen auch viel zu einfach.