Politik und Börse sind normalerweise zwei Paar Schuhe. Kaum ein Vorstand, der sich in Geschäfts- oder Zwischenberichten bzw. via Social Media mit einer dezidierten Meinung zu brisanten Themen aus der Parteipolitik äußert. Bloß nicht anecken und möglicherweise einen Shitstorm riskieren. Wolfgang Trier, CEO von Softing, ist da anders. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, und das finden wir gut. Aus Investorensicht besonders interessant in diesem Zusammenhang ist freilich, dass Wolfgang Trier – so zumindest unser Eindruck – immer dann zur Höchstform aufläuft, wenn die Zahlen von Softing in die richtige Richtung laufen. Stimmt diese Theorie, dann sollte die im Prime Standard gelistete Aktie jetzt wohl unbedingt einen Blick wert sein. Am besten dazu einfach mal das drastische Vorwort (PDF-Seite 4) aus dem jetzt vorgelegten Halbjahresberichts lesen. Die Interpretation des Zahlenteils übernimmt dafür im Gegenzug auch boersengefluester.de.
Auffällig – und in diesem Umfang so auch noch nie dagewesen – ist der rasante Anstieg des Auftragseingangs von 48,8 auf 90,7 Mio. Euro. Grundsätzlich ist diese Dynamik ein großer Erfolg für Softing, allerdings spiegelt sich hierin auch die massiven Probleme auf der Beschaffungsseite wider. Vieles türmt sich momentan an Bestellungen auf, ohne dass verlässlich vorhersehbar ist, wann das Orderbuch zu Umsatz wird. „Für reguläre Bestellungen bei den Herstellern von Halbleitern werden teils Lieferzeiten von über einem Jahr bestätigt, können aber ebenso früher oder später geliefert werden“, sagt Trier. Sollte sich der Knoten überraschend früh auflösen, wäre es sogar möglich, dass Softing für 2022 erstmals Erlöse von über 100 Mio. Euro erzielt. Zur Einordnung: Die offizielle Prognose liegt bei mehr als 90 Mio. Euro, der bisherige Rekordumsatz waren 91,1 Mio. Euro im Jahr 2019 – der Vergleichswert von 2021 beträgt 84,7 Mio. Euro.
So gesehen befindet sich das Unternehmen aus Haar in der Nähe von München mit Umsätzen von zum Halbjahr knapp 45,6 Mio. Euro (Vorjahr: 39,5 Mio. Euro) sicher auf Kurs, zumal das zweite Halbjahr für Softing normalerweise nochmals stärker ist. Ein ordentliches Stück entfernt bleibt das Unternehmen allerdings auch 2022 von den selbst gesteckten zweistelligen Margenzielen. Das zum Halbjahr ausgewiesene Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) von 1,9 Mio. Euro (Vorjahr: minus 0,6 Mio. Euro) deutet zwar auf eine kräftige Verbesserung hin, allerdings stammt ein nicht unerheblicher Teil aus Währungsgewinnen. Alles andere als überzeugend sind derweil die zum Halbjahr ausgewiesenen Ergebnisse der einzelnen Segmente Industrial, Automotive und IT Networks auf EBIT-Ebene.
Insbesondere Industrial und IT Networks mussten aufgrund der Beschaffungsschwierigkeiten deutlich Federn lassen, so dass ausgerechnet der Sammelposten „Sonstige“ mit fast 3,9 Mio. Euro EBIT zum Halbjahr der größte Ergebnisbringer im Konzern ist. Mit Blick auf das Gesamtjahr ist weiterhin alles möglich: Von der offiziellen EBIT-Prognose zwischen 1,5 und 2,0 Mio. Euro – bis hin zu einem leicht negativen Wert oder auch einer spürbar besseren Entwicklung. Vieles hängt einfach davon ab, ob die globale Wirtschaft im Zuge der Energiekrise, des inflationären Umfelds sowie der allgemein aus den Fugen geratenen Lieferketten tatsächlich in ein Rezession gleitet oder doch irgendwie die Kurve kriegt.
Immerhin – und das ist die gute Nachricht – gibt es bei Softing nach vielen enttäuschenden Jahren endlich wieder signifikantes Wachstum. Verglichen damit sieht die Bewertung auf gerade einmal der Höhe des Eigenkapitals, entsprechend einem KBV von 1, viel zu niedrig aus. Ganz zu schweigen vom potenziellen Hebel auf der Ergebnisseite.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 78,71 | 83,89 | 91,07 | 77,60 | 84,69 | 98,31 | 112,60 | |
EBITDA1,2 | 6,84 | 9,02 | 12,12 | 7,76 | 9,07 | 9,73 | 13,92 | |
EBITDA-Marge3 | 8,69 | 10,75 | 13,31 | 10,00 | 10,71 | 9,90 | 12,36 | |
EBIT1,4 | 2,35 | 4,08 | 4,30 | -3,93 | -0,48 | 0,76 | -2,72 | |
EBIT-Marge5 | 2,99 | 4,86 | 4,72 | -5,06 | -0,57 | 0,77 | -2,42 | |
Jahresüberschuss1 | 0,73 | 3,33 | 2,93 | -4,58 | -0,07 | -1,18 | -5,71 | |
Netto-Marge6 | 0,93 | 3,97 | 3,22 | -5,90 | -0,08 | -1,20 | -5,07 | |
Cashflow1,7 | 3,56 | 9,43 | 10,37 | 4,91 | 11,05 | 3,82 | 9,10 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,10 | 0,38 | 0,31 | -0,50 | 0,01 | -0,13 | -0,63 | |
Dividende8 | 0,13 | 0,13 | 0,04 | 0,04 | 0,10 | 0,10 | 0,13 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Rödl & Partner |
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