Über die Aktie von Softing berichtet boersengefluester.de regelmäßig. Immerhin ist der Anteilschein des Anbieters von Software- und Hardware-Produkten für die Messung und Steuerung von Datenaustauschprozessen so etwas wie ein Hoffnungswert mit viel Aufwärtspotenzial. Angesichts der von allen Seiten geführten Diskussion um die aus den Fugen geratenen Zulieferketten für Elektronikbauteil haben wir jetzt beim Vorstandsteam von Softing zur aktuellen Lage nachgefragt. „Bisher waren wir durch unsere sorgfältige Vorausplanung noch gut versorgt, aber durch das Umsatzwachstum leeren sich die Lager schneller als geplant“, sagt CEO Wolfgang Trier. Und CFO Ernst Homolka ergänzt: „Mit dieser Herausforderung werden wir voraussichtlich noch länger leben müssen. Wir überlegen daher tatsächlich für die Guidance 2022 mit Szenarien oder einem breiteren Korridor zu arbeiten.“ Per saldo ist das Vorstandsteam mit der Entwicklung in den einzelnen Segmenten aber durchaus zufrieden. Entsprechend bleibt die Aktie für boersengefluester.de ein aussichtsreicher Spezialwert. Am 15. November steht der Q3-Report an.
Herr Dr. Trier, bei unserem Interview im November 2020 (HIER) haben Sie für 2021 angekündigt, sich „in Umsatz und Ertrag 2021 deutlich nach vorn arbeiten“ zu wollen. Ist Ihnen das im bisherigen Jahresverlauf so gelungen wie erhofft?
Dr. Wolfgang Trier: Ja, das ist uns definitiv gelungen. Wir gehen je nach Verlauf des vierten Quartals im Jahr 2021 von einem zweistelligen Umsatzwachstum aus. Wären nicht die Unsicherheiten und Begrenzungen in der Verfügbarkeit elektronischer Bauteile, wäre auch mehr denkbar. Der Ertrag hat sich ebenfalls deutlich verbessert, für das kommende Jahr erwarten wir aber noch weitere Steigerungen.
Herr Homolka, ohne schon konkrete Zahlen für das dritte Quartal zu nennen: Konnten Sie wieder an die zum Jahresauftakt gesehene Dynamik anknüpfen oder gab es eher eine Sommerflaute im Auftragseingang?
Ernst Homolka: Einem starken Auftakt im ersten Quartal folgte ein eher maues zweites Quartal. Im dritten Quartal hat unser Geschäft wieder etwas mehr Fahrt aufgenommen und wird uns in den ersten neun Monaten wie erwartet ein gutes Wachstum im Umsatz bei einer sehr deutlichen Verbesserung im operativen EBIT bescheren. Wirklich beeindruckend ist das Wachstum beim Auftragseingang trotz der Krisen. Hier erwarten wir eine deutliche Steigerung, welche eine sehr gute Grundlage für die kommenden Quartale legt.
Demnach ist die Ergebnisprognose für das Gesamtjahr gut untermauert?
Ernst Homolka: Das vom Kapitalmarkt besonders beachtete operative EBIT, also das EBIT nach Bereinigung von Investitionen und Abschreibungen, hat sich im bisherigen Jahresverlauf sehr positiv entwickelt. Hier erwarten wir ein klares Erreichen unserer Guidance. Etwas anders sieht es beim klassischen EBIT aus, da wir im Vergleich zu den Vorjahren im Geschäftsjahr 2021 weniger Entwicklungsleistungen aktivieren werden. Diese geringere Aktivierung war in unserer bisherigen EBIT-Guidance nicht berücksichtigt.
Die vergleichsweise hohen Aktivierungen waren in der Vergangenheit ein Kritikpunkt von Investorenseite.
Ernst Homolka: IFRS macht klare Vorgaben, was aktiviert werden muss und was nicht. Der Spielraum hält sich hier in engen Grenzen. Richtig ist aber, dass sich durch die Struktur in diesem Jahr eine geringere Aktivierung ergeben wird als im Vorjahreszeitraum. Dies wird sich in einer Spreizung zwischen dem operativen EBIT und dem Konzern-EBIT bemerkbar machen. Aber trotz einer kurzfristig schwächeren Entwicklung beim Konzern-EBIT baut dies Risiken ab. Die Stärkung des operativen EBIT und damit des Cashflows ist unser primäres Ziel.
Herr Dr. Trier, wie sehr behindert Sie die bereits angesprochene eingeschränkte Verfügbarkeit elektronischer Bauteile? Ist das auch ein Thema für das laufende Quartal?
Dr. Wolfgang Trier: Das ist tatsächlich derzeit der größte begrenzende Faktor im Wachstum. Mit großem Aufwand in der Beschaffung und zusätzlichen Kosten wurden bisher Lieferausfälle bei den langfristig geplanten Bedarfen für Stammkunden vermieden, aber immer wieder kommen Lieferungen elektronischer Bauteile verzögert und unvollständig. Teilweise konnten zusätzliche Bedarfe jedoch nicht befriedigt werden. Bisher waren wir durch unsere sorgfältige Vorausplanung noch gut versorgt, aber durch das Umsatzwachstum leeren sich die Lager schneller als geplant. Vom Auftragseingang und der Nachfrage her könnten wir bei unbeschränkter Verfügbarkeit im laufenden Jahr etwa 5 bis 10 Mio. Euro zusätzlichen Umsatz machen. Das bringt unsere Umsatzprognose nicht in Gefahr, bremst aber unser Wachstum.
Herr Homolka, wie ist es generell um die mittelfristige Planung bestellt? Hat sich die Visibilität nun wieder weitgehend normalisiert oder müssen Sie nach wie vor mit größeren Planungskorridoren arbeiten?
Ernst Homolka: Die Probleme haben sich verlagert. Wir kommen von einer Nachfrageschwäche während der Hochphase der Pandemie. Inzwischen hat die Nachfrage massiv zugelegt. Bei allen Hardware-basierten Leistungen begrenzt uns nun die Verfügbarkeit der elektronischen Bauteile. Mit dieser Herausforderung werden wir voraussichtlich noch länger leben müssen. Wir überlegen daher tatsächlich für die Guidance 2022 mit Szenarien oder einem breiteren Korridor zu arbeiten. Bisher konnten wir die Nachfrage weitestgehend befriedigen und zum Ende immer noch die meisten benötigten Bauteile erwerben. Bei dem für 2022 angestrebtem weiteren Wachstum wird dies bei Anhalten der Lieferengpässe aber immer herausfordernder werden.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 78,71 | 83,89 | 91,07 | 77,60 | 84,69 | 98,31 | 112,60 | |
EBITDA1,2 | 6,84 | 9,02 | 12,12 | 7,76 | 9,07 | 9,73 | 13,92 | |
EBITDA-Marge3 | 8,69 | 10,75 | 13,31 | 10,00 | 10,71 | 9,90 | 12,36 | |
EBIT1,4 | 2,35 | 4,08 | 4,30 | -3,93 | -0,48 | 0,76 | -2,72 | |
EBIT-Marge5 | 2,99 | 4,86 | 4,72 | -5,06 | -0,57 | 0,77 | -2,42 | |
Jahresüberschuss1 | 0,73 | 3,33 | 2,93 | -4,58 | -0,07 | -1,18 | -5,71 | |
Netto-Marge6 | 0,93 | 3,97 | 3,22 | -5,90 | -0,08 | -1,20 | -5,07 | |
Cashflow1,7 | 3,56 | 9,43 | 10,37 | 4,91 | 11,05 | 3,82 | 9,10 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,10 | 0,38 | 0,31 | -0,50 | 0,01 | -0,13 | -0,63 | |
Dividende8 | 0,13 | 0,13 | 0,04 | 0,04 | 0,10 | 0,10 | 0,13 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Rödl & Partner |
Herr Dr. Trier, für Ihre Tochter GlobalmatiX hatten Sie im November 2020 „erste große Installationen in 2021“ in Aussicht gestellt. Wie ist hier der aktuelle Stand? Sind Sie im Zeitplan, was die Gewinnung erster Schlüsselkunden anbetrifft?
Dr. Wolfgang Trier: Tatsächlich haben wir einen ersten Kunden mit einem zweijährigen Rahmenvertrag über insgesamt 10.000 Einheiten gewonnen. Erfreulicherweise verlaufen die Installationen sehr erfolgreich und werden vermutlich die Plangröße eher überschreiten. Mit den Bedarfen von weiteren Kunden erwarten wir die von uns für 2021 geplante Installation von 10.000 Einheiten noch in diesem Jahr. Es stehen hierzu weitere Abschlüsse mit Kunden aus dem Bereich Autovermietung und Car-Sharing an. Was uns derzeit stark beschäftigt ist die Frage, wie wir bei Nachfragen in 2022 von 20.000 Stück oder gar deutlich mehr die kritischen Bauteile für die Telematik-Boxen beschaffen können.
Über welche Wettbewerbsvorteile verfügt GlobalmatiX? Und sind diese auch durch Patente geschützt?
Dr. Wolfgang Trier: Unser Wettbewerbsvorteil ist ein Mix aus vier bis fünf Faktoren. Ein großer Vorteil ist die Tatsache, dass wir mit einer einzigen Hardware alle Fahrzeugtypen abdecken können. Dazu kommt, dass wir aus technischer Sicht das einzige Unternehmen sind, dass sogenannte Bagatellunfälle mit Geschwindigkeiten unter 15 km/h verlässlich detektieren und analysieren kann. Auf diese Klasse von Unfällen entfallen mehr als 50 Prozent aller Unfälle. Ferner haben wir uns ein Partnernetzwerk aufgebaut, mit dem wir Kunden in weniger als einer Minute nach einem Unfall eine Schadenakte zukommen lassen können, die in vielen Fällen im Inhalt und in der Genauigkeit der ermittelten Schadensumme dem menschlichen Gutachter überlegen war. Dazu kommt, dass wir aus den Fahrzeugen nahezu alle Daten „over the air“ extrahieren können und als Mobilfunkbetreiber die gesamte Wertschöpfungskette von der Hardware bis zum Eintreffen der Daten in einer Cloud selbst kontrollieren.
Welche Rolle spielen Sicherheitsaspekte beim Ausrollen der GlobalmatiX-Lösung? Wie gut sind die Fahrzeuge vor einem unbefugten Zugriff geschützt?
Dr. Wolfgang Trier: Die Unfallerkennung und -bewertung von GlobalmatiX spannt über ausgerüsteten Fahrzeugen einen Schutzschirm auf, sowohl bei der Erkennung selbst verursachter Unfälle wie beim Nachweis fremdverursachter Schäden. Da ist es unabdingbar, diesen Schutz auch über die Übermittlung der Daten in eine Cloud sicherzustellen. Auch muss verlässlich vermieden werden, dass Dritte auf die Geräte im Fahrzeug zugreifen. Hierzu haben wir einen komplexen und dynamischen Sicherheitsmechanismus entwickelt. Wir, wie auch unsere Kunden, haben diesen Mechanismus immer wieder von professionellen „Hackern“ prüfen lassen. Bei umfangreichen Tests diverser Telemetrielösungen waren wir der einzige Anbieter, in dessen Datenübertragung niemand eindringen konnte. Diesen Sicherheitsmechanismus haben wir zum Patent eingereicht. Das Patent wurde kürzlich vollumfänglich erteilt.
Im Segment IT Networks wollen Sie neue Produkte vorstellen. Können Sie uns hier schon Details verraten? Und welche Bedeutung haben diese für die weitere Entwicklung von IT Networks?
Dr. Wolfgang Trier: IT Networks hat in diesem Jahr bereits ein neues Gerät in den Markt gebracht. Nun stehen weitere Messgeräte für die Beurteilung von Datenleitungen auf Kupfer- und Lichtwellenleiter an. Mindestens ein Gerät wird dieses Jahr noch präsentiert werden, zwei bis drei weitere Geräte mit klaren Alleinstellungsmerkmalen folgen im Jahr 2022. Damit verbreitern wir unsere Palette erheblich. Wir gehen davon aus, in circa zwei Jahren nicht nur in Zentraleuropa, sondern auch in den USA und in Asien mit IT Networks die Nummer zwei im Markt zu werden. Dabei arbeiten wir uns auch immer näher an den Markführer heran. In den nächsten drei Jahren wollen wir den Segmentumsatz von IT Networks von derzeit rund 10 Mio. Euro verdoppeln.
Herr Homolka, die liquiden Mittel sind im ersten Halbjahr auf 12,5 Mio. Euro gestiegen. Da stellt sich fast zwangsläufig die Frage nach möglichen Akquisitionen. Ist das für Softing aktuell ein Thema?
Ernst Homolka: Trotz erheblicher Tilgungsleistungen für langfristige Finanzierungen verbessert sich unsere Cash-Situation kontinuierlich. Wir können uns vorstellen, dies für eine Erhöhung der Dividenden einzusetzen. Aber wir prüfen auch Zukäufe dort, wo wir uns strategisch erweitern wollen. Hierzu laufen Gespräche, ohne dass wir hierzu jedoch bereits Stellung nehmen können. Generell ist der Konzern bisher durch die verschiedenen Krisen finanziell gut aufgestellt gewesen, ein Abflauen der Beschaffungskrise gibt bestimmt mehr Fantasie bei Akquisitionen.
Herr Dr. Trier, auch diesmal würde uns eine erste Indikation für das kommende Jahr interessieren. Stehen bei Softing die Zeichen für 2022 auf weiteres profitables Wachstum oder sehen Sie größere Risiken, die dies verhindern könnten?
Dr. Wolfgang Trier: Das Erreichen der Umsatzschwelle von 100 Mio. Euro ist unverändert unsere nächste große Zielgröße. Wir waren nach dem Wachstum in 2019 auf dem besten Weg, als COVID in 2020 zuschlug. Jetzt nehmen wir wieder Anlauf, ohne dass wir heute aber sicher sagen könnten, ob wir diese Schwelle in 2022 oder 2023 überschreiten werden. Das größte Risiko ist und bleibt die Verfügbarkeit elektronischer Bauteile. Ohne Bauteile werden die hardware-gebundenen Teile des Auftragseingangs nicht zu Umsatz. Ertragsseitig wollen wir, wie eingangs bereits erwähnt, 2022 weiter zulegen. Die Basis dafür ist in den einzelnen Segmenten gelegt.
Dr. Wolfgang Trier ist seit Juni 2002 Vorstandsvorsitzender der Softing AG mit Sitz in Haar, östlich von München. Promoviert hat Trier an der RWTH Aachen.
Ernst Homolka ist seit Mai 2015 Vorstand bei bei Softing für die Bereiche Finanzen und Personal. Von 2007 bis 2011 war Homolka CFO/CEO des MDAX-Konzerns Nemetschek.
Fotos: Clipdealer, Softing AG