Auf immerhin acht DIN A4-Seiten haben sich unsere Notizen am Ende des exakt 60 minütigen Calls zu den Halbjahreszahlen der Smartbroker Holding addiert. Normalerweise schreiben wir auf solchen Veranstaltungen eher etwas weniger mit, insofern war die virtuelle Konferenz der früheren wallstreet:online AG überdurchschnittlich informativ. Allerdings befindet sich das Unternehmen mit CEO-Wechsel, Gewinnwarnung, Aktien-Crash sowie dem auf Mitte 2023 nach hinten verschobenen Start vom Smartbroker 2.0 auch in einer extrem turbulenten Phase der Firmenhistorie. Kein Wunder, dass boersengefluester.de und die vielen eingewählten Investoren genau hingehört haben und das Vorstandsteam um CEO André Kolbinger und CFO Roland Nicklaus jede Menge Fragen zu beantworten hatte.
Zu den genauen Hintergründen der Differenzen mit dem ausgeschiedenen Vorstand Matthias Hach hält sich André Kolbinger zwar weiterhin bedeckt. Allerdings betont der zurück an die Spitze gekehrte Gründer, dass sich die Gesellschaft nun dazu entschlossen hat, mehr Tätigkeiten innerhalb des Smartbroker 2.0-Projekts selber zu machen und die Umsetzung der Brokeragefunktionen – also dem Kern von Smartbroker 2.0 – höchste Priorität besitzt. Entsprechend deutet Finanzvorstand Roland Nicklaus an: „Es kann sein, dass wir in eine phasenweise Einführung übergehen.“ Im Umkehrschluss würde das bedeuten, dass die Strategie von Matthias Hach eher darauf ausgerichtet war, den Smartbroker 2.0 bereits zum Start mit allen Facetten des modernen Bankings zu bestücken und auf dem Weg dorthin möglichst viele Arbeitsschritte auszulagern. Sei es drum: An der Börse hat die Smartbroker Holding jedenfalls eine heftige Klatsche für den unerwarteten Wechsel bekommen. So haben sich in rasender Geschwindigkeit mehr als die Hälfte der Marktkapitalisierung in Luft aufgelöst.
Aktuell beläuft sich der Börsenwert der Berliner auf nur noch 117 Mio. Euro. Natürlich steht die Aktie der Smartbroker Holding nicht allein unter Druck, vergleichbare Unternehmen wie flatexDEGIRO haben in den vergangenen Monaten ebenfalls massiv Federn gelassen. Bei der Smartbroker Holding fallen die Verluste aber deshalb so hoch aus, weil nicht wenige Investoren befürchten, dass es vielleicht noch länger dauern könnte, bis der Smartbroker 2.0 tatsächlich an den Start gehen wird. Immerhin ist das Umschalten des Hebels weg vom reinen Vermittler, der den technischen Part an die DAB BNP Paribas ausgelagert hat, hin zu einem eigenständigen Institut an eine erweiterte BaFin-Lizenz geknüpft. Wenn es gut läuft, könnte die BaFin-Lizenz noch 2022 kommen. Realistisch ist aber wohl eher Frühjahr 2023, prognostizieren lässt sich der regulatorische Prozess ohnehin nicht.
Um Zweifel aus dem Weg zu räumen, betont Finanzvorstand Roland Nicklaus aber noch einmal: „Es gibt absolut keine Anzeichen dafür, dass die Lizenzerweiterung nicht erteilt wird.“ Im Gegenteil: Dem Vernehmen nach hat der Kommunikationsprozess mit der BaFin – auch dank des auf kürzlich C-Level-Ebene der Smartbroker AG (ehemals wallstreet:online capital) an Bord gekommenen ehemaligen Raisin Bank-Vorstands Uwe Lüders – an Qualität gewonnen. Eine Begleiterscheinung ist aber auch, dass sich das bislang auf 20 bis 25 Mio. Euro veranschlagte Investitionsbudget für den Smartbroker wohl um einige Millionen Euro nach oben bewegen wird. Demnach veranschlagt Finanzvorstand Roland Nicklaus die noch nötigen Ausgaben auf eine Bandbreite zwischen 5 und 8 Mio. Euro. Zur Einordnung: Rund 20 Mio. Euro hat das Unternehmen bereits in das so wichtige Projekt gesteckt.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 5,19 | 7,78 | 8,55 | 28,21 | 48,20 | 52,79 | 46,54 | |
EBITDA1,2 | 2,03 | 3,71 | 3,70 | 4,52 | 3,56 | 8,77 | 1,35 | |
EBITDA-Marge3 | 39,11 | 47,69 | 43,27 | 16,02 | 7,39 | 16,61 | 2,90 | |
EBIT1,4 | 1,89 | 3,64 | 3,69 | 2,03 | 0,35 | -8,41 | -5,22 | |
EBIT-Marge5 | 36,42 | 46,79 | 43,16 | 7,20 | 0,73 | -15,93 | -11,22 | |
Jahresüberschuss1 | 1,78 | 3,23 | 1,90 | 3,55 | -0,54 | -10,07 | -5,92 | |
Netto-Marge6 | 34,30 | 41,52 | 22,22 | 12,58 | -1,12 | -19,08 | -12,72 | |
Cashflow1,7 | 1,92 | 3,30 | 1,91 | 1,18 | 13,93 | 5,04 | 0,19 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,14 | 0,24 | 0,13 | 0,25 | -0,04 | -0,64 | -0,38 | |
Dividende8 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Dohm Schmidt Janka |
Wirtschaftlich ist es so, dass die Smartbroker Holding wegen der Verzögerungen die Umsatzprognose für 2022 um bis zu 10 Mio. Euro auf 54 bis 57 Mio. Euro gekürzt hat. Beim EBITDA (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) werden die damit verbundenen Effekte mit einer avisierten Größenordnung von 10 bis 12 Mio. Euro weniger sichtbar, da die Gesellschaft zurzeit erheblich schlanker in die Gewinnung neuer Kunden investiert. Trotzdem wird 2022 natürlich bestenfalls ein Übergangsjahr. Und auch 2023 dürfte es frühesten im dritten Quartal – wenn auch die Bestandskunden vollständig auf die neue Umgebung migriert sind – richtig losgehen. Und selbst dann hängt einiges davon ab, in welcher Verfassung sich die allgemeine Börsenlage ab Sommer 2023 präsentiert. Bleibt die Frage, ob und ab wann sich der Aktienkurs der Smartbroker Holding wieder erholen wird.
Die Analysten haben ihre Kursziele allesamt mächtig gestutzt, bleiben aber überwiegend bei ihrer Kaufen-Einschätzung. Was sollen sie auch machen, wenn der ihrer Meinung nach faire Wert der Aktie meilenwert über der aktuellen Notiz liegt? Zudem ist die Kapitalisierung der Berliner zu fast 15 Prozent durch die Netto-Liquidität unterlegt – und auch die anderen Bilanzkennzahlen kommen solide daher. „Wir sehen eine sehr starke Überreaktion im Markt“, beschreibt CFO die Roland Nicklaus die aktuelle Kurssituation und ergänzt: „Wir müssen und wir werden in den nächsten Quartalen operativ abliefern.“ Zu pass kommt dem Unternehmen dabei das weiterhin relativ stabile Mediengeschäft um die Kernseiten wallstreet:online.de oder auch finanznachrichten.de. Um hier für noch mehr Drive zu sorgen, will w:o die redaktionelle Kompetenz ausweiten und demnächst unter anderem das schon länger avisierte Paket an Börsenbriefen für aktive Anleger an den Start bringen.
Perspektivisch soll es künftig ohnehin noch stärker Richtung Social Trading und auch Social Education gehen. Wir sind gespannt, wie das Fintech-Unternehmen den Spagat zwischen maximaler Werbung und verlässlichem Content hinbekommen wird. Grundsätzlich ist w:o leider wenig zimperlich, was die Platzierung von reißerischen Empfehlungen angeht. Zumindest für unseren Geschmack wäre weniger hier deutlich mehr. Geschickt umkurvt das Vorstandsteam der Smartbroker Holding derweil die Frage nach einem möglichen Zusammengehen mit anderen Anbietern. „Wir konzentrieren uns auf unsere organischen Themen“, heißt es nur am Rande. Dabei räumen auch die Berliner ein, dass sich im Brokerage-Markt gerade die Spreu vom Weizen trennt. Eine Entwicklung, von der Aktien wie flatexDEGIRO und wohl auch die Smartbroker Holding eigentlich profitieren sollten. Kein Thema sind für die Berliner derweil gängige IR-Maßnahmen wie Aktienrückkäufe oder auch Dividenden. Grundsätzlich verständlich in der aktuellen Situation, aber genau damit könnte flatexDEGIRO demnächst punkten. Nun: Per saldo sollte die Aktie der Smartbroker Holding jedoch zumindest für eine kräftige Gegenbewegung gut sein. Rein operativ sehen wir dagegen die deutlich größere flatexDEGIRO AG robuster aufgestellt.
Foto: shutterstock, Smartbroker Holding AG