Bereits zwei Tage nach der nur 54 Worte umfassenden Gewinnwarnung für das Geschäftsjahr 2013/13 steht fest: Siemens-Chef Peter Löscher (Bild oben, rechts) muss gehen. Das wird der Aufsichtsrat auf seiner Sitzung am Mittwoch, 31. Juli beschließen. Vermutlicher Nachfolger von Löscher wird Joe Kaeser (Bild oben, links) – ein Siemens-Urgestein, der im März 2006 vom damaligen Vorstandschef Klaus Kleinfeld zum Finanzboss gekürt wurde. Komplett geschlagen geben will sich Löscher aber noch nicht. Laut Medienberichten knüpft er seinen Rücktritt an die Bedingung, dass auch Chefaufseher Cromme seinen Platz bei Siemens räumt. Ansonsten will es der Österreicher auf eine Kampfabstimmung ankommen lassen. In den Wirtschaftsmedien war die öffentliche Demontage von Löscher zuletzt das dominierende Thema. Kein Wunder, hatte das Schauspiel doch etwas von einem Psychothriller aus der Wirtschaft.
Gemessen am Börsenwert ist Siemens mit 69,3 Mrd. Euro das drittschwerste Unternehmen Deutschlands – nur noch, muss man wohl korrekt sagen. Mittlerweile spielen Bayer (69,6 Mrd. Euro) und SAP (68,23 Mrd. Euro) in nahezu der gleichen Gewichtsklasse. Lediglich Volkswagen thront mit einer Kapitalisierung von 78,8 Mrd. Euro in einiger Entfernung an der Spitze. Die Rangfolge ist ein Spiegelbild des Dramas um Siemens, denn mit einem Umsatz von zuletzt 78,3 Mrd. Euro rangieren die Münchner weit vor Bayer (39,8 Mrd. Euro) und SAP (16,2 Mrd. Euro). Das war nicht immer so. Doch kaum ein Jahr, in dem sich bei Siemens nicht eine neue Baustelle auftat, die auf den Aktienkurs drückte. Sechs Gewinnwarnungen in den vergangenen sechs Jahren sprechen eine deutliche Sprache und haben letztlich das Fass zum Überlaufen gebracht. Dabei hatten die Analysten in ihren Studien in der Regel ohnehin mit einem niedrigeren, als dem jetzt nun unten revidierten Margenziel von mindestens zwölf Prozent kalkuliert. So bewegen sich die Schätzungen der Experten für 2013/14 meist im Bereich um elf Prozent. Gleichwohl vernichtete die neuerliche Meldung um die Planverfehlung für 2013/14 noch einmal 4,7 Mrd. Euro an Kapitalisierung.
Während in der Presse eifrig um personelle Konsequenzen spekuliert wurde, zeigten sich die Finanzprofis frühzeitig über das Timing der Gewinnwarnung verwundert. Schließlich stehen am 1. August die Zahlen für dritte Quartal des Geschäftsjahrs 2012/13 (endet am 30. September) an. Zudem sei nicht ganz nachvollziehbar, warum der Konzern bereits jetzt fundiert sagen kann, dass die Ziele für das kommende Jahr wohl verfehlt werden. Einige Analysehäuser haben ihr Kursziel für den DAX-Wert daher erst einmal ausgesetzt. Sollte Kaeser tatsächlich neuer Vorstandsvorsitzender werden, müssten sie sich kaum umstellen. Das Siemens-Urgestein war ohnehin ihr erster Absprechpartner in den Analystenveranstaltungen und galt als das Gesicht gegenüber dem Finanzmarkt. Für die Siemens-Aktie ist Kaeser also eine gute Lösung. Zaubern kann aber auch er nicht.
Dabei hat die Krise von Siemens viele Facetten und nicht alle hängen direkt an der Person Peter Löscher. Zudem hatte der Österreicher vor sechs Jahren in seiner ersten Amtszeit einen durchaus anständigen Start hingelegt. Immerhin befand sich der Konzern damals mitten in der leidigen Schmiergeldaffäre und es lag an Löscher, das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen. Evolution statt Revolution hieß das Motto. Aus dem Elektronikkonzern sollte eine Art „Green-Energy-Company“ werden. Doch zuletzt war davon nicht mehr viel zu spüren. Effizienzprogramme griffen nicht wirklich, Ausflüge wie etwa in die Solarenergie entpuppten sich als teure Abenteuerreisen. Zudem verspekulierte sich der DAX-Konzern bei den Preisen für Offshore-Windanlagen. Hinzu kamen verspätete Auslieferungen von ICE-Zügen an die Deutsche Bahn. Zu allem Überfluss lösten sich zuletzt auch noch die Rotorblätter an Siemens-Windanlagen in den USA.
Bei der Siemens-Aktie nun bereits wieder von einer anstehenden „Neubewertung“ zu sprechen, ist vermutlich verfrüht. Noch ist unklar, ob und wie der Konzern unter Kaeser sein Gesicht ändern wird. Ein Tanker wie Siemens ist ein komplexes Gebilde und Manövriermanöver brauchen entsprechende Zeit. Nicht unterschätzt werden dürfen dabei auch die vielen Machtkämpfe, die nun entfachen. Wer werden die Gewinner unter Kaeser sein, wer die Verlierer? Bereits jetzt kursieren Gerüchte um einen regelrechten Putsch, wonach Aufsichtsratschef Gerhard Cromme und Joe Kaeser den perfiden Plan mit der Gewinnwarnung ausklügelten, um – im Fall der Chefkontrolleurs – den eigenen Posten zu sichern und – im Fall Kaeser – den Machtwechsel vorzubereiten. Sei es drum: Das Aufsichtsratsgremium scheint überzeugt von der Notwendigkeit des Chefwechsels. Die Börsianer von den Veränderungen bei Siemens zu überzeugen, wird mehr als zwei Tage benötigen. So waren die ersten Kursreaktionen der Börsianer auf die Entwicklung vom Wochenende auch vergleichsweise kühl. Die Siemens-Aktie gewann leicht auf knapp 81 Euro an Wert. Ab jetzt zählen nur noch harte Fakten in Form von überzeugenden Zahlen – und zwar trotz eines sich verschlechternden wirtschaftlichen Umfelds.
Foto: Siemens AG