Ein wahrlich bescheidenes Bild gibt die Aktie von SGL Carbon ab. Allein seit Jahresbeginn ist der Anteilschein des mit Wirkung zum 22. September vom MDAX in den SDAX degradierten Papiers um knapp 30 Prozent abgestürzt. Mittlerweile befindet sich die Notiz bereits an der Marke von 20 Euro. Eher charttechnisch orientierte Investoren mögen darauf hoffen, dass die in dieser Region befindliche Unterstützungszone erneut ihre Qualitäten unter Beweis stellt. Im Februar 2010 klappte das schon einmal. Bis Ende 2011 hatte sich die Notiz darauf hin sogar mehr als verdoppelt. Doch an solche Szenarien mag momentan wohl kaum jemand denken. Schadensbegrenzung steht vielmehr auf der Agenda.
Rein fundamental ist das Papier des Spezialisten für Carbonprodukte noch immer hoch bewertet. Die Marktkapitalisierung beträgt 1463 Mio. Euro. Das entspricht dem 2,7fachen des auf nur noch 538 Mio. Euro geschrumpften Eigenkapitals. Vor zwei Jahren waren die Bordmittel noch etwa doppelt so hoch. Die Nettofinanzverbindlichkeiten – inklusive Pensionsrückstellungen – türmten sich zum Halbjahr auf knapp 887 Mio. Euro und müssten theoretisch noch auf den Börsenwert oben drauf gerechnet werden, um den wahren Firmenwert (Enterprise Value) darzustellen. Dabei befindet sich das Unternehmen inmitten einer einschneidenden Umstrukturierung. „Um auf einen profitablen Wachstumskurs einschwenken zu können, genießt derzeit die Realisierung aller Einsparpotenziale bei uns oberste Priorität“, sagt Vorstandschef Jürgen Köhler. Angesichts vieler Sonderfaktoren – das Geschäft mit den Kunden aus der Luft- und Raumfahrt (Hitco) steht sogar zum Verkauf – sind transparente Rechnungen kaum möglich. Zum Halbjahr hatte SGL den Verlust zwar bereits deutlich verringert. Das Minus von 60 Mio. Euro sieht aber immer noch schaurig aus. Und möglicherweise drohen sogar weitere Abschreibungen im Zusammenhang mit der Trennung von Hitco.
Wesentlicher Auslöser für die Kursrally von 2011 war – nachdem sich auch Volkswagen bei den Wiesbadenern engagierte – damals die Spekulation auf eine Übernahmenschlacht. Die ist freilich ausgeblieben. Doch noch immer gilt die prominente Aktionärsstruktur als Kursstütze, zumindest theoretisch. Wer weiß, wo die Notiz bei 100 Prozent Streubesitz stehen würde. 15,72 Prozent hält BMW. 26,87 Prozent entfallen auf die Investmentgesellschaft SKion GmbH von Susanne Klatten, die auch den Vorsitz im Aufsichtsrat von SGL inne hat. Die Milliardärin hält gleichzeitig 12,6 Prozent der BMW-Stammaktien. 9,14 Prozent an SGL Carbon gehören dem Heidenheimer Mischkonzern Voith. Rund 38 Prozent sind dem Streubesitz zuzurechnen. Diese Konstellation lässt Raum für alle möglichen Spekulationen, vor allem sichert sie aber wohl das finanzielle Überleben. Zur Not werden die Großaktionäre bei Kapitalerhöhungen oder anderen Finanzierungsmaßnahmen mitziehen. Das sollten Anleger im Hinterkopf behalten, wenn es um die Einschätzung der SGL-Aktie geht. Boersengefluester.de hatte das Papier zuletzt dennoch auf „Verkaufen“ stehen – sicher nicht die falscheste Empfehlung. Auf dem aktuellen Niveau geht es fast schon um die Wurst.
Hält die frühere Unterstützung im Bereich um 20 Euro oder geht es weiter abwärts? Möglicherweise senden ja auch BMW, Klatten oder sogar VW ein Signal Richtung Börse. Derzeit wäre eine Auffrischung der früheren Übernahmefantasie wohl das Beste, was Privatanlegern passieren kann. Allerdings: Das ist Prinzip Hoffnung. Darauf mag sich nicht jedermann verlassen. Die Analysten der UBS befürchten einen Kursrückgang bis 15 Euro. Die Experten der Commerzbank und von der DZ-Bank sehen das Papier bei 20 Euro als fair bewertet an. Großartige Kursfantasie lässt sich aber auch daraus nicht ableiten. Immerhin: Möglicherwerweise ist das Schlimmste bald überstanden. Das wäre immerhin ein Hoffnungsschimmer.
Foto: SGL Group