Das hat es in der 20jährigen Geschichte des Deutschen Eigenkapitalforums in Frankfurt noch nicht gegeben. Der Vorstandschef und Großaktionär des Bahntechnik Spezialisten Schaltbau, Jürgen Cammann, tritt von seinem Amt als Sprecher des Vorstands zurück und stellt sich zusammen mit seinem Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Zimmermann den Fragen der überraschten Investoren und Analysten. Normalerweise kneifen die Chefs, wenn sie schlechte Nachrichten zu verkünden haben – besonders wenn es sie persönlich betrifft.
Die Stimmung im Hause Schaltbau könnte schlechter nicht sein: Am Dienstag, 22. November, um kurz nach Mittag teilt das Unternehmen mit, dass Cammann zum Monatsende den Vorstand verlässt. „Kontroverse Vorstellungen bezüglich der Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat“, sind nach offizieller Lesart der Grund für die plötzliche Trennung. Fast wird der Hinweis in der Ad-hoc-Meldung überlesen, dass Thomas Dippolt als neuer Finanzvorstand zum 1. Januar 2017 vom Aufsichtsrat bestellt wurde. Eine gute Stunde später beginnt Cammann im Raum Milan im Kongressbereich des Sheraton Hotels am Frankfurter Flughafen seine Präsentation. Der Raum ist gerammelt voll. Die Spannung ist mit Händen zu greifen. Cammann weist kurz auf die offizielle Mitteilung hin, erwähnt, dass der Aufsichtsratsvorsitzende und der neue Finanzvorstand auch anwesend sind und sagt, dass er, die Unternehmensvorstellung abkürzen wird, um ausreichend Raum für Fragen zu schaffen.
In Mittelpunkt seiner Ausführungen steht das schlechte Geschäft im laufenden Geschäftsjahr. „Besonders die jüngsten Akquisitionen performen nicht wie erwartet.“ Gleich zu Beginn unterstreicht er, dass es in den kommenden Monaten einen Turnaround geben muss. Dafür bedarf es eines Managementteams, das zurzeit nicht an Bord ist. Seine Lösung ist, „ in wenigen Monaten die Komplexität des Geschäfts zu verringern.“ Trotz der beiden Gewinnwarnungen in diesem Jahr spricht Cammann von einer „sehr gesunden Firma“. „Die Megatrends sind o.k.“, sagt er, auch wenn die Aufträge in China weggebrochen sind. Für das Brasilien-Geschäft sieht er keine Zukunft. Das sollte so schnell wie möglich aufgegeben werden. In diesem Punkt sind sich Vorstand und Aufsichtsrat offensichtlich uneins. Doch der Graben ist deutlich tiefer. Auf die Frage, was denn der Aufsichtsrat zu seinem Rücktritt sagt, antwortete Camman: „Wir hatten noch keine Zeit darüber zu sprechen.“ Überhaupt versucht er sehr sachlich zu bleiben, auch wenn er sichtlich bewegt ist. Seinen plötzlich Rückzug erklärt er damit, dass die Banken von den Eigentümern ein weiteres finanzielles Engagement wünschten, um ihr Vertrauen in das Unternehmen zu beweisen. „Dazu war ich bereit“, sagt Cammann. „Doch dafür brauche ich auch ein Team, dem ich wirklich vertraue. Das ist nicht mehr gegeben.“ Deutlich kann man ein Zerwürfnis nicht beschreiben.
Dann fordern die Zuhörer den Aufsichtsratsvorsitzenden auf, eine Erklärung zur Berufung von Dippolt und den Rücktritt von Cammann abzugeben. Als Zimmermann das Podium betritt, weicht Cammann zurück. Wie zu erwarten war, sind die Ausführungen wenig erhellend. Sie unterstreichen aber das tiefe Zerwürfnis. Zimmermann stellt klar, dass es aktuell „keine Probleme mit den Banken gibt.“ Er beschreibt die Zukunft von Schaltbau als nicht hervorragend aber gut. Die Probleme seien nicht leicht zu lösen, die Menschen wären aber bereit, zu arbeiten. Auch Zimmermann macht klar, dass es unüberbrückbare Differenzen über die Lösung der Probleme in Spanien, Brasilien und China gibt. Weitere Ausführungen verhindert Cammann mit dem Hinweis auf die vorgerückte Zeit und verabschiedet sich sichtlich bewegt von den Investoren und Analysten. Die quittieren das mit einem lang anhaltenden Applaus. Beim verlassen des Raums zücken verschiedene Investoren das Smartphone um die Schaltbau-Aktie zu schorten. Unsicherheit über das zukünftige Management sind normalerweise Gift für den Aktienkurs. Vor diesem Hintergrund hat der ehemalige SDAX-Titel den Personalrummel zunächt einmal überraschend gut weggesteckt.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 516,46 | 518,34 | 513,71 | 502,34 | 525,58 | 479,69 | 508,10 | |
EBITDA1,2 | 20,14 | 22,54 | 32,65 | 42,71 | 43,73 | 36,43 | 47,45 | |
EBITDA-Marge3 | 3,90 | 4,35 | 6,36 | 8,50 | 8,32 | 7,59 | 9,34 | |
EBIT1,4 | -22,98 | -7,29 | 17,18 | 21,72 | 26,63 | 18,56 | 22,36 | |
EBIT-Marge5 | -4,45 | -1,41 | 3,34 | 4,32 | 5,07 | 3,87 | 4,40 | |
Jahresüberschuss1 | -49,57 | -14,14 | 7,36 | 5,66 | 12,13 | 120,09 | 6,57 | |
Netto-Marge6 | -9,60 | -2,73 | 1,43 | 1,13 | 2,31 | 25,03 | 1,29 | |
Cashflow1,7 | 10,48 | -6,25 | 62,91 | 32,24 | 65,99 | 4,22 | 14,58 | |
Ergebnis je Aktie8 | -8,04 | -1,93 | 0,46 | 0,44 | 0,83 | 10,71 | 0,42 | |
Dividende8 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 1,90 | 1,90 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: PricewaterhouseCoopers |
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