Verstehe einer die heimische Finanzpresse. Erst gibt es über Wochen scheinbar keine anderen Themen mehr als die Börsengänge von Zalando und Rocket Internet. Jede Kleinigkeit war wichtig genug, um damit nach ganz oben in die Schlagzeilen der Webseiten zu kommen. Kein Wunder, dass in den Köpfen der Anleger ein künstlicher Hype erzeugt wurde. Garniert wurde das selbst entfachte IPO-Fieber mit den üblichen Warnhinweisen von mehr oder weniger bekannten Experten – so steht man hinterher auf jeden Fall auf der richtigen Seite. Und dieses Absicherungsnetz hat sich nun also als Gold wert entpuppt. Schließlich lässt sich jetzt mit gutem Gewissen auf die beiden Börsenneulinge einprügeln. Vom Internetguru zur Luftnummer in nur drei Wochen – so schnell geht das in Deutschland. Wie sehen die Fakten aus? Gemessen am ersten Kurs haben sich bei beiden Unternehmen mittlerweile mehr als 3.100 Mio. Euro an Börsenwert in Luft aufgelöst. Das entspricht etwa der Marktkapitalisierung von Unternehmen wie TUI, Rhön-Klinikum oder Osram Licht. Der Milliarden-Aderlass verteilt sich dabei nahezu 50:50 auf Rocket Internet und den Modehändler Zalando.
Doch noch immer sind beide Gesellschaften echte Schwergewichte. Zalando kommt auf eine Marktkapitalisierung von 4,29 Mrd. Euro, bei einem Streubesitzanteil von rund 22 Prozent. Rocket Internet von den Samwers-Brüdern bringt 5,22 Mrd. Euro auf die Waagschale, der Free-Float-Faktor bei dem E-Commerce-Inkubator ist ähnlich hoch wie bei Zalando. Aus Internet-Sicht ist nur der TecDAX-Konzern United Internet mit einer Marktkapitalisierung von 6,66 Mrd. Euro größer. Das über zahlreiche digitale Geschäftsmodelle erfolgreiche Verlagshaus Axel Springer kommt auf einen Börsenwert von 4,43 Mrd. Euro. Ralph Dommermuth, Vorstand und Gründer von United Internet, gilt als besonnener Investor ohne große Attitüden. Kurz vor dem Börsengang von Rocket Internet hat sich United Internet für insgesamt 435 Mio. Euro mit 7,9 Prozent (nach Verwässerung durch das IPO) bei den Berlinern beteiligt. Gemessen an den aktuellen Aktienkursen liegt er damit nun leicht hinten. Die Höhe des Kaufpreises wird sich Dommermuth genau überlegt haben. Kaum jemand kennt den Markt so gut wie er. Zumindest das spricht dafür, dass langfristig orientierte Investoren sich die Rocket-Aktie durchaus einmal näher anschauen können.
Die Wut vieler Anleger richtet sich zurzeit aber auch in Richtung der emissionsbegleitenden Banken. Wenn es schon keine Börsenparty gibt, dann hatten die Investoren doch zumindest auf eine intensive Kurspflege zum Start gesetzt. Davon ist allerdings nichts zu spüren. Vermutlich greifen die Finanzhäuser aber doch korrigierend ein. Und dann muss man sich fragen, wo die Notierungen ohne Unterstützung derzeit stehen würden. Irritiert sind die Börsianer zudem, wie die vorbörslich gemeldeten Graumarktkurse so rasant absacken konnten. Immerhin wurde Rocket Internet noch wenige Tage vor dem IPO mit Kursen von deutlich über 60 Euro gehandelt– etwa doppelt so viel wie derzeit für eine Aktie verlangt wird. Bei Zalando sieht es nicht viel anders aus, hier wurden vorbörslich Kurse von bis zu 34 Euro aufgerufen. Klar ist: Die Aussicht auf schnelle und risikolose Gewinne hat eine Menge Investoren überhaupt erst zur Zeichnung bewogen. Eine wirklich stichhaltige Bewertung anhand der momentanen Finanzkennzahlen dürfte ohnehin fast ein Ding der Unmöglichkeit sein. Mit verantwortlich für das scheinbar fehlende Maß bei der vorbörslichen Preisfindung wird in Finanzkreisen das geltende Verbot von ungedeckten Leerverkäufen gemacht – vermutlich ein ganz wichtiger Aspekt.
Gemessen am Ausgabepreis hat die Zalando-Aktie nun um 18 Prozent an Wert eingebüßt. Bei Rocket Internet türmt sich das Minus auf 22 Prozent. Nach dem Chaos-Start scheint zumindest eine kräftige Gegenbewegung überfällig – bei beiden Titeln. Und wie schnell sich die Stimmung drehen kann, zeigt das Beispiel Facebook. Auch hier legte Firmengründer Mark Zuckerberg zunächst einmal einen klassischen Fehlstart hin und galt plötzlich als Buhmann, der mit seinen Kapuzenpullis eben doch nicht für die geschniegelte Finanzszene taugte. Längst hat er das Gegenteil bewiesen und viele Börsianer wären heute froh, wenn sie die anfängliche Schwächeperiode zum Einstieg genutzt hätten. Mitte Mai wurde die Facebook-Aktie zu 38 Dollar platziert und sackte anschließend bis auf 17,55 Dollar ab. Es dauerte mehr als ein Jahr, bis der Titel den Ausgabepreis erstmals wieder von oben sah. Zurzeit wird der Anteilschein Facebook für 77 Dollar gehandelt und gehört längst zu den Lieblingen der Wall Street. Wiederholen muss sich die Geschichte nicht. Doch der Stimmungswandel um 180 Grad bei den beiden deutschen Internet-IPOs scheint boersengefluester.de auch nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein.
Foto: Rocket Internet AG