Können Sie sich noch an die Internetblase Ende der 1990er-Jahre erinnern? Damals ging es nicht zuletzt darum, dass die Unternehmen möglichst stark beim Umsatz wachsen. Wann die Firmen jemals Gewinne schreiben würden, spielte für Investoren keine Rolle. Vorstände erfanden Kennzahlen, wie Gewinn vor Werbungskosten. An diese alte Zeit fühlt man sich beim Lesen der Pressemeldungen von Rocket Internet erinnert. In der Mitteilung zu den Neun-Monats-Zahlen steht, dass die „Proven Winners” in den ersten drei Quartalen ein durchschnittlich gewichtetes Erlöswachstum von 120 Prozent erreicht hätten. „Proven Winners” hört sich prima an und suggeriert so etwas wie „bewährte Sieger.” Rockets „Proven Winners” sind aber nichts anderes als Unternehmen, die aufgrund der starken Expansion tief rote Zahlen schreiben. Allerdings hat Rocket aber nicht nur „Proven Winners”, sondern auch etliche andere Töchter, bei denen es offensichtlich nicht ganz so gut läuft. Wie es dem Konzern Rocket Internet in den ersten drei Quartalen insgesamt ergangen ist, davon steht auf der Homepage kein Wort. Um das zu berechnen, müsste man die Ergebnisse jeder einzelnen Tochter addieren, um dann auf den Umsatz und das Ergebnis von Rocket Internet zu kommen. Kaum jemand dürfte sich diese Arbeit freiwillig machen.
Deswegen schauen wir uns lieber die Halbjahreszahlen an, dann ist der Trend mehr als klar abzulesen. Im ersten Halbjahr hatten die „Proven Winners” ein durchschnittliches Umsatzplus von 142 Prozent erreicht. Damit hätte sich das Erlöswachstum im dritten Quartal gegenüber dem ersten Halbjahr deutlich abgeschwächt. Das jedoch nur am Rande. Offensichtlich hat Rocket nämlich noch etliche Töchter, bei denen es überhaupt nicht läuft. Denn der Konzernumsatz ist im ersten Halbjahr um lediglich fünf Prozent auf 71,3 Mio. Euro gestiegen. Eine Wachstumsfirma sieht anders an. Dabei fiel ein Verlust vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) von 84,98 Mio. Euro an. Der operative Verlust ist also größer als der Umsatz. Vorstandschef Oliver Samwer hat Investoren bereits frühzeitig klar gemacht, woran sie den Erfolg von Rocket Internet messen könnten. Demnach sollen drei der „Proven Winners” innerhalb von 24 Monaten (viertes Quartal 2017) den Break-even erreichen. Inklusive der restlichen „Proven Winners” und der anderen, nicht ganz so erfolgreichen Töchter dürfte Rocket damit weiterhin kräftige Verluste schreiben. Laut den Prognosen der Analysten soll im Jahr 2016 beim EBITDA ein Verlust von rund 150 Mio. Euro zu Buche stehen. Im Folgejahr soll das Minus auf rund 100 Mio. Euro verringert werden.
Samwer hat Investoren zudem in Aussicht gestellt, dass ein „Proven Winner” innerhalb von 18 Monaten an die Börse gehen soll. Der Börsengang der Tochter Hello Fresh wurde Anfang November 2015 aber auf Eis gelegt. Damit wackelt jedoch das Geschäftsmodell von Rocket Internet. Es zielt darauf, den Wert von Töchtern durch Platzierung von kleinen Anteilen vor einem möglichen IPO stark nach oben zu treiben und so weiter kräftig Geld einzusammeln, um es anschließend zu verbrennen. Leider lassen sich inzwischen an der Börse aber nicht mehr jene Traumpreise für Internetfirmen realisieren, von denen Samwer immer noch träumt. Zuletzt hatten der Vermögensverwalter BlackRock und der Investmentfonds Fidelity ihre Anteile an Start-ups massiv abgeschrieben, unter anderem die am Cloud-Speicherplatzanbieter Dropbox. Für den Verfall der Werte bei den noch nicht börsennotierten Start-ups ist der Kursrückgang etlicher börsennotierter Unternehmen, wie Alibaba, verantwortlich. Viele Experten hatten lange kritisiert, dass für Firmen in privater Hand irre Preise gezahlt würden, während an der Börse die Kurse von etlichen Internetfirmen bereits kräftig im Rückwärtsgang sind.
Wie geht es mit der Aktie von Rocket Internet weiter? Nach der Talfahrt ist die Marktkapitalisierung zwar auf 3,1 Mrd. Euro gesunken. Damit bringt Rocket aber fast genauso viel Gewicht auf die Waage wie die MDAX-Firmen Lanxess, Krones oder CTS Eventim. Unter Abzug der liquiden Mittel von 1,7 Mrd. Euro für Ende September kommt Rocket immer noch auf einen Börsenwert von 1,4 Mrd. Euro. Für ein Unternehmen, das – soweit das Auge reicht – Verluste schreiben dürfte, ist das ein viel zu hoher Börsenwert.