Bei der Bankengruppe ProCredit Holding scheint irgendwie nichts normal zu sein. Der in einem Postamt eingebettete Frankfurter Firmensitz befindet sich im eher studentisch geprägten Stadtteil Bockenheim und nicht in unmittelbarer Nähe zum Hauptbahnhof oder der Alten Oper, wo all die Bankentürme um Deutsche Bank und Commerzbank gen Himmel ragen. Außerdem zahlt ProCredit seinen Mitarbeitern keine Boni und hat sich einen Ehrenkodex auferlegt, mit welchen Kundengruppen grundsätzlich keine Geschäfte gemacht werden, der wohl seinesgleichen sucht: Zwangsarbeit, Prostitution, Waffenbauer, Hersteller gefährlicher Chemikalien, Bergbaubetriebe, Ölförderer, Treibnetzfischerei, Massentierhaltung, Nuklearbetriebe und und und – selbst die Produktion von oder der Handel mit alkoholischen Getränken (ausgenommen sind Bier und Wein) ist ein Ausschlusskriterium. Dabei ist die seit Ende Dezember 2016 in Frankfurt notierte Gesellschaft gar nicht mal so sehr in Deutschland tätig. Die Hauptgeschäfte finden in Südosteuropa, Osteuropa und Lateinamerika statt – und zwar als Hausbank für lokale kleinere und mittlere Unternehmen.
„Wir wollen mit Leuten zusammenarbeiten, die den dortigen Mittelstand aufbauen“, sagt ProCredit-Vorstand Borislav Kostadinov im Hintergrundgespräch mit boersengefluester.de. Der gebürtige Bulgare ist bereits seit mehr als 15 Jahren für das Unternehmen tätig – Nachhaltigkeit wird also auch auf dieser Ebene groß geschrieben. Wer nun glaubt – weil er noch nie etwas von der Gesellschaft gehört hat – ProCredit sei eine kleine Regionalbank, täuscht sich gewaltig: Die Marktkapitalisierung liegt bei beachtlichen 913 Mio. Euro. – bei einem Streubesitz von rund einem Drittel. Und sollten die Handelsumsätze in den kommenden Wochen noch etwas anziehen, gilt die Gesellschaft sogar als SDAX-Anwärter. Eine Nominierung wäre eine kleine Sensation, denn das Listing unter Führung der Berenberg Bank fand in aller Stille statt. Es gab noch nicht einmal eine begleitende Kapitalerhöhung, die frisches Geld in die Kassen gespült hätte. „Wir haben erst im November 2016 eine Kapitalerhöhung mit den Altaktionären durchgeführt“, sagt Kostadinov. Damals wurden gut 2,7 Millionen Anteile zu je 11,73 Euro platziert, was für einen Mittelzufluss von rund 31,9 Mio. Euro sorgte. So gesehen natürlich ein feines Geschäft für die damaligen Zeichner. Immerhin kostet die Aktie nur wenige Monate später nun 17 Euro. Zu den Ankeraktionären zählen insbesondere die Claus-Peter Zeitinger zurechenbare Zeitinger Invest GmbH. Aber auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit rund 14,5 Prozent sowie ähnlich wie die KfW ausgerichtete Institute aus den Niederlanden und Belgien gehören zum Aktionariat.
Konkrete Pläne, nach erfolgreicher Notizaufnahme und Ablauf der Sperrfrist eine Kapitalerhöhung nachzuschieben, hat die ProCredit Holding dem Vernehmen nach nicht. „Wir hatten einen Börsengang schon lange auf dem Radar. Jetzt war einfach der richtige Zeitpunkt für uns“, sagt Kostadinov. Die Altaktionäre haben sich zu einer Lock-up-Vereinbarung von 180 Tagen verpflichtet. Es bleibt abzuwarten, ob im Sommer dann entsprechende Stücke auf den Markt prasseln. Darin liegt sicher ein Risiko für ein Investment. Operativ entwickelt sich bei der Gesellschaft – überwiegend handelt es sich um Kreditgeschäft – derweil alles recht solide. Große Sprünge oder hohe Volatilitäten (Sondereffekte wie den Verkauf der Afrika-Aktivitäten einmal ausgenommen) sind eher Fehlanzeige. „Wir gehören wahrscheinlich zu den wenigen Banken, die seit ihrer Gründung noch nie Verluste geschrieben haben“, sagt Kostadinov. Dividenden will das Unternehmen auch als börsennotierte Gesellschaft zahlen. Rund ein Drittel des Nettogewinns soll an die Aktionäre ausgekehrt werden. Das könnte für 2016 auf eine Dividende von 0,25 Euro hinauslaufen, womit der Titel auf eine Rendite von rund 1,5 Prozent käme. Die Hauptversammlung findet im Mai statt. Das gesamte Zahlenwerk für 2016 plus Ausblick sind für den 29. März 2017 angesetzt.
Nicht ganz einfach ist es allerdings, eine geeignete Vergleichsgruppe für ProCredit auf dem heimischen Kurszettel zu finden: Die auf ökologische und soziale Verantwortung ausgerichtete Umweltbank (WKN: 557080, Börsenwert 375 Mio. Euro) greift als Maßstab wohl zu kurz. Zu Ökoworld gibt es vom ethischen Ansatz her Parallelen, allerdings sind die Hildener eine Asset-Management-Gesellschaft und keine herkömmliche Bank. Auch die zumindest ebenfalls in eher exotischen Märkten tätige Onlinekreditplattform MyBucks passt nicht wirklich. Und in einen Topf mit Deutsche Bank, Commerzbank, Aareal Bank, comdirect bank oder Fintech Group gehört die Gesellschaft sowieso nicht. Sei es drum: „Wir sind für Anleger geeignet, die Wert auf Nachhaltigkeit legen“, schließt Kostadinov die Klammer.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 248,41 | 245,39 | 252,60 | 252,11 | 281,88 | 339,85 | 412,51 | |
EBITDA1,2 | 62,15 | 77,53 | 76,87 | 52,09 | 94,53 | 17,85 | 150,02 | |
EBITDA-Marge3 | 25,02 | 31,59 | 30,43 | 20,66 | 33,54 | 5,25 | 36,37 | |
EBIT1,4 | 62,15 | 77,53 | 76,87 | 52,09 | 94,53 | 17,85 | 150,02 | |
EBIT-Marge5 | 25,02 | 31,59 | 30,43 | 20,66 | 33,54 | 5,25 | 36,37 | |
Jahresüberschuss1 | 48,10 | 54,48 | 54,31 | 41,40 | 79,64 | 16,50 | 113,37 | |
Netto-Marge6 | 19,36 | 22,20 | 21,50 | 16,42 | 28,25 | 4,86 | 27,48 | |
Cashflow1,7 | 90,75 | 27,32 | 290,34 | 135,89 | 133,15 | 566,94 | 524,05 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,86 | 0,90 | 0,89 | 0,70 | 1,35 | 0,28 | 1,92 | |
Dividende8 | 0,27 | 0,30 | 0,00 | 0,53 | 0,00 | 0,00 | 0,64 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: BDO |