Zur ersten Welle der “Corona-Profiteure” gehörte die Aktie von Paul Hartmann. Die Logik derjenigen, die den Anteilschein des Anbieters von Medizin- und Pflegeprodukten quasi aus der Hüfte zum Kauf empfohlen haben: Zum Sortiment von Paul Hartmann gehören – neben Produkten zur Wund- und Inkontinenzversorgung – auch Desinfektionsmittel und OP-Zubehör wie zum Beispiel Schutzmasken. Alles Dinge, die momentan ungleich mehr als im Normalfall gefragt sind. Auf einem anderen Blatt steht freilich, wie sehr ein möglicher Zusatzumsatz sich überhaupt in den Konzernerlösen von zuletzt immerhin 2.186,77 Mio. Euro bemerkbar machen würde. Konkret stand das Segment Infektionsmanagement zuletzt für rund 505 Mio. Euro Umsatz, davon stammten etwas mehr mehr als 56 Prozent aus Zentraleuropa. Gleichwohl kommt das Thema Corona im frisch vorgelegten Geschäftsbericht nur an drei Stellen vor – allerdings ohne eine klare Tendenzaussage.
So heißt es etwa: „Während einerseits eine erhöhte Nachfrage nach einzelnen Produktkategorien zu verzeichnen ist, beeinflussen negative Auswirkungen auf der Beschaffungsseite und Ausfuhrbeschränkungen durch Regierungen unser Geschäft.“ Oder aber: „In außergewöhnlichen Geschäftssituationen, wie der globalen Ausbreitung des Coronavirus, arbeiten wir mit Expertengruppen an der Absicherung unserer Lieferketten unter gleichzeitiger Steigerung unserer Produktionsmengen, um den erhöhten Marktbedarf unserer Produkte zu bedienen.“ Zudem gibt es auf der Homepage von Paul Hartmann (HIER) noch ein paar Statements zur aktuellen Situation rund um die Versorgung mit Produkten zur Einddämmung von Corona. Summa summa scheint es jedoch so zu sein, dass Paul Hartmann vorerst keine signifikant positiven Effekte einkalkuliert. Der Ausblick von CEO Britta Fünfstück für das laufende Jahr sieht jedenfalls nur eine moderate Umsatzsteigerung vor, begleitet von einem Rückgang des um außerordentliche Faktoren bereinigten EBITDA (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) von zuletzt 211,9 Mio. Euro auf eine relativ große Bandbreite von 159 bis 176 Mio. Euro.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 2.058,63 | 2.119,10 | 2.186,77 | 2.433,04 | 2.301,77 | 2.311,61 | 2.353,26 | |
EBITDA1,2 | 204,80 | 193,48 | 210,35 | 308,92 | 232,89 | 165,05 | 165,55 | |
EBITDA-Marge3 | 9,95 | 9,13 | 9,62 | 12,70 | 10,12 | 7,14 | 7,04 | |
EBIT1,4 | 138,23 | 123,17 | 104,38 | 163,28 | 135,39 | 63,40 | 62,51 | |
EBIT-Marge5 | 6,71 | 5,81 | 4,77 | 6,71 | 5,88 | 2,74 | 2,66 | |
Jahresüberschuss1 | 93,70 | 83,77 | 62,93 | 112,94 | 97,10 | 39,48 | 32,74 | |
Netto-Marge6 | 4,55 | 3,95 | 2,88 | 4,64 | 4,22 | 1,71 | 1,39 | |
Cashflow1,7 | 200,51 | 147,46 | 161,26 | 304,94 | 130,60 | -1,04 | 230,79 | |
Ergebnis je Aktie8 | 24,82 | 22,25 | 16,41 | 29,98 | 26,66 | 10,18 | 8,00 | |
Dividende8 | 7,00 | 7,00 | 7,00 | 8,00 | 8,00 | 8,00 | 8,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: PricewaterhouseCoopers |
Verwunderlich ist diese Vorsicht freilich nicht, denn Paul Hartmann befindet sich mitten in einem Umstrukturierungsprozess, der wohl erst mittelfristig die erhoffte Verbesserungen bei der Ertragskraft bringen wird. Un die lange die Corona-Sonderkonjunktur dauern wird, lässt sich kaum abschätzen. Bilanziell ist die Gesellschaft derweil komfortabel aufgestellt. Die Eigenkapitalquote beträgt knapp 58 Prozent, und lässt man die Pensionsrückstellungen einmal außen vor, steht eine Netto-Liquidität von noch immer 33,5 Mio. Euro zu Buche. Zur Einordnung: Die Marktkapitalisierung des nur im Freiverkehr notierten Unternehmens Türmt sich auf rund 1.079 Mio. Euro, was wiederum einem Aufschlag von rund einem Viertel auf den Buchwert entspricht. Ambitioniert bewertet ist die Gesellschaft also nicht gerade. Die Dividende für 2019 lässt Paul Hartmann – wie in den in den drei Jahren zuvor – bei 7,00 Euro pro Anteilschein. Bezogen auf den aktuellen Aktienkurs entspricht das einer Rendite von 2,3 Prozent. Grundsätzlich ist das in Ordnung, allerdings gibt es momentan ganz viele Aktie mit einer deutlich attraktiveren Dividendenrendite.
Größter Malus aus Anlegersicht bleiben derweil der spärliche Handelsumsatz sowie die kaum messbaren Investor Relations-Aktivitäten. Kein Wunder: Mehrheitlich gehört Paul Hartmann zu der UImer Schwenk Zement KG, einem Unternehmen der Fabrikanten-Familie Schleicher. Diskretion ist hier ein hohes Gut. Wer sich also bei Paul Hartmann engagieren will, sollte das nicht wegen kurzfristiger Spekulationen um Desinfektionsmittel und Schutzmasken tun, sondern auf den Erfolg des langfristig ausgerichteten Transformationskurses der seit Januar 2019 als Vorstand agierenden Britta Fünfstück setzen. Zwei bis drei Jahre sollte der Anlagehorizont am besten also schon sein.
Foto: Clipdealer