Sicher ist OTRS jetzt nicht die unmittelbar eingängigste Aktienstory, die wir uns auf den Hamburger Investorentagen (HIT) näher angesehen haben. Das liegt zunächst einmal auch daran, dass es die auf Helpdesk- und IT-Servicesoftware spezialisierte Gesellschaft auf einen Börsenwert von gerade einmal 13,5 Mio. Euro bringt und damit für viele institutionelle Investoren per se zu klein für ein Engagement ist. Zudem haftet dem ursprünglich aus dem SUSE Linux-Umfeld gegründeten Unternehmen am Kapitalmarkt der Ruf an, sein Ergebnispotenzial nur ansatzweise auszuschöpfen. Nun ist die seit Ende 2009 selbst börsennotierte OTRS weit entfernt davon, das Thema Rentabilität auszublenden, doch zu einem gewissen Punkt kann CEO André Mindermann die Kritik sogar nachvollziehen: „Am Anfang ging es nur darum, eine verdammt gute Software zu machen.“
Längst hat sich OTRS jedoch von dem Linux-Gratismodell verabschiedet und setzt – wie quasi alle anderen Software-Unternehmen auch – verstärkt auf dauerhafte Umsatzströme via Cloudlösungen. Mehr als die Hälfte der Kunden nutzen bereits die SaaS-Lösungen von OTRS, vor ein paar Jahren wählten nur etwa 10 Prozent diesen Weg. Dabei investiert das in Oberursel ansässige Unternehmen auch im laufenden Jahr kräftig in die Weiterentwicklung der eigenen Produkte und rechnet bei Erlösen zwischen 12,3 und 12,7 Mio. Euro mit einem ausgeglichenen bis leicht negativen EBITDA (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) – nach einem EBITDA von 1,27 Mio. Euro für 2022. Dieser operative Gewinn lag bereits deutlich unter dem EBITDA-Niveau der Jahre 2019 bis 2021, allerdings hatte die Gesellschaft 2022 mit den Investitionen in Personal, eine Marktforschungskooperation mit Gartner sowie der Einführung eines ERP-System von SAP wichtige Weichenstellungen vorgenommen, die sich zunächst einmal belastend auf die Ertragslage auswirken.
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Ab 2024 will das Team um André Mindermann dann wieder in rentables Terrain zurückkehren. Zusätzlich den Umsatz antreiben sollen dabei Partnerschaftsmodelle wie etwa mit Bechtle sowie eine Forcierung des eigenen Vertriebs. Beinahe schon zum guten Ton gehört es dabei, dass auch OTRS auf der KI-Welle reitet. „Künstliche Intelligenz ist ein Markttreiber für uns“, sagt André Mindermann bei seiner Präsentation auf dem von Montega veranstalteten HIT. Gelistete Wettbewerber sind zumindest in Teilbereichen USU Software sowie der US-Konzern ServiceNow. Zur Börsenpeergroup zählt aber auch Serviceware mit Sitz im nicht einmal 30 Kilometer von der OTRS-Firmenzentrale entfernten Idstein. Angesichts der momentanen Investitionsphase ist die Bewertung der OTRS-Aktie nicht ganz einfach zu greifen. Mit Blick auf das mittelfristig zu erwartende Ergebnisniveau haben die Analysten von Montega zuletzt aber ihr sportliches Kursziel von 13 Euro bestätigt.
CEO André Mindermann hält über die VBGM GmbH rund 40 Prozent der Aktien, dem Streubesitz sind etwa 30 Prozent zuzurechnen. Wie zu hören ist, soll es vor geraumer Zeit Bestrebungen für eine Umplatzierung aus dem Bestand von VBGM gegeben haben, doch die Transaktion wurde mit dem Kursrutsch im Zuge des im Februar 2022 begonnenen russischen Kriegs gegen die Ukraine gestoppt. Wie immer an der Börse bei einer solchen Gemengelage: Ein größerer Freefloat wäre definitiv positiv für das Handelsvolumen in dem Microcap, andererseits sind Änderungen im Aktionärskreis stets ein Unsicherheitsfaktor. Auf dem derzeit arg gedrückten Kursniveau sind Umplatzierungen aber ohnehin nicht opportun.
Entsprechend nutzt der Vorstandsvorsitzende André Mindermann die Gunst der Stunde auf dem HIT, um nochmals auf einen für ihn besonders wichtigen Aspekt hinzuweisen: „Am meisten unterschätzt der Kapitalmarkt unsere besondere Kultur und unsere Nachhaltigkeit.“ Hört sich jetzt vermutlich etwas sonderbar an, aber in der Tat ist es so, dass auch das Einzelgespräch von boersengefluester.de mit dem Vorstandsteam von OTRS auf den Hamburger Investorentagen – bei allem in so einem 1on1 üblichen verbalen Schlagabtausch – mit einer spürbaren Wohlfühlatmosphäre verbunden war. Und eben diesen Spirit scheint OTRS auch auf die eigenen Mitarbeiter zu übertragen. Bleibt der für Anleger entscheidende Punkt, dass aus OTRS endlich auch eine verdammt gute Software-Aktie wird.
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Foto: Unsplash+
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