Vermutlich haben erst wenige Investoren von OTRS gehört, dabei ist die Gesellschaft aus Oberursel in der Nähe von Frankfurt bereits seit Ende 2009 börsennotiert. Aktueller Börsenwert: Knapp 17,5 Mio. Euro – bei einem Streubesitzfaktor von etwa 30 Prozent. Eingesetzt wird die Software von OTRS insbesondere zur Strukturierung von Serviceanfragen im IT-Sektor. Konzipiert wurde die Lösung ursprünglich als frei verfügbares Open Source-Projekt. Von diesem Grundgedanken hat sich OTRS jedoch sukzessive entfernt. Ziel ist es auch bei OTRS, den Anteil der wiederkehrenden Erlöse zu erhöhen. Den Geschäftsbericht 2020 wird die im Freiverkehrssegment Basic Board gelistete Gesellschaft vermutlich erste Ende Juni veröffentlichen. Ursprüngliches Ziel war es, den Umsatz erstmals über die Marke von 10 Mio. Euro zu hieven. Schwer einzuschätzen, ob das geklappt hat. Zum Halbjahr lagen die Erlöse mit knapp 4,8 Mio. Euro jedenfalls um rund acht Prozent über dem entsprechenden Vorjahresniveau. Im Interview auf boersengefluester.de stellen Christopher Kuhn (COO) und Benjamin Müller (Executive Vice President) das Unternehmen vor und verraten, was sich durch Corona alles verändert hat.
Herr Kuhn, Open Source sind die Wurzeln von OTRS. Vor einigen Wochen haben Sie nun bekannt gegeben, dass Sie die kostenlose Community-Edition Ihrer Software bis auf Weiteres einstellen. Was sind Ihre Gründe hierfür.
Christopher Kuhn: Die Idee hinter Open Source basiert auf dem Gedanken der Freiheit und der Partizipation. Diese Werte haben unsere Organisation geprägt und haben für uns auch weiterhin einen hohen Stellenwert. Im Rahmen des Solution-Managements wollen wir kontinuierlich innovative Verbesserungen für unsere Kunden bereitstellen.
Was heißt das konkret?
Christopher Kuhn: Unsere Kunden haben in der Regel Bedürfnisse und Erwartungen, die weit über den Funktionsumfang einer „normalen“ ((OTRS)) Community Edition hinausgehen. Um dieser Situation Rechnung tragen zu können, haben wir die Weiterentwicklung der ((OTRS)) Community Edition in die Hände gegeben, in die sie auch gehört: nämlich in die Hände der Community, damit wir unsere Ressourcen voll auf die Bedürfnisse unserer Kunden konzentrieren und ständig für Innovation sorgen können.
Wie waren die Reaktionen Ihrer Kunden und der User der Community Edition?
Christopher Kuhn: Wie erwartet war die Reaktion unserer Kunden durchweg positiv. Allein einige wenige Graumarktanbieter, die ja bisher keinerlei Beitrag zur Weiterentwicklung der Software geleistet haben, haben sich kritisch geäußert. Dies ist natürlich nachvollziehbar, da deren Geschäftsmodell quasi auf der Nutzung eines durch uns zur Verfügung gestellten Produkts, nämlich der ((OTRS)) Community Edition besteht, ohne jedoch dafür eine Investition leisten zu müssen.
Denken Sie, diese Entscheidung hat auch Auswirkung auf Aktionäre und den Kapitalmarkt?
Christopher Kuhn: Aus dem Finanzmarkt erreichen uns seit der Veröffentlichung dieser Entscheidung durchweg positive Reaktionen. Das Signal ist eindeutig und wird von Aktionären verstanden: Unsere Fokussierung auf OTRS sorgt für mehr Innovation sowie zufriedenere Kunden, was wiederum größere Wachstumschancen für die OTRS AG bedeutet.
Tech- und Software-Unternehmen konnten ihr Geschäft in Corona-Zeiten teils signifikant ausweiten. Welchen Einfluss nimmt die Corona-Pandemie auf OTRS?
Christopher Kuhn: Profiteure der Pandemie waren zumeist Anbieter von Softwarelösungen, die für die Arbeit im Homeoffice zwingend erforderlich sind: Telefonie-Lösungen, Video- & Voice-Konferenzsysteme, etc. Die Einführung einer Lösung wie OTRS basiert auf strategischen Entscheidungen eines Unternehmens, zum Beispiel IT Service Management gemäß ITIL einzuführen.
Welche Herausforderungen ergeben sich durch die Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice für Ihre Kunden und für OTRS selbst?
Benjamin Müller: Wie bereits eingangs beschrieben basiert unsere Organisation auf dem Gedanken der Freiheit, der unter anderem in einer freien Wahl des Arbeitsorts und der Arbeitszeit Ausdruck findet. Konkret bedeutet dies, dass seit Gründung im Jahre 2003 jegliche Prozesse und Tools per Internet zugänglich sind. Insofern waren wir bereits bestens für eine Arbeit im Homeoffice vorbereitet. Für unsere Kunden hat sich nur insofern etwas geändert, dass wir Beratungsleistungen statt vor Ort zu einem großen Teil remote durchführen. Alle weiteren Services können unsere Kunden unverändert nutzen.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 7,65 | 8,31 | 9,80 | 9,71 | 11,04 | 11,84 | 12,31 | |
EBITDA1,2 | 0,51 | 0,97 | 1,61 | 2,31 | 2,40 | 1,27 | -0,34 | |
EBITDA-Marge3 | 6,67 | 11,67 | 16,43 | 23,79 | 21,74 | 10,73 | -2,76 | |
EBIT1,4 | 0,13 | 0,58 | 1,12 | 1,76 | 1,71 | 0,49 | -1,57 | |
EBIT-Marge5 | 1,70 | 6,98 | 11,43 | 18,13 | 15,49 | 4,14 | -12,75 | |
Jahresüberschuss1 | 0,14 | 0,45 | 0,78 | 1,22 | 1,19 | 0,34 | -1,08 | |
Netto-Marge6 | 1,83 | 5,42 | 7,96 | 12,56 | 10,78 | 2,87 | -8,77 | |
Cashflow1,7 | 1,70 | 1,01 | 0,79 | 1,46 | 2,51 | 1,17 | -1,21 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,07 | 0,23 | 0,41 | 0,63 | 0,62 | 0,17 | -0,56 | |
Dividende8 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,07 | 0,15 | 0,10 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Veda |
Sie haben mit dem Solution-Management eine neue Division bei OTRS eingeführt. Was genau sind die Aufgaben und Ziele des Teams?
Benjamin Müller: Neben Wissen ist vor allem Zeit zu einem der wichtigsten Faktoren für anhaltenden wirtschaftlichen Erfolg geworden. Wir erleben, dass die Erfüllung der Markterwartungen (vor allem in der benötigten Geschwindigkeit) nicht alleine durch vorhandene oder den Aufbau eigener Kompetenzen erreicht werden kann, sondern eine Kombination mit und Integration von externem Know-how bedingt. Das Solution-Management fördert die Innovationsfähigkeit der OTRS AG und unserer Kunden durch die Kombination von internen und externen Produkten sowie eigens erbrachten, eingekauften oder partnerschaftlichen Dienstleistungen. Wir sind überzeugt, dass unsere bestehenden und künftigen Kunden diesen partnerschaftlichen Ansatz begrüßen, und von diesem auch langfristig profitieren können.
Mit welchen Innovationen können Ihre Kunden in diesem Jahr rechnen?
Benjamin Müller: Mit dem Solution-Management entsteht ein Lösungsportfolio, das es unseren Kunden erlaubt, aus einer Palette an Produkten und Dienstleistungen genau diejenigen auszuwählen und zu kombinieren, die für mehr Freiheit in den eigenen Organisationen notwendig sind und diese bei Bedarf schnellstmöglich zu ergänzen und anzupassen. Im Fokus steht sowohl die nahtlose Integration der Produkte aus unserem Lösungsportfolio als auch die Integrationsfähigkeit mit anderen Softwareprodukten. Darüber hinaus sollen Innovationen in Zukunft deutlich schneller den Weg zu unseren Kunden finden.
Losgelöst von den harten Zahlen: Was zeichnet die OTRS AG aus?
Benjamin Müller: Als Unternehmen zeichnet uns eine starke Verbindung von Digitaler Transformation und New Work aus, die von einer dynamischen Organisationsentwicklung getragen wird, welche Freiheit und Individualität zu ihren wichtigsten Elementen zählt. In den vielfältigen Aktivitäten zur stetigen Optimierung unserer Unternehmenskultur stehen Diversity und Gleichberechtigung im Mittelpunkt. Dies reflektiert unsere interne und externe Kommunikation, unsere personalisierten Angebote für Weiterbildung und Karriereplanung. Darüber hinaus legen wir einen besonderen Schwerpunkt auf die familienfreundliche Gestaltung von Arbeitszeit- und -umgebung.
Schon vor der Pandemie konnten unsere Mitarbeiter in der Regel entscheiden, von wo sie arbeiten möchten. Sie hatten auch schon immer die Möglichkeit, ihre Arbeitszeit flexibel zu gestalten. Außerdem ist unser Erfolg auch ein Ergebnis von gesellschaftlicher Verantwortung. Regelmäßig unterstützen wir im Rahmen von Aktionen oder Spenden Non-Profit-Organisationen, was unsere Mitarbeiter sehr begrüßen. Ein Beispiel ist die langfristige Unterstützung des Frauenhauses in Oberursel, das in Zeiten wie diesen besonderen Zulauf hat. Und noch etwas: Auch wenn die OTRS AG deutsche Wurzeln hat, zeichnet uns eine Internationalität aus, die wir im täglichen Austausch mit unseren Mitarbeitern in den sechs Niederlassungen (USA, Mexiko, Singapur, Hongkong, Brasilien und Ungarn) fördern.