Mit Entsetzen haben die Investoren von Osram Licht auf die neuen Expansionspläne von Vorstandschef Olaf Berlien reagiert: Bis Mitte 2016 will sich Berlien vom Geschäft mit herkömmlichen Glüh- und LED-Lampen für die Allgemeinbeleuchtung trennen, das sich auf Privatkunden fokussiert und einen Jahresumsatz von rund 2 Mrd. Euro hat. Diesen mächtigen Erlösausfall will der Firmenlenker bis 2020 durch organisches Wachstum kompensieren und hat dazu seine „5.1.5”-Ambitionen vorgestellt. Erstens: Im Fiskaljahr 2020 soll der Umsatz 5,0 bis 5,5 Mrd. Euro erreichen, gegenüber 5,6 Mrd. für 2015. Bereinigt um das Lampengeschäft der Allgemeinbeleuchtung entspräche das einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von rund acht Prozent. Zweitens: Dabei soll im Jahr 2020 ein Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) von 0,9 Mrd. Euro bis eine Mrd. Euro erreicht werden. Am oberen Rand wäre das ein Anstieg um 80 Prozent gegenüber 2015. Drittens: Unterm Strich würde dann ein Gewinn je Aktie von rund fünf Euro stehen.
Um diese Ziele zu erreichen, will Berlien bis 2020 rund 3 Mrd. Euro investieren, davon 2 Mrd. Euro in die Forschung und Entwicklung und 1 Mrd. Euro in den Bau einer LED-Chipfabrik in Kulim, Malaysia. „Nun legen wir den Schalter auf Wachstum um. Unsere dafür ins Leben gerufene Innovations- und Wachstumsinitiative ‚Diamond’ hat dabei nicht nur zum Ziel, die Stellung des Unternehmens als Trendsetter im High-Tech-Lichtgeschäft abzusichern und auszubauen. Vielmehr wollen wir auch unsere Position im großen LED-Markt der Allgemeinbeleuchtung deutlich verbessern”, sagte der MDAX-Manager. Die Fabrik in Kulim soll ab 2017 Teile für LED-Autolampen und –Allgemeinbeleuchtung herstellen. Eine Nettoliquidität von 641,2 Mio. Euro und eine Eigenkapitalquote von 52,1 Prozent bieten eine hervorragende Basis, um die Investitionen anzugehen.
Gerade an diesem Teil der Strategie und dem Bau der Chipfabrik entzündet sich aber der Ärger der Investoren. Denn durch die Expansion in den Bereich LED-Allgemeinbeleuchtung tritt Osram in viel stärkere Konkurrenz zu den asiatischen Wettbewerbern – ein deutlich höheres Geschäftsrisiko als bislang, denn Osram ist derzeit vor allem in Nischenmärkten aktiv. Ob sich das Investment auszahlen wird, daran haben Investoren große Zweifel. „Wir haben das Vertrauen in den Vorstand verloren und sind entsetzt über diese Wachstumsfanatik und die unglaubliche Erhöhung des Geschäftsrisikos”, sagte Union-Fondsmanager Michael Muders in der neuen Ausgabe des Manager Magazins. Anstatt zu aggressiv zu expandieren, solle sich Osram auf das Auto- und Industriegeschäft fokussieren, betonte der Finanzprofi. Dadurch werde Osram zwar kleiner, aber hochprofitabel und als Investment deutlich weniger riskant.
Berliens Strategie geht zudem erst einmal deutlich zu Lasten der Profitabilität. So soll die bereinigte operative Gewinnmarge im Fiskaljahr 2015/16, das im September endet, „beträchtlich” unter dem 2015er-Niveau liegen, vor allem wegen den Wachstumsinvestitionen und dem anhaltenden Konzernumbau. Dabei werden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf rund neun Prozent des Umsatzes erhöht – gegenüber mehr als sechs Prozent für 2015. Der Konsens der Analysten hatte bislang mit einem leichten Anstieg der Gewinnmarge gerechnet. Die Experten von Morgan Stanley prognostizieren, dass der bereinigte operative Gewinn im laufenden Jahr um 35 Prozent einbrechen könnte. 2015 standen dort 567 Mio. Euro zu Buche. In der Pressemeldung kam dann der nächste Hammer: „Free Cash Flow in Höhe eines niedrigen bis mittleren negativen dreistelligen Millionen-Euro-Betrags aufgrund von stark steigenden Investitionen sowie Sondereffekten wie der Dotierung des Pensionsvermögens. Der vorläufige Free Cash Flow für das Geschäftsjahr 2015 lag bei 299 Millionen Euro.” Der Free Cash Flow wird berechnet, wenn man vom Cash Flow aus der laufenden Geschäftstätigkeit die Ausgaben für Investitionen abzieht. Etliche Analysen bemängelten, dass es vor der Veröffentlichung der neuen Strategie keinerlei Hinweise gegeben habe, dass das Unternehmen umfangreiche Investitionen plane.
Den Absturz des Aktienkurses konnte selbst die Meldung nicht verhindern, dass der Konzern Anfang 2016 ein Aktienrückkaufprogramm starten und innerhalb von zwölf bis 18 Monaten Papiere im Wert von bis 500 Mio. Euro erwerben will. Das entspricht mehr als zwölf Prozent des aktuellen Börsenwerts. Zudem sollen Aktionäre für das Geschäftsjahr 2016 eine Dividende mindestens in gleicher Höhe wie für 2015 (0,90 Euro) bekommen. Angenommen Osram erzielt im laufenden Fiskaljahr einen bereinigten operativen Gewinn von rund 400 Mio. Euro. Dann wäre der Konzern aus München mit mehr als dem Zehnfachen des Ergebnisses bewertet – ein sehr hoher Wert. Zumal die tatsächliche Marge wegen den anhaltenden Kosten für die Restrukturierung deutlich niedriger sein wird als die bereinigte. Selbst unter Berücksichtigung der Nettoliquidität beläuft sich das Multiple immer noch auf das 8,5. Das ist immer noch eine sportliche Bewertung. Und der Free Cash Flow soll im laufenden Fiskaljahr sogar negativ sein. Nichtsdestotrotz könnte der Titel in den nächsten Monaten in der Nähe des aktuellen Niveaus seitwärts tendieren. Und so manch Investor wird hoffen, dass es sich Berlien – angesichts des Kursabsturzes – mit seinen Wachstumsplänen bis zur Hauptversammlung am 16. Februar 2016 noch einmal überlegt.
Foto: Osram Licht AG ( S-Bahnstation Marienplatz in München)