Auf der Kapitalmarktkonferenz von Egbert Prior am 10. März 2015 am Frankfurter Regionalflughafen Egelsbach machte Avi Sharir, Vorstandschef von Orad Hi-Tec Systems, einen super zuversichtlichen Eindruck und kündigte eine Fortsetzung des Wachstumstrends an. Die Aktionäre des israelischen Spezialisten für TV-Studiotechnik hörten die Botschaft gern, denn nach Jahren mit einer enttäuschenden Performance auf dem Börsenparkett war die Orad-Aktie endlich in Schwung gekommen. Allein seit Anfang November 2014 hatte sich die Notiz bis auf 4 Euro etwa verdoppelt. Nun setzt Orad noch einen drauf – allerdings scheinen die Tage des Börsenlistings damit auch gezählt. Der amerikanische Mediensoftwarekonzern Avid Technology (Börsenwert: 620 Mio. Dollar) will Orad gegen eine Barzahlung von 5,67 Euro je Aktie übernehmen. Auf dieser Basis kommt Orad auf eine Marktkapitalisierung von 66,6 Mio. Euro. „Der vereinbarte Preis bedeutet einen Aufschlag von mehr als 40 Prozent auf den aktuellen Börsenwert und entspricht ähnlichen Transaktionen der Broadcast-Branche”, sagt Orad-Vorstand Avi Sharir. Neuer-Markt-Kennern ist Avid womöglich noch ein Begriff, weil sie im März 2005 Pinnacle Systems übernommen hatten. Der amerikanische Spezialist für Videosoftware galt 1999 als heißer Tipp in der heimischen Börsenszene, weil Pinnacle mit einem Wechsel an den Neuen Markt liebäugelte. Dazu ist es allerdings nie gekommen. Mittlerweile gehört Pinnacle zu Corel – dem größten Softwarehersteller Kanadas.
Wie geht es bei Orad weiter? „Es ist vorgesehen, dass Orad als aufnehmender Rechtsträger mit einer neugegründeten israelischen Tochtergesellschaft von Avid verschmolzen wird und dadurch eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von Avid wird”, heißt es offiziell. Mit anderen Worten: An eine Fortführung der Börsennotiz ist nicht gedacht. Bereits gegen Ende des zweiten Quartals soll der Zusammenschluss abgeschlossen sein. Die Abwicklung der Zahlung soll Anfang des dritten Quartals erfolgen. Formal bedarf der Deal noch einer Zustimmung von mindestens 75 Prozent der bei der nächsten Hauptversammlung vertretenen Stimmrechte. Die Hürde sieht zunächst anspruchsvoll aus. Dennoch dürfte es vermutlich eine Formsache werden, da wesentliche Aktionäre bereits ihre Zustimmung signalisiert haben. Gemäß der aktuellen Präsentation von Orad hält CEO Avi Sharir 24,8 Prozent der Aktien. 24,9 Prozent sind der Viola Group, einer auf Wachstumswerte spezialisierten Fondsgesellschaft aus Israel, zuzurechnen. Daniel Furmann, Direktor bei Orad, gehören 6,8 Prozent der Aktien. Den Streubesitz geben die Israelis mit 43,5 Prozent an. Für eine 75-Prozent-Hauptversammlungsmehrheit sollte die Stimmverteilung reichen.
Zudem scheint uns die Offerte durchaus attraktiv. Kurse nördlich von 5 Euro hat die Orad-Aktie zuletzt im Jahr 2001 gesehen. Gegenwärtig wird der Anteilschein annähernd mit dem Vierfachen des Buchwerts gehandelt. Der Multiplikator auf das 2014er-EBITDA (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) von 5,3 Mio. Euro beläuft sich auf knapp zwölf. Abzüglich der Nettoliquidität verringert sich der Faktor auf rund 10,5. Auf 2015er-Basis stufen wir die Relation von Börsenwert abzüglich Nettofinanzguthaben (= Enterprise Value) zu EBITDA auf etwa sieben ein. Sonderlich viel Luft nach oben scheint da nicht mehr zu sein. Aber wie das so ist bei einer Aktie, die ewig lang nicht so recht beachtet wurde, seit einigen Monaten aber richtig Spaß macht: Da tut der Abschied doch irgendwie weh. Immerhin ist Orad bereits seit November 1999 hierzulande gelistet. Ganz nüchtern rechnet Avid-Finanzvorstand John Frederick. Er geht davon aus, dass Orad inklusive aller Synergien und bereinigt um Kaufpreiseffekte auf ein EBITDA von 10 Mio. Euro kommen kann. Demnach setzt er sein Bewertungsmultiple bei rund sechs an. Wer den Titel im Depot hat, sollte die weitere Entwicklung einfach abwarten. Neuinvestments würde boersengefluester.de jetzt allerdings nicht mehr eingehen.