Vermutlich war es eine der überraschendsten Unternehmensmeldungen des laufenden Jahres überhaupt, zumindest bezogen auf das Coverage-Universum von boersengefluester.de: Northern Data verkauft sein texanisches Rechenzentrum für Hochleistungsanwendungen an den amerikanischen Bitcoin-Miner Riot Blockchain und kassiert dafür 67 Mio. Euro in bar und 11,8 Millionen Riot Blockchain-Aktien im Gegenwert von zurzeit fast 540 Mio. Euro. Unerwartet kommt die Nachricht schon allein deshalb, weil die Errichtung des Rechenzentrums – inklusive diverser Ausbaustufen – seit mehr als einem Jahr den Kern der Investmentstory von Northern Data bildete. Dabei ging die Gesellschaft – zumindest in der Außenwahrnehmung – durch gewaltige Höhen und Tiefen. Letztlich klang die Story irgendwie immer zu gut, um wahr zu sein. Entsprechend gibt es regelmäßig auch sehr skeptische Kommentare. Einen Teil davon musste Northern Data auf die eigene Kappe nehmen, denn gemessen am rasant gewachsenen Börsenwert und den sportlichen Ergebniszielen, war die organisatorische Aufstellung der Frankfurter lange Zeit deutlich unterdimensioniert.
Zumindest was die Personalseite angeht, hat Northern Data kräftig nachgebessert. Zudem soll der in den kommenden Wochen anstehende Konzernabschluss für 2020 mit einem Testat von KPMG versehen sein. Den Abschluss 2019 prüfte noch die, verglichen mit KPMG, eher unbekannte AIOS aus Berlin. Darüber hinaus will das Unternehmen künftig quartalsweise reporten. Das höhere Maß an Transparenz will CEO Aroosh Thillainathan zudem für ein US-Listing – vermutlich an der Nasdaq – nutzen. Diese Pläne hat Northern Data nun noch einmal bekräftigt. Sinnvoll ist der Schritt allemal, zumal vergleichbare Unternehmen dort zwei- bis dreimal so hoch bewertet werden wie hierzulande. Was bleibt ist die Frage, ob der Texas-Deal nun eine gute Nachricht oder eher negativ zu werten ist. Immerhin drängt sich der Eindruck auf, dass das Projekt zumindest im bisherigen Zeitplan womöglich doch nicht die kommunizierten Größenordnungen erreicht hat.
Das wiederum würde an der Prognosequalität von Northern Data lasten. Andererseits ist es so, dass ein Verkauf der Texas-Aktivitäten zum jetzt erzielten Verkaufspreis vor zwölf Monaten wohl als völlig illusorisch eingestuft worden wäre. Zudem ist die Gesellschaft mit seinen sechs bestehenden HPC-Standorten in Kanada, Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien regional deutlich breiter aufgestellt, als wir es bislang gedacht hatten. „Mit dem Erlös aus der Transaktion können wir unsere Expansion deutlich beschleunigen und den Fokus auf wertsteigernde HPC-Dienstleistungen verstärken“, sagt Aroosh Thillainathan. So ist unter anderem die Entwicklung von acht neuen HPC-Standorten in Nordamerika und Europa geplant. Dem Vernehmen nach gespeist mit einem noch grüneren Energie-Mix als bislang. Gleichzeitig bleibt die Prognose für 2021 mit einem EBITDA (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) von 100 bis 125 Mio. Euro bestehen. Nur die Erlösvorschau wurde um rund 75 Mio. Euro auf eine Spanne von 285 bis 325 Mio. Euro gekappt.
Zur Einordnung: Der aktuelle Börsenwert von Northern Data beträgt 1.760 Mio. Euro. Abzüglich des Netto-Cash nach dem Texas-Verkauf sowie der jüngsten Kapitalerhöhung bleibt ein Unternehmenswert von geschätzt rund 1.200 Mio. Euro stehen. Demnach würde die Gesellschaft mit weniger als dem Zehnfachen des für 2021 in der zuversichtlichen Variante zu erwartenden EBITDA gehandelt. Dagegen lässt sich nichts einwenden. Freilich schwankt dieses Multiple schon allein deshalb, weil ein erheblicher Teil der liquiden Mittel in Form von Riot Blockchain-Aktien in der Bilanz stehen wird. Bleibt abzuwarten, wann und in welchem Umfang Northern Data diese Position – immerhin handelt es sich um einen Anteil von rund zwölf Prozent – gegebenenfalls liquidiert. Noch heißt es offiziell: „Durch die Minderheitsbeteiligung kann Northern Data künftig von den Synergien der Transaktion profitieren und weiterhin direkt am Wachstum des Bitcoin-Wertpotenzials partizipieren.“
Unterm Strich ist es aber legitim zu sagen, dass es die Northern Data nun – bei unveränderten Ertragsperspektiven – mit deutlich mehr Cash und Wertpapieren unterlegt gibt. Demnach hat sich das Chance-Risiko-Verhältnis nach Auffassung von boersengefluester.de also eher verbessert. Die hektische Kursentwicklung der vergangenen Tage zeigt aber, dass die Einschätzungen hin und her gehen. Besonders spannend aus Investorensicht ist der Blick auf einen indirekten Profiteur des Deals – sprich die Beteiligungsgesellschaft Cryptology Asset Group aus dem Umfeld von Multi-Unternehmer Christian Angermayer.
So hält Cryptology rund 16 Prozent an Northern Data, was den aktuellen Aktienkurs von 180 Euro allein zu gut 100 Euro abdeckt. Cryptology selbst taxiert den aktuellen Substanzwert (NAV) des Portfolios auf zurzeit rund 225 Euro je Aktie. Firmenkenner halten das für eine sehr konservative Annahme – schon allein wegen der indirekten Bitcoin-Position über die Beteiligung an Block.One – und siedeln den fairen Wert eher zwischen 300 und 400 Euro je Anteilschein an. Nun: Ein Discount ist angesichts der hohen Volatilität sicher gerechtfertigt, aber wohl kaum im jetzigen Ausmaß. Risikobereite Investoren schauen sich also insbesondere die auch seit einigen Monaten zusätzlich am Börsenplatz Frankfurt gehandelte Cryptology-Aktie an. Northern Data scheint uns eine gute Halten-Position zu sein.
Foto: Keith Johnston auf Pixabay