Deutlich mehr als eine Stunde hat die Präsentation der Netfonds-Vorstände Martin Steinmeyer (CEO) und Peer Reichelt (CFO) auf der Connect-Plattform von Montega gedauert. Wie bei einem „Earnings Call“ üblich, ging es im Wesentlichen um die Zahlen des vergangenen Jahres sowie den Ausblick für 2022. Und hier haben die Hamburger richtig viel zu bieten: So liegen sowohl die Erlöse von 37,5 Mio. Euro als auch das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) von 7,6 Mio. Euro nochmals leicht über den ohnehin bereits heraufgesetzten Prognosen. Das wiederum überrascht nicht wirklich, denn der Finanzdienstleister hat mit seinen Dienstleistungen und Produkten rund um das Thema Vermögensanlage kräftig vom Börsenboom profitiert.
Entsprechend könnten Aktionäre allerdings auch befürchten, dass das Pendel in der zurzeit so kritischen Phase an den Kapitalmärkten umschlägt. Doch Netfonds hat bereits im ersten Quartal 2020 mit dem Corona-Crash gezeigt, dass die Korrelation zum Börsengeschehen viel niedriger ist als zu vermuten. Das liegt unter anderem daran, dass die angeschlossenen Portfoliomanager ihre Kundengelder zwar innerhalb einzelner Assetklassen kräftig umschichten, das Kapital damit aber innerhalb des Ökosystems von Netfonds bleibt. Vereinfacht ausgedrückt, stellt die Gesellschaft nämlich den kompletten regulatorischen und organisatorischen Rahmen für unabhängige Vermögensverwalter und sonstige Kapitalsammelstellen zur Verfügung. Vielfach ein provisionsgetriebenes Massengeschäft, aber Netfonds drängt zunehmend auch in höherwertigere Bereiche mit eigenen Produkten.
Der markanteste Unterschied zwischen dem eigenen Börsenstart im September 2018 und dem Jahr 2022 ist jedoch, dass Netfonds über die Abwicklungsplattform finfire mittlerweile technisch ganz anders aufgestellt ist, als zu früher. Laut Finanzvorstand Peer Reichelt hat die Gesellschaft seit 2018 um die 15 Mio. Euro in die Plattform gesteckt – nur der kleinste Teil davon wurde aktiviert. Das wiederum erklärt, warum die Investoren in den ersten Jahren auf Kapitalmarktkonferenzen regelmäßig die schwache Ergebnisausbeute moniert haben und mit der Netfonds-Aktie nicht richtig warm wurden. Nun gehen jedoch immer mehr Module von finfire live und sorgen für ein Skalierungspotenzial, wie man es sonst von klassischen Technologiefirmen gewohnt ist. „Wir haben das Wort Digitalisierung nicht nur als Phrase genutzt“, sagt CEO Martin Steinmeyer.
Mittlerweile umfasst das IT-Team von Netfonds rund 70 Mitarbeiter – mit weiter steigender Tendenz. Sichtbar auch darin, dass sich das Unternehmen mit Dietgar Völzke frühzeitig sogar einen eigenen Technikvorstand an Bord geholt hat. Umtriebig ist Netfonds aber auch in anderen Bereichen: Jüngster Coup ist etwa die Auslagerung von wesentlichen Teilen des in der Tochter NSI gebündelten Bestandshaltergeschäfts für Immobilien an die ebenfalls börsennotierte – und indirekt mit Netfonds verbundene – Value Management & Research AG (VMR). Boersengefluester.de hatte über die Transaktion damals berichtet (HIER). In den Zahlen für 2021 wirkt sich der Deal in Form eines außerordentlichen Ertrags von rund 6,3 Mio. Euro aus. Damit nicht genug: „NSI kann unter dem Dach der VMR Wachstumspotenziale heben, die vorher so nicht möglich waren“, sagt Reichelt und spielt insbesondere auf den typischerweise hohen Fremdkapitaleinsatz beim Immobiliengeschäft ab.
In der Konsequenz wird der Finanzdienstleister Netfonds damit auch bilanziell in einem deutlich fokussierterem Licht erscheinen. Zur Einordnung: Zuletzt machten Immobilien immerhin rund ein Drittel der Bilanzsumme aus. On top kommt das künftig um rund 1,5 Mio. Euro verbesserte Zinsergebnis. Abzuwarten bleibt indes, wie sich die Höhe des Aktienengagements von Netfonds an VMR perspektivisch gestalten wird. Bei voller Wandlung des als zusätzliche Gegenleistung für die Einbringung von NSI erhaltenen Convertible-Bonds im Volumen von 5,2 Mio. Euro, könnte Netfonds bei VMR bis dicht an die Marke von 50 Prozent kommen. Ein Überschreiten dieser plakativen Hürde ist indes eher unwahrscheinlich, insbesondere um die Verlustverträge nicht zu gefährden.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 17,12 | 20,19 | 26,47 | 31,82 | 38,64 | 33,62 | 36,60 | |
EBITDA1,2 | 2,58 | 1,39 | 3,43 | 4,17 | 15,65 | 6,47 | 4,91 | |
EBITDA-Marge3 | 15,07 | 6,88 | 12,96 | 13,10 | 40,50 | 19,24 | 13,42 | |
EBIT1,4 | 1,89 | -0,17 | 1,16 | 1,81 | 11,67 | 2,96 | 1,34 | |
EBIT-Marge5 | 11,04 | -0,84 | 4,38 | 5,69 | 30,20 | 8,80 | 3,66 | |
Jahresüberschuss1 | 1,27 | -0,72 | -0,40 | 0,03 | 8,74 | 0,88 | -0,28 | |
Netto-Marge6 | 7,42 | -3,57 | -1,51 | 0,09 | 22,62 | 2,62 | -0,77 | |
Cashflow1,7 | 1,57 | -0,04 | -9,68 | 5,22 | -17,77 | 3,07 | 1,50 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,45 | -0,33 | -0,19 | 0,01 | 3,79 | 0,38 | -0,12 | |
Dividende8 | 0,20 | 0,15 | 0,00 | 0,16 | 0,25 | 0,25 | 0,25 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: NPP |
Losgelöst von den Besonderheiten des Immobilien-Spin offs: Für das laufende Jahr kalkuliert Netfonds auf Konzernebene mit einem Zuwachs der Netto-Erlöse auf 40,0 bis 42,5 Mio. Euro, das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) dürfte in einer Bandbreite zwischen 5,5 und 6,5 Mio. Euro ankommen – verglichen mit 5,0 Mio. Euro für 2021. „Das ist jetzt nicht die ganz sportlich Prognose“, sagt Finanzvorstand Reichelt und ergänzt in einem Atemzug: „Die Märkte sind shaky.“ An einem Tag, an dem der DAX wegen des Ukraine-Einmarschs von Russland um deutlich mehr als fünf Prozent in die Knie geht, ist „wackelig“ wohl sogar noch recht harmlos ausgedrückt. Noch ein Tipp am Rande: Wer sich im Internet über Finanzen informieren will, kann das ja auch mal wieder die Seite ftd.de ansteuern. „Wie jetzt: ftd.de?“, mag sich mancher aus der Journalistenszene denken. Nein, es handelt sich nicht um die Auferstehung der Financial Times Deutschland.
Des Rätsels Lösung: Über die Tochter 4free AG haben sich die Hamburger schon vor einiger Zeit die URL der früher mit einer so großen Fanbasis ausgestatteten FTD gesichert und berichten hier nun über Finanzthemen im weiteren Sinne – von Krypto bis Karriere. Marketingtechnisch clever gemacht. Aber so ist das Team von Netfonds. Entsprechend geht borsengefluester.de davon aus, dass sich der Aktienkurs – so die Welt nicht komplett abdriftet – weiter Richtung Norden bewegt. Die Analysten von Hauck & Aufhäuser covern den im m:access gelisteten Titel seit kurzer Zeit nun auch und sehen ein Kursziel von 68 Euro als realistische Marke. Das entspricht einem Potenzial von zurzeit 36 Prozent.