Frische Impulse dringend nötig hatte zuletzt die Investmentstory von mVISE. Operativ ist das IT-Service-Unternehmen hinter den Erwartungen zurückgeblieben, insbesondere was die Entwicklung der eigenen Softwareprodukte angeht. Das zeigen jedenfalls die bereits bekannten Eckdaten für das abgelaufene Jahr. Den Geschäftsbericht für 2020 will mVISE Ende Juni vorlegen. Nicht leichter aus Investorensicht macht es dabei die Tatsache, dass die Düsseldorfer mit einem Börsenwert von gut 22 Mio. Euro selbst innerhalb des Spezialsegments Scale zu den kleinsten Titeln gehören. Insofern ist es ein positives Signal, dass die Gesellschaft mit der Wachstumsstrategie 2021/22 nun die Flucht nach vorn antritt. Vertrieb, Portfolio und Lieferfähigkeit sind die drei Ankerpunkte bei den geplanten Veränderungen. Zudem steht eine Akquisition auf der Agenda. Der finanzielle Spielraum soll derweil via 10-Prozent-Kapitalerhöhung ausgeweitet werden. Boersengefluester.de sprach mit den drei mVISE-Vorständen Manfred Götz, Cedric Balzar und Arnaud Becuwe über die Einzelheiten der Strategie 2021/22.
Herr Götz, Sie wollen mVISE als deutschen Hybrid-Cloud-Spezialisten positionieren. Würden Sie uns das bitte näher erläutern?
Manfred Götz: Wir haben bereits im März 2018 in unserer Strategie 2018+ das Ziel ausgegeben, die Anzahl unserer Mitarbeiter in den folgenden drei Jahren zu verdoppeln und einer der führenden IT-Anbieter im Bereich der digitalen Transformation zu werden. Nun haben wir zwar ausgehend vom Geschäftsjahr 2017 eine beeindruckende Steigerung in Umsatz und Mitarbeiter in Höhe von 40 Prozent erreicht – aber dem Ziel einer Verdopplung sind wir durch unser organisches Wachstum nicht gerecht geworden. Die Entwicklung am Markt gibt uns dennoch Recht: Unsere Kernthemen insbesondere im Kontext von Cloud-Computing sind aktueller denn je. Der Trend zu dieser Form von Digitalisierung ist durch die COVID-19-Pandemie erheblich beschleunigt worden. Wir möchten daher dieser Entwicklung durch weiteres Wachstum – auch anorganisch – gerecht werden.
Kurze Nachfrage dazu, Herr Götz: Öffentliche Clouds wie die von Amazon, Google oder Microsoft Azure sind mittlerweile wohl bekannt. Nicht jedem Investor wird aber der Begriff Hybrid Cloud unmittelbar geläufig sein. Was versteht man also darunter?
Manfred Götz: Hybrid Cloud ist eine Lösung, die eine private Cloud mit einem oder mehreren öffentlichen Cloud-Services kombiniert und mittels proprietärer Software eine Kommunikation zwischen unterschiedlichen Services ermöglicht.
Vor wenigen Tagen haben Sie die neue Strategie Growth 2021/22 beschlossen. Was wird sich bei mVISE konkret verändern?
Manfred Götz: Der Name unserer Strategie ist Programm: Wir möchten in unserem zukunftsträchtigen Geschäftsfeld weiterwachsen – schneller als unsere Wettbewerber. Dies bedeutet Investitionen in die Wachstumsfelder und gegebenenfalls auch einen Ausstieg aus nicht-strategischen Geschäftsbereichen. Vor allem möchten wir unsere Lieferfähigkeit erhöhen, durch den Ausbau unseres bereits gut funktionierenden Nearshore-Sourcings, aber insbesondere auch durch eine Akquisition am deutschen Markt.
Welche Ziele verfolgen Sie mit der geplanten Akquisition? Welche Kriterien muss ein potenzielles Target erfüllen?
Manfred Götz: Das Target muss uns ein erhebliches Erlöswachstum auf mindestens 50 Mio. Euro Jahresumsatz und eine stabilere Investoren-Rendite durch Skaleneffekte ermöglichen. Es sollte uns die Möglichkeit geben, unseren „Footprint“ in den Branchen Telekommunikation, Finanzdienstleister und in der Medienbranche weiter auszubauen – und es sollte unsere technische Expertise im Bereich Cloud-Computing weiter ergänzen. Wir fokussieren uns hierbei auf den deutschsprachigen Raum.
Wie wollen Sie eine Übernahme finanzieren? Die jetzt angekündigte Kapitalerhöhung im Volumen von bis zu 2 Mio. Euro dürfte dafür nicht ausreichen.
Manfred Götz: Der Kauf von Firmenwerten soll nicht nur über eine Barkomponente, sondern vor allem durch eine Aktienkomponente erfolgen. Darüber hinaus soll der Kauf auch erfolgsabhängige Earn-Outs beinhalten, so dass sich die Finanzierung auch über die zusätzlichen Überschüsse des Unternehmens abbilden lässt. Dieses Vorgehen benötigt jedoch die Zustimmung der Aktionäre. Aus diesem Grunde haben wir auch bekannt gegeben, dass wir unsere ordentliche Hauptversammlung verschieben, um hier unseren Aktionären bereits fundierte Entscheidungsgrundlagen liefern zu können.
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Herr Becuwe, ein weiterer Ankerpunkt Ihrer Wachstumsstrategie ist der Neukundenvertrieb. Wie wollen Sie hier neues Momentum aufbauen?
Arnaud Becuwe: Hierfür bin ich seit dem 1. April als neuer Vorstand in der mVISE angetreten. Ich verantworte die Bereiche Vertrieb und Marketing. Bis dato war die mVISE in ihrem Kernbereich Expert Services vor allem durch „Mund-zu-Mund-Propaganda“ erfolgreich. Wir wurden von unseren Kunden weiterempfohlen und konnten auch ohne dedizierte Vertriebs- und Marketing-Aktivitäten ein beeindruckendes Wachstum erzielen. Durch einen strukturierten Vertriebsangang sehen wir hier aber ein erhebliches weiteres Wachstumspotenzial, sowohl im Bereich IT-Beratung als auch bei unseren Produkten SaleSphere und elastic.io.
Was planen Sie konkret?
Arnaud Becuwe: Als digitales Unternehmen werden wir insbesondere alle Hebel der Marketing-Automation nutzen, um unsere Expertise auf ganz präzise IT-Themen zu positionieren. Anders als viele unserer Wettbewerber sprechen wir nicht akademisch über Digitalisierung, sondern lösen ganz konkrete technische Herausforderungen. Auf unserer Kundenliste stehen hauptsächlich Großkonzerne, daher sehen wir noch außerordentliches Potenzial auch bei bestehenden Kunden. Entsprechend werden wir das Account Management weiter ausbauen, um systematisch das „Share of Budget“ zu erhöhen.
Auch in Ihrem Dienstleistungsportfolio wollen Sie Änderungen vornehmen. Wo sehen Sie hier Optimierungspotenzial?
Arnaud Becuwe: Wir sehen täglich in unserer Arbeit die Herausforderungen unserer Kunden: Informationstechnologie ist immer weniger ein reines Werkzeug, sondern mehr und mehr Kernbestandteil der Wertschöpfung. Dabei entscheidet die Geschwindigkeit der Umsetzung über die Wettbewerbsfähigkeit. Jetzt, nach den Monaten der Pandemie, sehen wir zudem: Es ist immer weniger relevant, wo die Arbeitsleistung unserer Mitarbeiter erbracht wird: beim Kunden vor Ort, in den Büros der mVISE, im Homeoffice – oder eben in unseren mVISE-Räumlichkeiten in Kiew. Basierend auf diesen Erkenntnissen möchten wir unser Dienstleistungsportfolio ausrichten: Wir brauchen eine erweiterte Lieferfähigkeit an erfahrenen IT-Experten mit einer sogenannten „Cloud-native“-Mentalität, die agil und international arbeiten.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 14,78 | 22,53 | 21,54 | 18,99 | 14,90 | 15,64 | 14,00 | |
EBITDA1,2 | 1,96 | 2,47 | 1,38 | -0,99 | 1,51 | 0,00 | 1,10 | |
EBITDA-Marge3 | 13,26 | 10,96 | 6,41 | -5,21 | 10,13 | 0,00 | 7,86 | |
EBIT1,4 | 0,54 | 1,31 | 0,09 | -2,92 | 0,01 | -0,90 | -1,78 | |
EBIT-Marge5 | 3,65 | 5,81 | 0,42 | -15,38 | 0,07 | -5,75 | -12,71 | |
Jahresüberschuss1 | 1,30 | 1,25 | -0,29 | -4,11 | -0,31 | -2,23 | -3,42 | |
Netto-Marge6 | 8,80 | 5,55 | -1,35 | -21,64 | -2,08 | -14,26 | -24,43 | |
Cashflow1,7 | 0,05 | -0,63 | 1,64 | 1,57 | -0,45 | 3,14 | 0,36 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,15 | 0,12 | -0,03 | -0,40 | -0,03 | -0,22 | -0,35 | |
Dividende8 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: HaackSchubert |
Zu Ihrer Growth-Strategie gehört auch der potenzielle Ausstieg aus nicht-strategischen Geschäftsbereichen. Was steht zur Disposition? Wie kurzfristig streben Sie einen Ausstieg an?
Arnaud Becuwe: Im Rahmen der oben beschriebenen Fokussierung könnte es auch Sinn ergeben, sich von Produkten zu trennen. Dies aber nur, wenn sich die getätigten Investments auszahlen und dabei bei der Finanzierung der neuen Strategie hilfreich sind.
Mit welchen Erwartungen blicken Sie auf das zweite Halbjahr 2021? Welche Ziele wollen Sie bis Jahresende noch erreicht haben?
Cedric Balzar: Wir planen mit der Akquisition signifikante zusätzliche anorganische Umsätze noch im Jahr 2021. Wie hoch diese ausfallen, kommt auf das konkrete Target und den Erwerbszeitpunkt an. Unabhängig davon planen wir nach dem krisengebeutelten Corona-Jahr in diesem Jahr wieder weiteres organisches Wachstum. Die Zeichen hierfür stehen gut. Wir haben das Jahr mit annähernder Vollauslastung im Beratungsbereich gestartet und haben mit dem deutschen Decacorn Mambu, der englischen Firma Infobip und dem internationalen Software-Konzern Tata Consulting in den vergangenen Wochen drei bedeutende neue White-Label-Kunden für unser Produkt elastic.io gewonnen.
Im Rahmen Ihrer Strategie 2018+ hatten Sie ein Wachstum auf über 50 Mio. Euro als Ziel ausgegeben. Wie realistisch ist diese Zielsetzung für die kommenden Jahre?
Cedric Balzar: Wenn uns die geplante Akquisition mit einem IT-Umsatzvolumen von 20 bis 40 Mio. Euro gelingt, dann werden wir diesen Wachstumsschritt schon im nächsten Jahr erreicht haben.
Fotos: Clipealer, mVISE