Normalerweise finden 1on1 mit Vorständen virtuell via Zoom oder Teams statt. Oder eben bei physischen Veranstaltungen im jeweiligen Konferenzhotel. Bei Rüttnauer Research geht es dagegen einmal pro Jahr mit Unternehmen, Investoren, Analysten und Finanzpresse auf große IR-Bootsfahrt. Nach der Corona-Pause im Vorjahr standen 2021 Potsdam und die Havel auf dem Programm. Und so hat sich boersengefluester.de am 11. September an Bord der MS Havelstern mit mVISE-Vorstand Manfred Götz zu einem ausführlichen Hintergrundgespräch zusammengesetzt. Erklärungsbedarf gibt es schließlich mehr als genug. Immerhin hat das IT-Service-Unternehmen erst wenige Tage zuvor erklärt, dass es seine Tochter elastic.io in zwei Schritten an die ebenfalls börsennotierte Cogia AG verkauft.
Ausgerechnet elastic.io dachte sich wohl nicht nur boersengefluester.de, immerhin war der Spezialist für Schnittstellen zu verschiedensten SaaS-Anbietern seit nun fast drei Jahren der Hoffnungsträger für mVISE, um mit einem eigenen Softwareprodukt die operative Konzernmarge endlich auf ein deutlich zweistelliges Niveau zu hieven. Allerdings hat elastic.io – abgesehen von einem Anfangsschwung – nie die erhofften PS auf die Straße bekommen. Zuletzt gab es sogar massive Rückschläge zu verkraften, weil sowohl der israelische Vertriebs- und Entwicklungspartner Magic Software als auch die Deutsche Telekom ihre Kooperationen mit elastic.io beendet haben. „Das hat uns hart getroffen“, räumt Götz ein.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es mVISE – als ein sonst regelmäßig im Kundenauftrag tätiges Unternehmen – wohl auch kulturell nicht wirklich hinbekommen hat, ein eigenes Softwareprodukt am Markt zu etablieren. Von der dafür nötigen finanziellen Entwicklungspower und auch Zeit ganz zu schweigen. Nun also der Schlussstrich in Sachen elastic.io. Immerhin sagt Götz in Potsdam: „Wir haben die Firma teurer verkauft, als sie bei uns in der Bilanz steht.“ Entsprechend taxiert boersengefluester.de den Deal auf eine Bandbreite von gut 4 bis 5 Mio. Euro. Wer sich nun wundert, warum das zweite Produkt von mVISE – die Vertriebssoftware SaleSphere – nicht ebenfalls direkt im Schaufenster steht: Dem Vernehmen nach gab es hier kundenseitig zuletzt einige viel versprechende Lizenzdeals, so dass bei SaleSphere durchaus frischer Schwung reinkommen könnte. Für eine valide Aussage hierzu ist es allerdings noch zu früh.
Sehr viel wichtiger aus Kapitalmarktsicht ist ohnehin eine ganz andere Entwicklung, an dessen Ende wohl auch der Name mVISE Geschichte sein wird. Bereits im Juni hatten die Düsseldorfer im Rahmen ihrer Wachstumsstrategie 2021/22 kommuniziert, dass sie über eine größere Akquisition im IT-Bereich den schon lange angepeilten Sprung Richtung 50 Mio. Euro Konzernumsatz schaffen wollen. „Man muss im IT-Beratungsbereich eine kritische Größe haben“, sagt Götz. Im Zuge dessen gab es Mitte Juni sogar eine 10-Prozent-Kapitalerhöhung, die brutto knapp 1,9 Mio. Euro in die Kassen gespült hat. Nun lässt sich damit – selbst inklusive der Mittel aus der elastic.io-Transaktion – sicherlich keine prosperierende Gesellschaft kaufen, die mindestens genauso groß ist wie mVISE. Und damit wird es nun spannend aus Investorenperspektive: Wie Vorstand Manfred Götz uns gegenüber bestätigte, befindet sich mVISE in sehr konkreten Gesprächen mit zwei potenziellen Zielen. Eins davon ist sehr vergleichbar mit mVISE, Kandidat Nummer zwei wäre deutlich größer.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 14,78 | 22,53 | 21,54 | 18,99 | 14,90 | 15,64 | 14,00 | |
EBITDA1,2 | 1,96 | 2,47 | 1,38 | -0,99 | 1,51 | 0,00 | 1,10 | |
EBITDA-Marge3 | 13,26 | 10,96 | 6,41 | -5,21 | 10,13 | 0,00 | 7,86 | |
EBIT1,4 | 0,54 | 1,31 | 0,09 | -2,92 | 0,01 | -0,90 | -1,78 | |
EBIT-Marge5 | 3,65 | 5,81 | 0,42 | -15,38 | 0,07 | -5,75 | -12,71 | |
Jahresüberschuss1 | 1,30 | 1,25 | -0,29 | -4,11 | -0,31 | -2,23 | -3,42 | |
Netto-Marge6 | 8,80 | 5,55 | -1,35 | -21,64 | -2,08 | -14,26 | -24,43 | |
Cashflow1,7 | 0,05 | -0,63 | 1,64 | 1,57 | -0,45 | 3,14 | 0,36 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,15 | 0,12 | -0,03 | -0,40 | -0,03 | -0,22 | -0,35 | |
Dividende8 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: HaackSchubert |
Offenbar gibt es auch bereits eine Präferenz. Aber was diesen Punkt angeht, lässt sich Götz noch nicht in die Karten schauen. Ausgemachte Sache ist jedoch, dass die Transaktion technisch als Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage abgewickelt wird und mVISE als Gegenleistung mit neuen eigenen Aktien bezahlen wird. Damit nicht genug: Am Ende läuft es auf ein Reverse-IPO der zugekauften Gesellschaft hinaus. Sprich: Die Börsennotiz von mVISE im Freiverkerssegment Scale ist das Vehikel für ein Listing des akquirierten Unternehmens. Der Name wird dann sicher nicht mehr mVISE sein, sondern vermutlich der der zugekauften Gesellschaft. Und auch der CEO sowie der Aufsichtsratsvorsitzende werden aus dem Umfeld des Targets kommen. Massiv verschieben wird sich im Zuge dessen ebenfalls die Aktionärsstruktur, bislang sind die Investmentgesellschaft SPSW Capital aus dem Umfeld von Lloyd Fonds-Chef Achim Plate sowie die venturecapital.de aus Frankfurt die maßgeblichen Ankeraktionäre. Ewa zwei Drittel dürften sich im Streubesitz befinden. Künftig wird der Freefloat dann wohl eher auf ein Viertel schmelzen.
Um das Vorhaben mit seinen komplexen Finanztransaktionen formal auf die Schiene zu setzen, braucht es ohnehin erst einen Hauptversammlungsbeschluss. Um sich eine nachgelagerte außerordentliche HV zu sparen, soll das ordentliche Aktionärstreffen in diesem Jahr so spät wie möglich stattfinden. Gut möglich, dass es erst Dezember wird. Die kommenden Monate werden bei mVISE also entscheiden, wohin die Reise geht. Eins muss man allerdings klar sagen: In seiner jetzigen Struktur ist mVISE am Kapitalmarkt gescheitert. Ob die Story ein Happy End – wie etwa beim Reverse-IPO von Audius via IT Competence Group – nimmt, lässt sich gegenwärtig noch nicht sagen.
Mutige Investoren spekulieren aber zumindest darauf. Zu Neuengagements würden wir in der jetzigen Phase aber nicht raten, selbst wenn auf der Bootsfahrt mit der MS Havelstern die Sonne am Ende klar die Wolken am Himmel verdrängt hat.