Willkommen im Tollhaus Börse. Anders lässt sich kaum beschreiben, was derzeit bei Mühl Product & Service abgeht. Immerhin schoss die Notiz kurz vor dem Wochenende in der Spitze um fast 230 Prozent auf 0,89 Euro in die Höhe. In absoluten Zahlen sieht der damit verbundene Zugewinn an Marktkapitalisierung von 4,90 Mio. Euro zwar schon wieder deutlich unspektakulärer aus – sorgt aber immer noch für Schlagzeilen in der Börsenpresse. Doch worum geht es eigentlich bei dem Kursfeuerwerk? Das ehemals im Neuen Markt gelistete Unternehmen war jahrelang insolvent, bemüht sich aber seit geraumer Zeit um einen Neustart. Wieder im angestammten Betätigungsbereich Baustoffe, diesmal freilich mit dem digitalen E-Commerce-Anstrich. Vor der Revitalisierung sind jedoch eine Menge Hürden zu nehmen: Ein Rechtsstreit mit den Beteiligungsgesellschaften Scherzer & Co. und Allerthal-Werke um die entsprechenden Hauptversammlungsbeschlüsse wurde bereits Anfang des Jahres beigelegt. Nun hat Mühl einen weiteren Etappenerfolg zu verbuchen: Demnach hat das Finanzamt in Jena telefonisch mitgeteilt, dass die Steuern auf den Sanierungsgewinn von knapp 203 Mio. Euro wohl tatsächlich erlassen werden.
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„Die entsprechenden Steuerbescheide werden der Gesellschaft in Kürze zugehen”, heißt es. Da dieser Entschluss – zwar keine ganz große Überraschung ist – aber eben doch mit einer gewissen Portion Unsicherheit behaftet war, mussten die entsprechenden Steuerverpflichtungen in den jüngsten Bilanzen passiviert werden. Konkret geht es um Steuerrückstellungen von fast 58,5 Mio. Euro. Wichtig: Hierbei handelt es sich nicht um einen Cashbetrag, den Mühl auf Bankkonten deponiert hatte, sondern um einen bilanziellen Posten, den es auf den vorherigen Schuldenerlass zu bilden galt. Da Mühl sonst nichts vorzuweisen hatte, war die Gesellschaft aus dem Umfeld des RIB Software-Vorstands Thomas Wolf mit einem negativen Eigenkapital von mehr als 59 Mio. Euro gnadenlos überschuldet. Immerhin: Durch das Signal des Finanzamts Jena ist nun ein wesentlicher Faktor für die Fortführung der Gesellschaft geschaffen worden.
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Nun kommt es darauf an, dass sich neue Investoren finden, die sich an dem Konzept beteiligen wollen. Die rechtlichen Weichen in Form von umfangreichen Kapitalmaßnahmen wurden bereits gestellt. Dabei spielt Mühl die komplette Klaviatur der Sanierung: Von der Kapitalherabsetzung (im Verhältnis 8:1) bis hin zur Schaffung eines stattlichen neuen Kapitalrahmens für Bar- oder Sacheinlagen sowie der Begebung von Schuldverschreibungen. Soll heißen: Selbst wenn die Sanierung klappt und Mühl zu neuem Leben erweckt wird; mit der jetzigen Form der Gesellschaft wird das Unternehmen um Vorstand Sandy Möser dann nicht mehr viel gemeinsam haben. Dessen sollten sich Anleger bewusst sein, die hier aufspringen. Letztlich ist es also ein Spiel mit dem Feuer.
Und wie immer: Lesen schadet nicht! Ein Großteil der vermeintlich heißen Infos um den Neustart von Mühl sind längst bekannt. Doch wer schaut sich schon den Bundesanzeiger an? Dabei ist die elektronische und frei zugängliche Version der amtlichen Bekanntmachungen eine schier unerschöpfliche Quelle der Informationsbeschaffung. So bleibt es bei den irrwitzigen Kursbewegungen von Sanierungsfällen wie Mühl & Co.
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