Zu den Standardfragen bei Vorstandsgesprächen oder auf Kapitalmarktpräsentationen gehört stets die aktuellen Planung hinsichtlich möglicher Übernahmen. Eher selten stehen Verkäufe offen auf der Agenda – mal abgesehen von schnell drehenden Beteiligungsgesellschaften. Eine Ausnahme war zuletzt Muehlhan. Ende Januar 2021 hatte das Unternehmen den Verkauf des Öl- und Gasgeschäfts in der Nordsee angekündigt. Konkret geht es dabei um Tätigkeiten wie Oberflächenschutz, Brandschutz, Isolierung oder auch Gerüstbau für Kunden aus der Öl- und Gasindustrie. Hier fehlte Muehlhan schlichtweg die nötige Größe, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Zudem will sich die Gesellschaft stärker auf den Bereich Erneuerbare Energie fokussieren – also etwa Arbeiten an den Rotorblättern, Hochspannungstätigkeiten, Korrosionsschutz oder Servicethemen wie den Arbeitsschutz.
Unglücklicherweise stellten zuletzt zwei Wettbewerber von Muehlhan diese Aktivitäten ebenfalls ins Schaufenster, so dass sich der Verkaufsprozess in die Länge zieht. Umso überraschter ist boersengefluester.de – zumindest im ersten Augenblick – über den jetzigen Schachzug: So haben die Hamburger für 28 Mio. Euro – auf schuldenfreier Basis – die 100-Prozent-Tochter Gerüstbau Muehlhan GmbH an die zum US-Konzern BrandSafway gehörende Brand Energy & Infrastructure Services mit Sitz in Ratingen verkauft. Bei näherer Betrachtung sieht die Transaktion freilich schon nach einem stringenten Plan aus, denn der Gerüstbau ist bei Muehlhan traditionell eng mit den Geschäftsfeldern Öl & Gas verbunden, selbst wenn auch der klassische Hochbau oder Sondergerüste wie etwa für den Tribünenbau oder für Werbeschilder zum Repertoire gehören.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 247,72 | 267,80 | 295,27 | 260,38 | 298,52 | 288,28 | 14,13 | |
EBITDA1,2 | 16,03 | 18,31 | 24,51 | 14,40 | 27,21 | 17,86 | -4,16 | |
EBITDA-Marge3 | 6,47 | 6,84 | 8,30 | 5,53 | 9,12 | 6,20 | -29,44 | |
EBIT1,4 | 8,53 | 10,06 | 12,40 | 3,04 | 16,74 | 12,74 | -4,28 | |
EBIT-Marge5 | 3,44 | 3,76 | 4,20 | 1,17 | 5,61 | 4,42 | -30,29 | |
Jahresüberschuss1 | 4,65 | 5,52 | 6,25 | 1,27 | 9,79 | 6,37 | -3,79 | |
Netto-Marge6 | 1,88 | 2,06 | 2,12 | 0,49 | 3,28 | 2,21 | -26,82 | |
Cashflow1,7 | 15,41 | 11,36 | 10,89 | 11,76 | -5,02 | 5,20 | 2,44 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,22 | 0,27 | 0,33 | 0,02 | 0,43 | 0,18 | -0,21 | |
Dividende8 | 0,08 | 0,10 | 0,00 | 0,12 | 0,75 | 1,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Grant Thornton |
Noch bemerkenswerter aus Börsensicht ist freilich der Umstand, dass der zu erwartende positive Entkonsolidierungseffekt von 15 bis 20 Mio. Euro am oberen Ende ungefähr den addierten Konzernüberschüssen der vergangenen fünf Jahre entspricht. Es handelt sich also um alles andere als eine kleine Arrondierung auf Ebene der Töchter. Das zeigt auch eine andere Vergleichszahl: So beträgt der Unternehmenswert von Muehlhan – also die aktuelle Marktkapitalisierung von 62,4 Mio. Euro plus die Netto-Finanzverschuldung von 19,9 Mio. Euro – zurzeit gerade einmal 82,3 Mio. Euro. Derweil ist im parallel vorgelegten Halbjahresbericht viel von der „Rückkehr zur Normalität“ die Rede. Sprich: Die Corona-Effekte nehmen ab, das Vor-Krisennniveau von 2019 erreicht Muehlhan aber noch nicht. Immerhin: Zum Halbjahr 2021 steht bereits wieder ein Umsatzplus von 9,4 Prozent auf 143,48 Mio. Euro zu Buche. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) machte einen Satz von 198.000 Euro auf 3,86 Mio. Euro. Das Ergebnis je Aktie drehte von Minus 0,04 auf Plus 0,06 Euro. Zur weiteren Einordnung: Zum Halbjahr 2019 kam Muehlhan auf einen Gewinn pro Anteilschein von 0,08 Euro. Soweit liegen die Zahlen also gar nicht mehr auseinander.
Auffällig im Zwischenbericht ist ansonsten der sehr deutliche Rückgang des operativen Cashflows um mehr als 70 Prozent auf 4,70 Mio. Euro, was mit der kräftigen Zunahme der Forderungen zusammenhängt. Angesichts der umsatzstarken Sommermonate spricht Muehlhan hier aber von einer „erwartungsgemäßen“ Entwicklung. Spannend in den kommenden Wochen und Monaten wird, ob der Vorstand auch noch den Verkauf des Öl- und Gasgeschäfts in der Nordsee in trockenen Tücher bringt, was dann nochmals für erhebliche Verschiebungen im Zahlenwerk sorgen würde. Und natürlich kommt es dann auch darauf an, wie Muehlhan die Mittelzuflüsse verwenden wird. Insgesamt aber eine interessante Entwicklung – zu einem immer noch relativ moderaten Aktienkurs.
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