Schon lange nicht mehr fieberten die Anteilseigner von Marseille-Kliniken einer Hauptversammlung so sehr entgegen wie dem Aktionärstreffen am 31. Oktober 2013 in der Hamburger Firmenzentrale. Dabei müssten die Investoren eigentlich stocksauer sein. Für das Geschäftsjahr 2012/13 (endete am 30. Juni) gibt es bereits wieder keine Dividende. Dabei hatte der damals amtierende Finanzvorstand Michael Thanheiser vor einem Jahr noch von der „Rückkehr zu einer aktionärsfreundlichen Dividendenpolitik“ gesprochen. Hintergrund: Auf Antrag von Großaktionär Ulrich Marseille wurde für 2011/12 – nach drei Nullrunden – eine Auszahlung von 0,11 Euro pro Aktie beschlossen. Nicht ganz wohl ist manchem Privatanleger auch bei dem Gedanken, dass das Papier des Pflegeheimbetreibers seit Mitte Juli nicht mehr im obersten Börsensegment Prime Standard, sondern nur noch im Entry Standard notiert ist. Dabei haben bereits etliche andere kleinere Gesellschaften vor Marseille diesen Schritt getan – in der Regel um Kosten zu sparen. Dieser Schritt muss also nicht per se schlecht sein. Für eine Gesellschaft von der Größenordnung wie Marseille-Kliniken sie mit 200 Mio. Euro Umsatz hat, mag der Entry Standard sogar die bessere Wahl sein.
Bei Marseille-Kliniken drängt sich manche Aktionäre aber der Eindruck auf, in eine „Black-Box“ investiert zu haben. Für Diskussionsstoff sorgte insbesondere der Tagesordnungspunkt 6 der Hauptversammlung: Hier geht es immerhin um eine weitreichende Satzungsänderung. Waren die Hamburger bislang ausschließlich auf den Bereich Gesundheitswesen fokussiert, sollen künftig auch die Entwicklung und Lizensierung von Software für den medizinischen Bereich sowie die Beratung von Kunden im EDV-Sektor zum Geschäftszweck gehören. Entsprechende Aktivitäten laufen bereits. Noch mehr Veränderungspotenzial eröffnet folgender Passus, der zur Abstimmung steht: Demnach soll es der Gesellschaft künftig erlaubt sein, ihren Betrieb ganz oder teilweise zu veräußern oder auf andere Unternehmen übertragen.“
Worauf das möglicherweise hinauslaufen könnte, haben die Journalisten der Tageszeitung „Die Welt“ bereits Anfang September beschrieben. Nach ihren Informationen plant Ulrich Marseille, wesentliche Teile des Pflegeheimbetriebs – Marseille verfügt über rund 60 Einrichtungen mit mehr als 8000 Betten – zu verkaufen und anschließend via Sonderausschüttung auszukehren. Eine Investmentbank soll mit der Umsetzung des Deals angeblich bereits beauftragt sein. Größter Profiteur wäre Firmengründer Marseille, der direkt und indirekt etwa 60 Prozent der Aktien kontolliert. Zweiter wesentlicher Investor ist Carsten Maschmeyer. Dem ehemaligen AWD-Chef und seinem Investmentvehikel Paladin sind rund 8,9 Prozent der Marseille-Aktien zuzurechnen. Zur Einordnung: Der gesamte Börsenwert von Marseille-Kliniken beträgt momentan gut 74 Mio. Euro. Laut einem Fact-Sheet auf der Firmenhomepage soll der Streubesitz zum 1. Oktober 2013 bei 31,36 Prozent gelegen haben.
Um eine Entscheidung von derartiger Tragweite umsetzen zu können, ist eine Dreiviertel-Mehrheit auf der Hauptversammlung notwendig. Börsenkreise spekulieren nun, ob Marseille bereits im Hintergrund die nötigen Stimmen zusammengetragen hat. Für Außenstehende ist das kaum nachprüfbar: Im Entry Standard gelten wesentlich laxere Publizitätsvorschriften als in den regulierten Segmenten. An der Börse gilt die Aktie von Marseille-Kliniken daher als heiße Wette auf eine mögliche Zerschlagung mit anschließender Sonderausschüttung – ganz nach dem Vorbild von Rhön-Klinikum. Laut Informationen der „Welt“ könnte sich der Verkaufserlös für die Pflegeheime auf 150 bis 200 Mio. Euro türmen. Die Obergrenze entspricht fast genau dem im vergangenen Geschäftsjahr erzielten Erlös. Angesichts solcher Dimensionen spekulieren Börsianer über Extradividenden, die sogar das aktuelle Kursniveau von 5 Euro übersteigen.
Dabei ist völlig offen, ob Marseille bereits zur Hauptversammlung Ende Oktober Tacheles redet. Möglicherweise handelt es sich ja auch nur um eine Zeitungsente. Das scheint aber nicht unbedingt realistisch, denn die geplante Satzungsänderung passt genau ins Bild. Dementsprechend genau verfolgen die Börsianer momentan die Entwicklung. Für mutige Anleger könnte sich hier also eine interessante Chance auftun. So hat sich das Sentiment für den Titel in den vergangenen Wochen merklich aufgehellt. Gemessen am Aktienkurs zur letzten Hauptversammlung im Dezember 2012 ergibt sich momentan ein Plus von immerhin gut einem Viertel. Ausgereizt scheint das Papier damit aber noch lange nicht. Viel hängt nun vom Verlauf des Aktionärstreffens ab.