Solidität am deutschen Aktienmarkt hat einen Namen: KWS Saat AG. Das hat nichts mit Stagnation, Langeweile oder mangelnder Innovation zu tun. Ganz im Gegenteil. Das Pflanzenzucht-Unternehmen ist eines der führenden in Europa, bei Zuckerrüben sogar weltweit. Fast 40 Prozent der international knapp 5 000 Mitarbeiter beschäftigen sich mit Forschung und Entwicklung. Obwohl der Umsatz seit Jahren stetig zulegt, hat sich der Aktienkurs in den vergangenen zwei Jahren vollständig von der Börsenentwicklung abgekoppelt. Das wird auch in absehbarer Zeit so bleiben. Kurzfristig bekommt die gute Umsatzentwicklung Gegenwind von hohen Forschungsaufwendungen und Kosten für die Expansion. Auch niedrige Preise für Getreide, Zucker und Mais machen das Geschäft aktuell nicht einfacher.
Eigentlich ist KWS von den aktuellen Weltmarktpreisen für Mais, Zucker Getreide oder Raps gar nicht abhängig. Die Verkaufspreise für die Saat dieser Feldfrüchte schwanken kaum. Die Absatzmengen der Einbecker werden jedoch davon bestimmt, welche Erwartungen die Landwirte bei der Aussaat bezüglich der Preise für einzelne Feldfrüchte zum Zeitpunkt der Ernte haben. Erwarten sie zum Beispiel jetzt, dass sich die Getreidepreise im kommenden Sommer erholen werden, kaufen sie Hochleistungssaatgut zum Beispiel für Hybridroggen bei KWS. Erwarten sie allerdings weiter sinkende Preise, werden sie sich die höheren Ausgaben für das ertragreiche Spitzensaatgut sparen und zum Beispiel Weizenkörner aus der letzten Ernte verwenden. Mit ihrem geernteten Hybridroggen kommen sie nämlich nicht weit, weil der nicht nachgebaut werden kann. Entscheidend für den Bauern – und damit für den Umsatz von KWS – sind nicht die Verkaufspreise für die einzelnen Sorten, sondern der Ertrag pro Hektar. Das heißt: Der erwartete Umsatz (Preis mal Menge) mit den Feldfrüchten minus Kosten für Saat, Dünger und Pflanzenschutz sowie Energie für die Maschinen.
Nicht nur auf der Umsatzseite spielen Preiserwartungen der Landwirte eine Rolle. Das gleiche gilt auf der Kostenseite. Das Saatgut beziehen die Einbecker natürlich auch von Landwirten. Die verlangen für ihre Leistungen mindestens das, was sie durch den Anbau alternativer Früchte erzielen würden. Damit wird das Ergebnis von KWS mit einem leichten Zeitverzug abgefedert. In Jahren hoher Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Rohstoffe steigt der Umsatz, wachsen aber auch die Kosten. Entsprechend niedriger sind die Erlöse und die Aufwendungen bei niedrigen Konsumpreisen für Zuckerrüben, Mais, Raps und Getreide, den wichtigsten Umsatzträgern von KWS.
Soweit zum reinen Zahlenwerk. Die Krux ist, dass immer das richtige Saatgut zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort verfügbar sein muss. Das ist bei landwirtschaftlichen Produkten nicht so einfach. Saat kann nicht über Nacht vermehrt werden. Schon gar keine Zuckerrübensaat. Die braucht nämlich zwei Jahre, um zu entstehen. Das bedeutet, das Management von KWS muss heute eine Vorstellung davon haben, wie viel Zuckerrübensaat sie in zwei Jahren verkaufen kann. Kein einfaches Unterfangen. Um wenigstens etwas Flexibilität zu bekommen, hat das Traditionsunternehmen auf der Südhalbkugel der Erde, in Südamerika einige Vermehrungsbetriebe zur „kontrasaisonalen Produktion“. Da Saatgut nicht unendlich lange keimfähig ist, muss das Unternehmen Abschreibungen vornehmen, wenn die Lagerbestände zunehmen. Hier verbirgt sich ein kleines Geheimnis von KWS. Da Wirtschaftsprüfer nicht so genau wissen, wie es um die Qualität der Lagerbestände bestellt ist, hegen sehr erfahrene Investoren die Vermutung, dass das Management an dieser Schraube dreht, um den Unternehmensgewinn ein wenig zu glätten. Demnach soll in guten Jahren mehr und in schlechten Jahren weniger abgeschrieben werden. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Vermutungen zeigt sich hier wieder die große Solidität des Unternehmens. Die braucht es auch. Denn das Pflanzenzucht-Geschäft ist extrem langwierig. Um eine neue Sorte auf den Markt zu bringen, die leistungsfähiger ist als alle bisherigen, dauert es zwischen zehn und 15 Jahren. Der Ertragsfortschritt sollte jährlich etwa zwei Prozent betragen. Dafür sind natürlich erhebliche Forschungsanstrengungen nötig. Das leistet KWS indem das F&E-Budget Jahr für Jahr steigt. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2013/2014 hat KWS dafür 150 Mio. Euro oder knapp 13 Prozent des Umsatzes aufgewendet. Das sind gut 10 Mio. Euro mehr, als der Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT = 138 Mio. Euro).
Seit mehr als 150 Jahren ist KWS erfolgreich in der Pflanzenzucht. In dieser Zeit hat das Unternehmen einen gigantischen Genpool aufgebaut. Sorgsam wird dieser in Einbeck gehegt und gepflegt, denn der ist das wichtigste Kapital des Unternehmens. Daher ist die Aktie auch nicht an kurzfristigen Gewinnveränderungen zu bewerten, sondern an der langfristigen Entwicklung. Die wird vom Management mit großer Weitsicht vorangetrieben – bei der Entwicklung neuer leistungsfähigerer Pflanzen ebenso wie bei der Erschließung zusätzlicher Märkte. Aktuell stehen Brasilien und China ganz oben auf der Agenda.
Die KWS-Aktie ist ideal für Menschen mit extrem langem Anlagehorizont, die ruhig schlafen wollen. Derzeit liegt die Dividendenrendite sogar über dem, was man auf dem Sparbuch erhält. Kurzfristig ist jedoch nicht mit größeren Kursgewinnen zu rechnen, da aktuell die Rohstoffpreise unter Druck stehen und KWS viel in die Entwicklung neuer Märkte investiert. Auf der anderen Seite bleibt der Aktienkurs auch in nervösen Börsenphasen recht stabil. Eine echte Kostolany-Aktie: kaufen, fünf Jahre liegen lassen und sich dann über hübsche Kursgewinne freuen.
Bild: KWS Saat AG