Entspannt ist an der Börse gerade gar nichts. Da hilft vermutlich auch keine Beruhigung in Form klassischer Musik. Zu sehr geht es zurzeit darum, inwiefern die Geschäftsmodelle der Unternehmen von den Folgen des Coronavirus belastet sind oder womöglich sogar profitieren. Im Mediensektor gibt es dabei ambivalente Effekte: Zwar steigt das Interesse der Menschen an Wort-, Bild- und Tonbeiträgen zurzeit deutlich an. Diese an sich gute Entwicklung wird jedoch von einer heftigen Stornowelle auf der Anzeigenfront übertüncht. Entsprechend viele Negativschlagzeilen liefern die meisten Medienunternehmen selbst, zumindest wenn ihr Geschäft in erster Linie auf Anzeigenerlösen basiert. Andererseits zeigen Abodienste wie Netflix massives Wachstum – einfach weil die Leute mehr Zeit zu Hause verbringen und nach Ablenkung suchen.
Nicht ganz so einfach einzuschätzen ist die Lage bei der börsennotierten Klassik Radio AG: Die Augsburger erzielen den Löwenanteil ihrer Umsätze von zuletzt 18,22 Mio. Euro mit herkömmlichen Werbespots, ein kleinerer Teil resultiert aus Ticketverkäufen für Klassikkonzerte oder Fanartikel. Zurzeit ein schwieriges Geschäft. Immerhin heißt es dazu im Prognoseteil des jetzt – in aller Stille – vorgelegten Konzernabschlusses: „Gut ist es, dass der Großteil der Stornierungen bis jetzt „nur“ innerhalb des Jahres verschoben wurde, also nicht endgültig storniert ist. Mit der weiteren Öffnung der Geschäfte gehen wir auch wieder von einer Zunahme des Auftragsbestands aus.“ Die Spekulation der Börsianer geht freilich einen Schritt weiter: Seit Ende 2017 hat das Unternehmen mit Klassik Radio Select nämlich einen eigenen – in der Vollversion kostenpflichtigen (5,99 Euro pro Monat) – Streamingdienst aufgebaut. Und der könnte durch Corona eventuell einen Boost erleben.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 14,36 | 15,58 | 18,22 | 14,69 | 15,01 | 17,26 | 19,83 | |
EBITDA1,2 | 1,72 | 1,86 | 2,80 | 1,63 | 2,43 | 1,85 | 2,34 | |
EBITDA-Marge3 | 11,98 | 11,94 | 15,37 | 11,10 | 16,19 | 10,72 | 11,80 | |
EBIT1,4 | 1,52 | 1,52 | 2,24 | 1,00 | 1,75 | 0,89 | 1,38 | |
EBIT-Marge5 | 10,58 | 9,76 | 12,29 | 6,81 | 11,66 | 5,16 | 6,96 | |
Jahresüberschuss1 | 1,27 | 1,60 | 1,56 | 0,09 | 1,36 | 0,54 | 0,64 | |
Netto-Marge6 | 8,84 | 10,27 | 8,56 | 0,61 | 9,06 | 3,13 | 3,23 | |
Cashflow1,7 | 1,60 | 1,19 | 4,32 | 1,49 | 0,11 | 0,57 | 1,64 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,26 | 0,33 | 0,32 | 0,02 | 0,28 | 0,11 | 0,13 | |
Dividende8 | 0,00 | 0,21 | 0,21 | 0,21 | 0,21 | 0,15 | 0,15 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Baker Tilly |
Zur aktuellen Zahl der Bezahlkunden findet sich allerdings auch im Jahresreport 2019 keine konkrete Angabe. Es ist lediglich die Rede davon, dass sich der Abobestand im Jahresvergleich um 54 Prozent erhöht hat und es bislang mehr als 150.000 App-Installationen gab. Zur Einordnung: Vor rund einem Jahr summierte sich die Zahl der App-Downloads bereits auf 130.000 Installationen im April 2019. Entsprechend geht boersengefluester.de davon aus, dass sich die Zahl der Paykunden derzeit eher im oberen vierstelligen Bereich bewegt. Da wäre also noch Luft. Offiziell ist für das laufende Jahr mit einem Zuwachs an Bezahlkunden im zweistelligen Prozentbereich zu rechnen. Die eigentliche Messlatte liegt derweil wesentlich höher. Vor rund 15 Monaten sagte Vorstand und Großaktionär Ulrich R. J. Kubak im Hintergrundgespräch mit boersengefluester.de: „Wir wollen einen deutlich sechsstelligen Abonnentenstamm.“
Nun: Zunächst einmal äußert sich Klassik Radio vorsichtig für das Konzernergebnis des laufenden Jahres und stellt „deutlich sinkende Umsätze“ sowie ein „deutlich sinkendes, aber positives EBITDA“ in Aussicht. Zur Einordnung: 2019 kam das Unternehmen auf ein Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) in Rekordhöhe von 2,80 Mio. Euro. Zudem hat das bislang frei von Finanzverbindlichkeiten agierende Unternehmen ein niedrig verzinstes KfW-Darlehen über 3,0 Mio. Euro mit Laufzeit Mitte 2025 beantragt. „Um auch bei einer über unsere Planungen hinausgehenden Reduktion der Werbeeinnahmen nicht in Liquiditätsengpässe zu kommen“, wie es offiziell heißt. Zum Thema Dividende findet sich im Konzernabschluss 2019 noch nichts. Es würde uns aber nicht wundern – und ökonomisch wäre es sogar sinnvoll –, wenn Klassik Radio nach der Vorjahresausschüttung von 0,21 Euro je Aktie zur Hauptversammlung Ende Juni eine Nullrunde vorschlägt.
Insgesamt könnten die Rahmenbedingungen für ein Investment in dem Spezialwert sicher besser sein: Doch boersengefluester.de hält große Stücke auf die Strategie des Unternehmens und auch auf Vorstand Kubak. „Wir wollen Klassik Radio mit Nachdruck auch als digitale Musikbrand international positionieren”, sagt Kubak. Um diesen Prozess zu forcieren, haben die Ausgburger unlängst die Ebene der Geschäftsführung um Richard Goerlich als COO (Chief Content Officer) und Tina Jäger als CMO (Chef Marketing Officer) erweitert. Zwei Personalien, von denen sich Kubak viel verspricht. Für einen Börsenwert von gut 32 Mio. Euro gibt es jedenfalls eine Menge Gegenwert – nicht nur wegen der Klassik Radio Select-Spekulation. Von den März-Tiefkursen bei 5 Euro hat sich der Titel auch schon wieder deutlich entfernt. Nach oben war zuletzt allerdings immer bei spätestens 8 Euro der Deckel drauf. Anleger setzen darauf, dass die Werbespots doch noch gebucht werden, das Streamingangebot deutlich mehr zahlende Fans gewinnt und Klassik Radio als Marke noch wertvoller wird. Wenn das alles klappt, müssten eigentlich sogar Kurse um 10 Euro, wie sie zuletzt von SMC Research ins Spiel gebracht wurden, möglich sein.
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