Ganz cool ist die Börse bei den Neun-Monats-Zahlen von IVU Traffic Technologies geblieben. Dabei hinkt der Telematikspezialist per Ende September den Jahreszielen für 2021 noch ein großes Stück hinterher. Doch Firmenkenner wissen, dass sich das Geschäft erst zum Jahresende entscheidet – und da haben die Berliner in den vergangenen Jahren regelmäßig geliefert. So bleibt es bei der bereits zur Vorlage des Geschäftsberichts 2020 formulierten Prognose, wonach bei Erlösen von rund 100 Mio. Euro mit einem Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) von mehr als 13 Mio. Euro zu rechnen ist. Das Rohergebnis soll bei mindestens 67 Mio. Euro (Vorjahr: 70,36 Mio. Euro) ankommen. Diese Kennzahl ist deshalb so wichtig für IVU Traffic, weil sie – im Gegensatz zum Umsatz – die Wertschöpfung aus der Programmierung der eigenen Software widerspiegelt, da die in der Regel zugekaufte Hardware, wie etwa Ticketautomaten, hier ausgeklammert bleibt.
Zur Einordnung: Nach neun Monaten 2021 kommt IVU auf ein Rohergebnis von 46 Mio. Euro sowie ein EBIT von 2,29 Mio. Euro – nach 4,92 Mio. Euro in der entsprechenden Vorjahresperiode. Dieser Vergleichswert war allerdings durch einen sonstigen betrieblichen Ertrag von 5,30 Mio. Euro aus dem Verkauf der auf Software für die Organisation von Wahlen spezialisierten Tochter IVU.elect positiv beeinflusst. Im Interview mit boersengefluester.de spricht IVU Traffic-CEO Martin Müller-Elschner über die aktuelle Geschäftsentwicklung, die Effekte von Corona sowie den Einfluss des Klimawandels auf die Nachfrage nach IVU-Produkten für den Einsatz in Bus- und Bahnbetrieben. Für boersengefluester.de bleibt die im Prime Standard gelistete Aktie eine prima Langfristanlage.
Herr Müller-Elschner, die Steigerung des Rohergebnisses in den ersten neun Monaten ist mit einem Plus von zwei Prozent auf den ersten Blick eher bescheiden ausgefallen. Anders sieht es aus, wenn man den Sondereffekt aus dem Vorjahr herausrechnet. Wie zufrieden sind Sie mit dem operativen Abschneiden in den ersten drei Quartalen?
Martin Müller-Elschner: Erstmal freue ich mich, dass Sie so genau hinsehen, das tut nicht jeder. In der Tat wurde das letzte Jahr durch den Verkauf der IVU.elect GmbH stark beeinflusst. Rechnet man diesen Sondereffekt heraus, sind alle Kennzahlen besser als in den Vorjahren. Dementsprechend starten wir zufrieden und mit Zuversicht in den Jahresendspurt.
Die IVU weist typischerweise einen stark saisonalen Geschäftsverlauf auf. Wird das auch in diesem Jahr so sein? Welche Erwartungen haben Sie an das Jahresendgeschäft?
Martin Müller-Elschner: Generell sind die unterjährigen Quartalsergebnisse in unserem speziellen Projekt-Produkt-Geschäft nur bedingt aussagekräftig. Gerade im vierten Quartal ballen sich viele Abnahmen und Rechnungslegungen, da die europäischen Verkehrsunternehmen ihre Fahrplanwechsel traditionell im Dezember durchführen und dies häufig als Meilenstein für unsere Projekte nutzen. Wir haben uns aber daran gewöhnt und fokussieren uns auf das Gesamtjahr. Und da sind wir wie gesagt äußerst zuversichtlich, erneut das beste Jahr in der Firmengeschichte abzuliefern.
Weltweit erweisen sich die Lieferketten zunehmend als anfällig bzw. gestört. Betrifft dies auch die IVU? Gibt es Auswirkungen von Lieferproblemen auf laufende bzw. künftige Projekte?
Martin Müller-Elschner: Wir sind in erster Linie ein Softwarehaus – daher betreffen uns die Lieferengpässe weit weniger als andere Unternehmen. In Bezug auf unsere Hardware konnten wir durch enge Abstimmung zwischen unseren Lieferanten und Kunden potenzielle Engpässe weitestgehend abfedern. Allerdings können wir nach heutigem Stand nicht ausschließen, dass es zum Jahresende zu Verschiebungen von Auslieferungen ins nächste Jahr kommt. Da die Hardwareumsätze für die IVU eine eher untergeordnete Rolle spielen, erwarten wir jedoch keine Auswirkungen auf die kommunizierten Jahresziele.
Wie hat sich die IVU auf das Corona-Umfeld eingestellt? Gibt es innerbetrieblich bzw. mit Sicht auf Branchenveranstaltungen besondere Themen, die Ihnen Kopfzerbrechen bereiten?
Martin Müller-Elschner: Die IVU ist als digitales Unternehmen glücklicherweise quasi unbeschadet durch die Pandemie gekommen. Dennoch bleiben wir intern sehr vorsichtig und sind auf eine sich wieder verschärfende Pandemiesituation vorbereitet.
In den vergangenen Jahren haben Sie sich in der Schweiz und in Österreich mit einer Akquisition und einer neuen Tochtergesellschaft verstärkt. Wie läuft es dort und wie ist generell der Stand der Internationalisierung?
Martin Müller-Elschner: Die IVU besteht inzwischen aus mehr als 700 Kolleginnen und Kollegen an den Hauptstandorten in Berlin und Aachen, dort werden unsere Produkte entwickelt und die deutschen Kunden betreut. Lokale Niederlassungen in wichtigen Ländern helfen uns dabei, näher an unseren Kunden zu sein und besser auf deren Bedürfnisse eingehen zu können. Sowohl in Italien als auch in der Schweiz und Österreich konnten wir so unsere Marktposition deutlich verbessern und zahlreiche neue Kunden hinzugewinnen. Unser Fokus auf die Heimatmärkte hat sich bislang ausgezahlt – mittelfristig sind aber weitere Niederlassungen über die heutigen 15 hinaus je nach Marktlage denkbar.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 71,07 | 77,80 | 88,79 | 92,03 | 102,88 | 113,23 | 122,49 | |
EBITDA1,2 | 7,37 | 8,12 | 12,73 | 15,30 | 16,45 | 18,70 | 20,31 | |
EBITDA-Marge3 | 10,37 | 10,44 | 14,34 | 16,63 | 15,99 | 16,52 | 16,58 | |
EBIT1,4 | 6,13 | 6,70 | 10,48 | 12,78 | 13,92 | 14,85 | 15,77 | |
EBIT-Marge5 | 8,63 | 8,61 | 11,80 | 13,89 | 13,53 | 13,12 | 12,88 | |
Jahresüberschuss1 | 4,98 | 6,16 | 10,58 | 10,09 | 9,32 | 10,13 | 11,38 | |
Netto-Marge6 | 7,01 | 7,92 | 11,92 | 10,96 | 9,06 | 8,95 | 9,29 | |
Cashflow1,7 | 3,80 | 12,31 | 12,54 | 30,76 | 19,08 | 4,47 | 11,91 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,28 | 0,35 | 0,60 | 0,57 | 0,53 | 0,58 | 0,65 | |
Dividende8 | 0,10 | 0,12 | 0,16 | 0,20 | 0,22 | 0,24 | 0,26 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: BDO |
Das Wachstum der Vergangenheit ging auch mit einem kontinuierlichen Ausbau Ihrer Personalkapazitäten einher. Findet die IVU nach wie vor genügend Personal auf dem Arbeitsmarkt oder erweist es sich zunehmend als Problem, qualifizierte Mitarbeiter für die weitere Expansion zu finden?
Martin Müller-Elschner: Wir bewegen uns zweifellos in einem sehr umkämpften Arbeitsmarkt und es ist stets eine Herausforderung, die richtig klugen Köpfe für uns gewinnen zu können. Wir bieten eine tolle Unternehmenskultur und eine sinnstiftende Tätigkeit – der ÖPNV ist ein spannendes Arbeitsumfeld und der entscheidende Faktor für einen nachhaltigen Verkehr. Trotz Corona konnten wir uns in den vergangenen Monaten personell verstärken, sind aber immer auf der Suche nach neuen Mitarbeitern. Dass wir auch in Zukunft die „richtig Guten“ von der IVU überzeugen können, ist und bleibt für uns von höchster Priorität.
IVU steht mit seinen IT-Systemen für einen effizienten und umweltfreundlichen Öffentlichen Verkehr und zählt zu den Profiteuren der verstärkten Investitionsprogramme in die Verkehrsinfrastruktur bzw. den ÖPNV. Rechnen Sie in den kommenden Jahren mit weiterem politischen Rückenwind, etwa im deutschen Markt durch die neue Bundesregierung?
Martin Müller-Elschner: Im Angesicht des Klimawandels muss sich auch die Mobilität grundlegend wandeln – und der öffentliche Verkehr ist eine der zentralen Lösungen. Wir sind daher sehr optimistisch, dass die neue Bundesregierung Busse und Bahnen weiter fördert und ausbaut. Und das gilt nicht nur für Deutschland, sondern eigentlich für alle Länder und Kontinente. Ein umweltfreundlicher, moderner öffentlicher Verkehr braucht Innovation und Digitalisierung und genau dafür stehen die Produkte der IVU.suite.
Martin Müller-Elschner ist seit Januar 2010 Vorstandsvorsitzender der IVU Traffic Technologies AG. Der Diplom-Ingenieur kennt das Unternehmen schon eine ganze Weile: Bereits 1994 übernahm er die Leitung von Projekten zur Verbesserung der Fahrgastinformation. Danach war er Bereichsleiter, dann Prokurist und seit 2008 Vorstandsmitglied der IVU.
Fotos: IVU Traffic Technologies AG