Durch Zufall wurde boersengefluester.de (BGFL) kürzlich auf eine „kleine Anfrage“ (19/31467) der FDP-Fraktion an die Bundesregierung aufmerksam, die uns – zumindest was die Antwort angeht – durchaus irritiert hat. Konkret möchte die von Christian Lindner geführte FDP unter anderem wissen, ob die Bundesregierung darüber Kenntnis habe, wie viele Hauptversammlungen (HVs) im Jahr 2021 bislang stattgefunden haben und wie sich diese über die einzelnen Monate nach digitalen und Präsenzveranstaltungen aufteilen. Eine Frage, die sich normalerweise beantworten lassen müsste, so zumindest unsere Vermutung.
Doch weit gefehlt. Zu unserem Erstaunen heißt es nämlich von Seiten der Regierung am 12. Juli 2021 (19/31747): „Die Bundesregierung hat keine Kenntnisse über die Anzahl durchgeführter Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften. Es liegen dazu keine statistischen Angaben oder sonstigen Erkenntnisse vor.“ Und weiter: „Der Bundesregierung ist nicht bekannt, ob und wie viele Hauptversammlungen im Hybridformat – also als Präsenzversammlung mit elektronischer Teilnahmemöglichkeit – abgehalten wurden. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass, zumindest börsennotierte Aktiengesellschaften seit Inkrafttreten des GesRua-COVBekG am 28. März 2020 ihre Hauptversammlungen rein virtuell abgehalten haben. Präsenzhauptversammlungen solcher Aktiengesellschaften sind seitdem nicht bekannt geworden.“ Mit einer – wir bitten um Entschuldigung – so flapsigen Antwort wollte sich boersengefluester.de nicht zufrieden geben und hat in den vergangenen Tagen eine größere Datenrecherche gestartet und hunderte von HV-Einladungen ausgewertet.
Basis dafür ist unsere zurzeit 649 Aktien umfassende Datenbank. Abzüglich 17 Unternehmen, die mit zwei Wertpapiergattungen (Stämme und Vorzüge) unterwegs sind, bleiben 632 unterschiedliche Gesellschaften mit Deutschlandnotiz übrig. So viele, wie wohl keine andere Finanzplattform kontinuierlich redaktionell betrachtet. Zugegeben: Selbst diese Grundgesamtheit spiegelt längst nicht alle börsennotierten deutschen Aktiengesellschaften wider. Deren Zahl dürfte vermutlich locker über die Marke von 1.000 gehen. In der Regel findet bei den Unternehmen unterhalb unserer Datenbank aber nur ein extrem eingeschränkter Börsenhandel statt. Folglich sollte unsere Auswahl den Gesamtmarkt schon ziemlich gut abdecken. Dabei stützen wir uns freilich auf eine eher weit gefasste Definition für „Deutsche Aktien“: Etliche Unternehmen mit Hauptnotiz in Deutschland sind zum Beispiel formal in Luxemburg, den Niederlanden, Malta, UK oder auch der Schweiz ansässig und nutzen daher deren lokale COVID-Bestimmungen.
Zudem sind die Hauptversammlungen in diesen Ländern komplett anders organisiert als die klassische deutsche HV mit Bockwurst und Brötchen. Meist reicht hier ein kleines Hotelzimmer, um das jährliche „Aktionärstreffen“ in Windeseile ohne große Fragemöglichkeit für die Anleger durchzuziehen – und zwar formal als Präsenzveranstaltung. Darüber hinaus führen wir in unserer Datenbank auch deutsche Unternehmen wie Biontech, CureVac, X-FAB Silicon Foundries oder auch Voxeljet, die ihr Hauptlisting an einer Auslandsbörse wie der Nasdaq oder der Euronext haben und damit deren Regularien unterliegen. Und ja: Auch ein paar normale Österreicher zieren unsere Datenbank, was die grundsätzliche Aussage aber nicht verfälscht. Gerade in den vergangenen Wochen gab es nämlich bereits einige deutsche Unternehmen, die ihre Hauptversammlung wieder im klassischen Format durchgeführt haben. Zugegebenermaßen handelt es sich nicht um bekannte Publikumsgesellschaften mit vielen tausend Aktionären. Und häufig gibt es hier auch dominante Großaktionäre, so dass sich der Streubesitzanteil in Grenzen hält.
Aber ein kleiner Aufwärtstrend in Sachen Präsenz ist durchaus zu erkennen. Und noch sind ja gar nicht alle HV-Termine für 2021 bekannt, so dass die Zahl der Präsenz-HVs bis Ende des Jahres – je nach Entwicklung der Impf- und Infektionslage – durchaus noch steigen kann. Boersengefluester.de hat nun jedenfalls ein entsprechendes Feld in seiner Datenbank integriert und wird es entsprechend pflegen. Somit steht einem abschließenden Fazit zum Jahresende nichts im Weg. Vielleicht sollte die FDP dann aber gleich bei BGFL anfragen und sich nicht umständlich an die Bundesregierung wenden. Im Zweifel haben wir hier nämlich die besseren Börseninfos parat.
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