Zu Jahresbeginn galt die Aktie von H&R noch als Geheimtipp aus dem SDAX. Schließlich bot der Spezialchemiekonzern eine knackige Turnaroundstory, nachdem höhere Rohstoffkosten und der teilweise enorme Wettbewerbsdruck 2012 für einen Ergebniseinbruch bis an die Nulllinie sorgten. Doch Ende März, als der H&R-Vorstand die Vorlage des Geschäftsberichts und die Hauptversammlung verschieben musste, klingelten die Alarmglocken bei den Investoren. Die Notiz knickte von rund 11,50 Euro auf 9,50 Euro ein. Mittlerweile hat sich der Kurs des SDAX-Werts auf diesem Niveau stabilisiert. Die Zahlen zum ersten Quartal zeigten zwar eine gewisse Verbesserung gegenüber dem schwachen Abschlussviertel 2012, doch die positiven Effekte des geschürten Maßnahmenpakets werden sich laut dem Vorstand erst ab dem Sommer zeigen. Die meisten Analysten halten sich mit Kaufempfehlungen daher zurück und wollen erst die weitere Entwicklung abwarten. Boersengefluester.de zeigt, ob der Titel für mutige Anleger vielleicht schon jetzt eine Spekulation wert ist.
Auf dem gegenwärtigen Kursniveau bringt es das Unternehmen aus dem niedersächsischen Salzbergen auf einen Börsenwert von rund 282 Mio. Euro. 40 Prozent der Anteile befinden sich im Streubesitz. Die Familie Hansen hält rund die Hälfte der Stücke und ist damit größter Aktionär. Gut zu wissen: Der SDAX-Platz von H&R (WKN: 775700) ist trotz der schwachen Kursentwicklung seit 2011 noch nicht in Gefahr. Mit einem Erlösanteil von rund drei Viertel wichtigste Sparte von H&R ist der Bereich „Chemisch-Pharmazeutische Rohstoffe National“. Hierzu gehören die beiden Inlandsraffinerien in Hamburg-Neuhof und Salzbergen. Knapp 20 Prozent der Umsätze entfallen auf den Bereich „Chemisch-Pharmazeutische Rohstoffe International“. Im kleinsten Bereich „Kunststoffe“ stellt das Unternehmen Präzisionsteile für verschiedene Industriebereiche her. Ein wichtiger Ansatzpunkt zur Verbesserung der Finanzlage ist die Umstellung des Werks in Salzbergen Richtung Auftragsfertigung. Doch offenbar wurde bei H&R jeder Stein umgedreht. Zur Vorlage des Geschäftsberichts betonte Vorstandschef Niels H. Hansen: „Im Zuge unserer Bemühungen hat es keinen Bereich unserer Gruppe und unseres Geschäftsmodells gegeben, der nicht auf sein Verbesserungspotenzial hinterfragt wurde.“ Vorerst mussten die Anleger jedoch mit ansehen, dass die Gesellschaft per 31. März 2013 mit einem Minus von 2,85 Mio. Euro sogar in die Verlustzone rutschte. Mit einem derart schlechten Jahresauftakt hatten die Analysten nicht gerechnet.
Der Ausblick von H&R klingt noch ziemlich vage. So rechnet der Vorstand für 2013 und 2014 mit Umsatzerlösen von jeweils 1,1 bis 1,3 Mrd. Euro. Der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) soll das Vorjahresniveau von knapp 50 Mio. Euro erreichen. Beim Jahresüberschuss hingegen ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem entsprechenden Vorjahreswert zu erwarten. Die Aussage zum Nettogewinn lässt allerdings eine Menge Interpretationsspielraum zu, denn für 2012 wies H&R einen Überschuss von gerade einmal 0,3 Mio. Euro aus. Wie deutlich die Ertragserosion war, zeigt auch ein Blick aufs Ergebnis je Aktie: Es brach 2012 von 1,29 Euro auf 0,01 Euro ein. Große Sprünge sollten die Anleger vorerst allerdings nicht erwarten. So dürfte das Ergebnis je Aktie im laufenden Jahr wohl kaum großartig über 0,50 Euro steigen – und auch diese Schätzung ist nach dem Verlauf des ersten Quartals mit einem Fragezeichen versehen. Für 2014 hält boersengefluester.de jedoch bereits ein Ergebnis je Aktie von 1,00 Euro für möglich. Das entspräche einem Jahresüberschuss von knapp 30 Mio. Euro, was etwa dem Niveau des – auch nicht gerade berauschenden Jahres – 2009 gleichkommt. Sollte H&R diese Marke erreichen, käme der Titel bereits auf ein attraktives Kurs-Gewinn-Verhältnis von knapp zehn. Ob die Gesellschaft nach der jüngsten Nullrunde für 2013 schon wieder die Dividendenzahlung aufnehmen wird, ist allerdings fraglich. Nächster wichtiger Termin für Anleger ist der 23. Juli – dann findet in Hamburg die Hauptversammlung statt. Vermutlich wird Vorstandschef Hansen dann schon etwas mehr zur weiteren Geschäftsentwicklung sagen können. Die Halbjahreszahlen sind freilich erst für den 14. August angesetzt.
Mutige Anleger können sich auf dem jetzigen Niveau schon jetzt ein paar Stücke ins Depot legen. Die Bewertung der H&R-Aktie ist nicht sonderlich hoch. Sollte sich der erhoffte geschäftliche Umschwung einstellen, kann man diese Position dann aufstocken. Für einen Kompletteinstieg ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl noch zu früh. Die aktuelle Chartstabilisierung ist jedoch ein Zeichen dafür, dass die Aktie das Tal der Tränen wohl bereits durchschritten hat. Vor zwei Jahren kostete die SDAX-Aktie übrigens mehr als doppelt so viel wie heute, Anfang 2007 sogar das Vierfache. Zumindest am Nachholpotenzial scheitert es bei H&R also nicht.