Die Sache mit der Dividende ist natürlich schon ärgerlich. Nachdem sich die gute operative Verfassung von H&R in den vergangenen Quartalen zunehmend bestätigte und die Anfang Februar kommunizierten Vorabzahlen für 2021 noch besser als von boersengefluester.de vermutet ausgefallen waren, hatten vermutlich nicht nur wir darauf gehofft, dass der Raffineriekonzern nach zuvor drei Nullrunden wieder eine Ausschüttung vornehmen würde. Mit der jetzt erfolgten Veröffentlichung des Geschäftsberichts ist jedoch klar, dass die Anleger auch zur Hauptversammlung am 24. Mai 2022 keine Dividende bekommen werden. Ausschlaggebend für diese Entscheidung ist einerseits ein noch nicht zurückgezahlter KfW-Unternehmerkredit aus dem Corona-Sonderprogramm des Bundes, aber auch die heftigen Bewegungen an den Rohstoffmärkten und die noch völlig ungewissen Folgen des Kriegen in der Ukraine, haben Vorstand und Aufsichtsrat zu dieser Entscheidung bewogen.
Ein Fall für die Rendite-Hitlisten wäre die H&R-Aktie aber ohnehin nicht geworden und so sollten die Blicke eher Richtung operative Entwicklung 2022 gehen. Demnach kalkuliert CEO Niels H. Hansen mit Erlösen zwischen 1.100 und 1.300 Mio. Euro sowie einem EBITDA (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) in einer Bandbreite von 80 bis 95 Mio. Euro. Zum Vergleich: Für 2021 kommt H&R bei Umsätzen von 1.188 Mio. Euro auf ein EBITDA von rund 132,7 Mio. Euro. Selbst wenn der Ausblick konservativ formuliert ist, die zu erwartende Ergebnisabschwächung ist durchaus stattlich und liegt in dieser Umfang auch über unseren Erwartungen. Dafür wird H&R an der Börse aber auch dermaßen niedrig bewertet, dass die Aktie selbst auf Basis der aktuellen Prognose enorm günstig ist.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 1.025,11 | 1.114,15 | 1.075,32 | 873,03 | 1.188,43 | 1.576,04 | 1.352.260,00 | |
EBITDA1,2 | 97,39 | 74,70 | 52,90 | 55,72 | 132,66 | 124,90 | 92,66 | |
EBITDA-Marge3 | 9,50 | 6,70 | 4,92 | 6,38 | 11,16 | 7,92 | 0,01 | |
EBIT1,4 | 54,29 | 40,17 | 7,40 | -0,35 | 81,72 | 70,23 | 30,68 | |
EBIT-Marge5 | 5,30 | 3,61 | 0,69 | -0,04 | 6,88 | 4,46 | 0,00 | |
Jahresüberschuss1 | 29,50 | 22,32 | 0,08 | -7,83 | 52,53 | 45,36 | 10,56 | |
Netto-Marge6 | 2,88 | 2,00 | 0,01 | -0,90 | 4,42 | 2,88 | 0,00 | |
Cashflow1,7 | 46,19 | 23,32 | 95,86 | 60,15 | 37,42 | 37,98 | 119,07 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,88 | 0,59 | -0,04 | -0,24 | 1,35 | 1,15 | 0,28 | |
Dividende8 | 0,40 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,10 | 0,10 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Grant Thornton |
Losgelöst von der Analyse der harten Zahlen, können wir interessierten Anlegern nur empfehlen, sich den neuen Geschäftsbericht zumindest auszugsweise auf den Seiten 9 bis 11 durchzulesen. Das gibt ein sehr viel besseres Gefühl für das Geschäftsmodell der Salzbergener. Kurz zusammengefasst geht es darum, dass H&R das volatile Massengeschäft mit Grundölen nicht forcieren will, sondern verstärkt auf Spezialitäten mit besseren Margen setzt. Dabei ist die Gemengelage selbst im Grundölbereich durchaus ambivalent. Einerseits ist durch den wieder anziehenden Spritverbrauch im Straßen- und Luftverkehr mit einer höheren Produktion und damit sinkenden Preisen zu rechnen. „Gleichzeitig besteht durchaus die Möglichkeit, dass die aktuelle Situation russische Wettbewerber im Bereich der Grundöle und der kennzeichnungsfreien Weichmacher vom europäischen Markt fernhält und somit zumindest für die Dauer des Konflikts die Preissituation bei diesem Produktgruppen stützt“, heißt es im Geschäftsbericht. Insofern liegen Chancen und Risiken eng zusammen.
Hoch spannend ist darüber hinaus das 2021 auf die Schiene gesetzte Projekt „NextGate“: Hier geht im Kern darum, die bei H&R bereits seit Jahren laufende Wasserstoffproduktion in neue Einsatzbereiche zu führen. Ab Mitte 2022 sollen synthetische Kraftstoffe – sogenannte E-Fuels – sowie spezielle Wachse für Anwendungen in der Kosmetik und Pharmazie in kommerziell gewonnen werden. Noch werden die Aktivitäten den Konzernabschluss nicht signifikant prägen, doch für die langfristige Ausrichtung sind solche Projekte von essentieller Bedeutung. „Bis 2030 sollen bis zu 70 Prozent unserer Produkte auf Grundlage biobasierter, synthetisierter oder recycelter Rohstoffen entstehen“, sagt Hansen.
Umso verrückter, dass die Gesellschaft an der Börse – auf schuldenfreier Basis – zurzeit nur mit rund 405 Mio. Euro bewertet wird. Das entspricht deutlich weniger als dem Fünffachen des momentan für 2022 zu erwartenden EBITDA. Gemessen an dem sich hieraus ergebenden Bewertungspotenzial ist die erneute Nullrunde bei der Dividende wohl in der Tat von eher nachgelagerter Bedeutung, auch wenn der Chemie-Sektor an der Börse traditionell auch wegen seiner erklecklichen Dividendenzahlungen gefragt ist. Mehr Aufmerksamkeit hätte die H&R-Aktie aber allemal verdient.
Noch ein Tipp in eigener Sache: Sämtliche Geschäftsberichte von H&R seit 2007 können Sie auf unserem neuen Portal geschaeftsberichte-download.de (HIER) gratis abrufen.
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