Neuemissionen sind schwieriges Terrain für Anleger. Umso erfreuter war boersengefluester.de Ende April 2019 (HIER), dass endlich einmal wieder ein – für unseren Geschmack – richtig gutes Unternehmen den Schritt an die Börse wagte: Frequentis. Der in Wien ansässige Anbieter von Systemen zur Sprachsteuerung im Flugverkehr und anderen sicherheitsrelevanten Bereichen wie Polizei, Feuerwehr oder auch der Bahn hat eine beachtliche Marktposition, ein erfahrenes Management, ist mit Erlösen von rund 300 Mio. Euro ausreichend groß und arbeitet darüber hinaus seit Jahren mit stabilen operativen Margen von etwa 5,5 Prozent. Trotzdem ist der Funke am Kapitalmarkt bislang noch nicht übergesprungen, weder an der Börse Wien noch im Frankfurter General Standard. Mittlerweile ist die Notiz sogar um etwas mehr als zehn Prozent unter den Ausgabepreis von 18 Euro gerutscht. Das ist noch kein Drama, aber eben auch nicht besonders schön.
Neue Kursimpulse sollte nun der frisch veröffentlichte Halbjahresbericht geben, auch wenn die Daten der ersten sechs Monate auf den ersten Blick vielleicht ein wenig irritieren mögen. Immerhin schloss Frequentis trotz eines Umsatzzuwachses von sieben Prozent auf knapp 132,40 Mio. Euro mit einem Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) von minus 3,88 Mio. Euro ab – nach allerdings minus 5,47 Mio. Euro in der entsprechenden Vorjahresperiode. „Auftragseingang und Projektabnahmen sind zum Jahresende üblicherweise am höchsten, was in der Regel zu einem negativen Halbjahresergebnis führt“, sagt CEO Norbert Haslacher.
Dementsprechend zuversichtlich ist boersengefluester.de auch, dass Frequentis am Jahresende 2019 mindestens wieder die gewohnte Ertragsqualität zeigt, zumal bereits in den ersten sechs Monaten eine Reihe margenstarker Projekte für den deutlich reduzierten Betriebsverlust sorgten. Enorm belastbar ist die Bilanz mit einem Netto-Finanzguthaben von 64,70 Mio. Euro und einer Eigenkapitalquote von gut 40,3 Prozent. Der bereits um die angekündigte Dividendenausschüttung von 0,10 Euro und Anteile Dritter bereinigte Buchwert je Aktie liegt bei 7,61 Euro, womit der Spezialwert auf ein alles andere als überzogen anmutendes Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) von 2,1 kommt.
Ausbaufähig ist unserer Meinung nach jedoch der Prognoseteil. So stellt Frequentis – auch nach Ablauf der ersten sechs Monate – nur eine „neuerliche Steigerung des Auftragseingangs“ gegenüber 2018 in Aussicht. Zudem weist die Gesellschaft darauf hin, dass die aktuellen Aufträge per Ende Juni 2019 den Umsatz für das Gesamtjahr 2019 bereits zu mehr als 80 Prozent abdecken. Auf eine Bandbreitenprognose für Umsatz und Ergebnis müssen Anleger gegenwärtig noch verzichten. Wir sind gespannt, ob Frequentis hier noch nachlegen wird. Bei der Präsentation auf der Herbstkonferenz am 3. September 2019 in Frankfurt werden die Investoren wohl nachhaken, wohin die Reise geht. Der Weisheit letzter Schluss ist sicherlich auch der relativ geringe Streubesitz von 22 Prozent noch nicht. Trotzdem: Für boersengefluester.de ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Investoren den Titel stärker für sich entdecken. Der aktuelle Börsenwert beträgt 212,5 Mio. Euro.
BankM: Wie zufrieden sind Sie mit den ersten bald 100 Börsentagen und was hat sich für Frequentis als Unternehmen und für Sie persönlich durch den IPO geändert?
Norbert Haslacher: Operativ hat sich durch den Börsengang wenig verändert. Persönlich hinzugekommen ist für mich die Interaktion mit unseren Aktionären und weiteren Investoren. Der regelmäßige Austausch lässt die gesamte Frequentis-Gruppe noch professioneller werden und das Feedback ist grundsätzlich sehr positiv. Das gilt genauso für unsere Kunden und Mitarbeiter, bei denen wir durch die Börsennotierung an Bekanntheit und Reputation gewinnen.
BankM: Seit dem Börsengang ist es relativ ruhig um Frequentis geworden, der Kurs ist auch durch die allgemeine Marktentwicklung unter Druck. Was können Sie operativ dagegensetzen?
Norbert Haslacher: Wir sind insgesamt zufrieden mit der Entwicklung unseres Geschäfts. So wurden wir zum Beispiel von der Polizei Nordrhein-Westfalen mit der Modernisierung und Vereinheitlichung der Leitstellentechnik beauftragt. Als größte Polizeiorganisation in Deutschland, mit 50 Polizeibehörden für den Schutz und die Sicherheit von circa 18 Millionen Einwohnern ist die Polizei NRW für uns ein sehr wichtiger strategischer Partner. Ähnliches gilt für die niederländische Flugsicherung, für die Frequentis diesen Sommer zwei Tower am Flughafen Amsterdam/Schiphol mit elektronischen Flugstreifen ausgerüstet hat. Gemessen an den Flugbewegungen ist Schiphol Europas verkehrsreichster Flughafen und der neuntgrößte der Welt (2017) mit sechs Start- und Landebahnen. Bis zu elf Lotsen koordinieren hier über 500.000 Flugbewegungen pro Jahr. Das erfordert komplexe Arbeitsabläufe wodurch die Konfiguration und Validierung unserer Lösung extrem anspruchsvoll war. Dennoch ist es uns gelungen, das Projekt fristgerecht fertigzustellen. Eine Erkenntnis der ersten Börsenwochen ist es, dass wir solche Erfolge stärker sichtbar machen müssen.
BankM: So wie den jüngsten Auftrag für ein Digital-Tower-System am Auckland International Airport…
Norbert Haslacher: Ja, Airways New Zealand, das für die Flugsicherung in Neuseeland zuständige Unternehmen, hat uns damit beauftragt den mit fast 180.000 Flugbewegungen pro Jahr verkehrsreichsten Flughafen Neuseelands auszurüsten. Das Digital-Tower-System von Frequentis wird als Notfallsystem installiert und ist aktuell eine der weltweit umfangreichsten Implementierungen der Digital-Tower-Technologie. Airways New Zealand hat hier eine Vorreiter-Rolle: In Neuseeland zeigt man seit 2012 Interesse an der Digital-Tower-Technologie und will sie nun als nationale Alternative zu konventionellen Towern nutzen. Bereits im vergangenen Jahr erhielt Frequentis den Auftrag zur Planung und Installation des ersten Digital-Towers am Flughafen Invercargill, einem kleinen Regionalflughafen.
BankM: Die Digital- bzw. Remote-Tower-Technologie ermöglicht es, Starts und Landungen von Flugzeugen aus der Ferne zu überwachen und mehrere Flughäfen von einem Tower aus zu kontrollieren. Welches Potenzial sehen Sie für die Zukunft?
Norbert Haslacher: Die Technologie ist noch sehr jung, 2016 fanden in Schweden und Ungarn erste Tests statt. Unsere Lösung haben wir 2018 fertiggestellt – weltweit können nur wenige Unternehmen diese zukunftsorientierte Technologie anbieten. Mit Dutzenden auf der Tower-Kanzel angebrachten Kameras, die Full-HD- und Infrarot-fähig sind, ist unsere Technik einzigartig. Die Infrarotkameras liefern in Echtzeit ein Bild, das bei Nacht und/oder Nebel deutlich weniger störanfällig ist als die Sehleistung des menschlichen Auges. Das Konzept reduziert die Gebäudekosten und ermöglicht eine bessere Nutzung von Personalkapazitäten. Die Digital-Tower-Technologie bringt damit einen Paradigmenwechsel in der Flugsicherung mit sich und eröffnet neue Geschäftschancen.
BankM: Über was für eine Größenordnung sprechen wir hier?
Norbert Haslacher: Bereits in den ersten Monaten nach Abschluss der Entwicklungszeit haben wir mehrere Lösungen in verschiedenen Ländern verkauft, neben Neuseeland unter anderem in Deutschland, Großbritannien, Argentinien und Brasilien. Um die Technologie weiter voranzutreiben, haben wir im Herbst 2018 gemeinsam mit der Deutschen Flugsicherung ein Joint Venture gegründet, so dass wir von einem wachsenden Umsatzanteil in den kommenden Jahren ausgehen. Der Research-Anbieter Report Consultant rechnet aufgrund des zunehmenden Luftverkehrs an Tier-1-Flughäfen zwischen 2019 und 2026 mit einem durchschnittlichen Marktwachstum der Remote-Tower-Technologie von 36 Prozent pro Jahr. Dass es uns gelingt, eine neue Technologien schnell für den Einsatz nutzbar zu machen und innerhalb weniger Monate relevante Aufträge zu erzielen, bestätigt unsere R&D-Strategie und stärkt unsere Rolle als Innovationsführer.
BankM: Auch im Bereich Drohnen sind Sie sehr aktiv und als Industriepartner in mehreren Forschungsprojekten vertreten…
Norbert Haslacher: Richtig. Für europäische Drohnen-Forschungsprojekte wie SESAR GOF U-space liefert Frequentis eine zentrale Datenaustauschplattform. Erst im Juni wurden im Finnischen Meerbusen zwei großangelegte Validierungen für den kommerziellen Nutzen von Drohnen sowie die Integration von unbemannten Flugkörpern in einen gemeinsamen Luftraum durchgeführt. Auch das Luftfahrtprogramm “Take Off” des österreichischen Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT), das u.a. den Aufbau und Betrieb von Testinfrastrukturen für unbemannte Luftfahrtsysteme beinhaltet, unterstützen wir als größter Industriepartner. Ganz so weit wie bei der Remote-Tower-Technologie sind wir beim Drohnen-Management aber noch nicht. Wenn Sie von einem Investitionszyklus von sieben Jahren ausgehen, befinden wir uns aktuell etwa in der Mitte. Dennoch konnten wir Anfang Juli bereits einen 8,5 Mio. US-Dollar-Auftrag durch die US-Navy an Land ziehen. Zur Unterstützung eines Programms für unbemannte Luftfahrzeuge zur Luftbetankung liefert Frequentis bis März 2021 ein Sprach- und Datenkommunikationssystem, das eine nahtlose Integration in die IP-Infrastruktur erlaubt und den höchsten Sicherheitsanforderungen entspricht. Schon in der Vergangenheit haben wir Sprachkommunikationssysteme für Flugzeug- und Helikopterträger an die US-Navy geliefert. Das bestätigt die Konzernstrategie, mit Bestandskunden zu wachsen.
BankM: Wie sehr trägt all dies dazu bei, die Margen zu verbessern?
Norbert Haslacher: Natürlich ist das ein wichtiges Ziel, das wir mit unserem Forschungsaufwand verknüpfen. Nehmen Sie den Remote-Tower: Die Lösung haben wir ja nicht aus Technologieverliebtheit entwickelt, sondern als Antwort auf den Effizienzdruck unserer Kunden. Helfen wir diesen durch unsere Systeme dabei Ressourcen einzusparen, lassen sich auch höhere Margen durchsetzen. Zudem erhöhen wir mit Hilfe der R&D-Investitionen gezielt den Softwareanteil unserer Lösungen. Und je höher der Softwareanteil, desto höher die Marge. Darüber hinaus profitieren wir davon, dass es alleine aus Security-Gründen einen Trend zu mehr Updates gibt. Wird bei der Neukundengewinnung schon einmal knapper kalkuliert, lässt sich im Wartungsbereich leichter Geld verdienen. Mit der Eröffnung einer Niederlassung in Abu Dhabi haben wir 2018 schließlich die Regionalisierung größtenteils abgeschlossen. Entsprechend erwarten wir Skaleneffekte aus den steigenden internationalen Umsätzen. Besonders das US-Geschäft entwickelt sich überdurchschnittlich und im stark wachsenden asiatischen Markt konnten wir auch außerhalb Chinas erste Erfolge erzielen.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 266,93 | 285,76 | 303,63 | 299,37 | 333,53 | 385,97 | 427,49 | |
EBITDA1,2 | 20,02 | 21,59 | 30,18 | 41,92 | 46,51 | 45,63 | 44,17 | |
EBITDA-Marge3 | 7,50 | 7,56 | 9,94 | 14,00 | 13,95 | 11,82 | 10,33 | |
EBIT1,4 | 14,32 | 15,60 | 17,22 | 26,81 | 28,97 | 24,99 | 26,65 | |
EBIT-Marge5 | 5,36 | 5,46 | 5,67 | 8,96 | 8,69 | 6,48 | 6,23 | |
Jahresüberschuss1 | 10,70 | 11,83 | 15,52 | -3,39 | 20,77 | 18,88 | 19,98 | |
Netto-Marge6 | 4,01 | 4,14 | 5,11 | -1,13 | 6,23 | 4,89 | 4,67 | |
Cashflow1,7 | 16,69 | 4,56 | 17,73 | 54,75 | 48,75 | 14,22 | 25,66 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,81 | 0,90 | 0,93 | -0,30 | 1,50 | 1,41 | 1,38 | |
Dividende8 | 0,00 | 0,10 | 0,15 | 0,15 | 0,20 | 0,22 | 0,24 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: BDO |
BankM: Skaleneffekte könnten ebenfalls aus anorganischem Wachstum resultieren. So sollten die Mittel aus dem IPO ja auch für gezielte M&A-Aktivitäten zum Ausbau der Marktposition verwendet werden. Wie ist hier der aktuelle Stand, gibt es schon konkrete Überlegungen?
Norbert Haslacher: Wir beobachten mehrere potentielle Targets mit unterschiedlichen Produkt- und Kundenportfolios, die das Frequentis-Angebot gut ergänzen könnten. Die Preisvorstellungen sind nach unserem IPO jedoch nicht unbedingt gefallen. Wir kennen den Markt aber sehr genau, inklusive der Investitionspläne der einzelnen Teilnehmer. Diese müssen zum Kaufpreis passen, wir zahlen nur reale Werte. Wie all unsere strategischen Zielsetzungen folgt auch die Akquisitionspolitik einem kontinuierlichen Prozess. Wir machen keine kurzfristigen Optimierungen auf Kosten der Zukunft.
BankM: Eine Zukunft, die den jüngsten Konjunkturprognosen zufolge immer trüber aussieht. Wie groß ist Ihre Sorge vor einem weltwirtschaftlichen Abschwung?
Norbert Haslacher: Im sicherheitskritischen Bereich sind die Budgeterstellungsprozesse vor allem durch regulatorische Anforderungen getrieben. Unsere Endkunden aus Flugsicherung, Polizei und Feuerwehr sowie Bahn- und Schiffsverkehr sind überwiegend Behörden, deren Investitionsentscheidungen von Effizienz- und Sicherheitserwägungen geprägt sind. Die Systeme haben eine Nutzungsdauer von zum Teil mehr als 15 Jahren und der Auftragsvergabe geht ein oftmals mehrjähriger Prozess voraus. Die langen Vorlaufzeiten erlauben eine sehr gute Planbarkeit sowie eine effiziente Risikosteuerung. Dem Erstauftrag folgen in der Regel Zusatz- und Folgeaufträge für die installierten Komponenten – rund 40 Prozent unserer Aufträge entfallen auf die installierte Basis. All das macht uns relativ unabhängig von gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen. Durch die in den vergangenen Jahren vorangetriebene Verbreiterung unseres Lösungsangebots und unserer Absatzbereiche sowie die mittlerweile globale Aufstellung, haben wir zudem das Klumpenrisiko reduziert.
Zur Person:
Norbert Haslacher verfügt über mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung im Bereich Technologielösungen, Dienstleistungen und Beratung. In dieser Zeit war er unter anderem als Geschäftsführer in Österreich und Osteuropa für das amerikanische IT-Unternehmen CSC tätig. Seit April 2015 ist Norbert Haslacher imVorstand der Frequentis aktiv. Bevor er im April 2018 zum Vorstandsvorsitzenden ernannt wurde, war er für Vertrieb und Marketing verantwortlich. Haslacher ist Jahrgang 1970. Der studierte Betriebswirt (Business School St. Gallen) ist verheiratet und hat zwei Kindern. In seiner Freizeit genießt er Outdoor-Aktivitäten wie Skifahren, Reisen um die Welt und das Entdecken neuer Kulturen.
Fotos: Frequentis, Pixabay