Nachdem das Wasser für Discount-Broker und andere FinTechs rund um den Kapitalmarkt lange Zeit sogar bergauf zu fließen schien, hat sich das Umfeld längst geändert. Mit der Berliner Neo-Bank Nuri gab es kürzlich sogar einen Komplettausfall. Keine guten Zeiten also, auch für die Aktionäre von börsennotierten Unternehmen aus dem Finanzsektor. Im Interview mit boersengefluester.de redet Frank Niehage, CEO der mittlerweile im Frankfurter Omniturm ansässigen flatexDEGIRO AG, einmal mehr Klartext und verrät, wie er das allgemeine Umfeld einschätzt und welche Rückschlüsse er daraus für den eigenen Brokerverbund um flatex und DEGIRO zieht. Eine seiner Kernaussagen: „Wir wachsen seit Jahren hoch profitabel und erzielen starke operative Cashflows. Diese operative Stärke schafft Freiräume für Übernahmen im Falle einer Konsolidierung.“
Herr Niehage, die Insolvenz der Berliner Neo-Bank Nuri sorgt hierzulande für viel Wirbel. Zuletzt war gar davon zu lesen, dass jetzt das „große Fintech-Beben“ beginnt. Wie nehmen Sie die aktuelle Entwicklung wahr?
Frank Niehage: Nach zwei Boom-Jahren trennt sich die Spreu vom Weizen. Covid und der Meme-Stock-Hype haben 2020 und 2021 vielen Geschäftsmodellen ein massives Scheinwachstum erlaubt, weil eine große Menge unerfahrener Anleger bereit war Dinge auszuprobieren und Risiken einzugehen, die sie teilweise gar nicht wirklich verstanden haben. Beispielsweise im Kryptobereich. Wie wenig werthaltig diese vermeintliche Wachstumsstrategie war, zeigt sich jetzt. Es verwundert insofern nicht, wenn einst gehypte Neo-Banken, aber auch Neo- und Kryptobroker, jetzt großflächige Entlassungswellen fahre und ich befürchte, dass Nuri nicht die letzte Insolvenz in diesem Bereich bleiben wird.
Rechnen Sie damit, dass die Schallwellen auch bis in den Bereich der Discount-Broker – also dem angestammten Geschäft von flatexDEGIRO – reichen werden?
Frank Niehage: Negativ getroffen wird, wer kein solides Geschäftsmodell hat und sich allein darauf ausgerichtet hat, unerfahrene Anleger mit vermeintlich niedrigen Preisen an die Börse zu locken, ohne dabei ein ausreichendes Produkt- und Serviceangebot zu bieten. Die „Schallwellen“ die uns hiervon treffen werden, sind allenfalls zusätzliche Neukunden, die erkennen, dass erfolgreiche Kapitalanlage einen starken, verlässlichen Partner braucht und sich mit dem beschränkten Angebot anderenorts nicht mehr abspeisen lässt.
Wie sieht die Entwicklung auf europäischer Ebene aus? Gehen die Entwicklungen hier in eine ähnliche Richtung oder gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Ländern?
Frank Niehage: Die grundsätzliche Thematik ist überall dieselbe, in Deutschland, Europa oder aber in den USA. Mit robinhood hat ja gerade erst die Mutter aller Neo-Broker ihre strategische Bankrotterklärung in der Form abgegeben, dass kurzfristig jeder Vierte Mitarbeiter vor die Tür gesetzt wird. In Deutschland droht aber ein zusätzlicher Brandbeschleuniger in Form eines EU-weiten Verbots des sogenannten „Payment for Order flow“. Hierbei handelt es sich um Rückvergütungen, die einzelne Handelsplätze den Brokern für die Weitergabe der Kundenaufträge zahlen. Von dieser Form der „hintenherum“-Finanzierung sind besonders deutsche Neo-Broker vollkommen abhängig. Auf EU-Ebene verfestigt sich die Sichtweise, dass diese intransparenten Zahlungen zum Schutz der Privatanleger verboten werden sollten. Wenn es dazu kommt, dann gehen hierzulande sicherlich noch mehr Lichter aus.
Sollte es tatsächlich zu anhaltenden Verwerfungen in der Branche kommen: Wie positioniert sich ein großes Unternehmen wie flatexDEGIRO in so einem Szenario?
Frank Niehage: Unser Geschäftsmodell ist extrem solide. Das oben angesprochene Payment for Order flow spielt bei uns zum Beispiel überhaupt keine Rolle. Wir fokussieren uns seit jeher auf erfahrene Anleger und bieten ihnen die optimale Kombination: Europas breiteste Produktpalette, auf einer der komfortabelsten und sichersten Plattformen, zu herausragend günstigen Konditionen. Damit wachsen wir seit Jahren hoch profitabel und erzielen starke operative Cashflows. Gleichzeitig wachsen wir schon heute schneller als alle wesentlichen Wettbewerber zusammen! Diese operative Stärke schafft Freiräume für Übernahmen im Falle einer Konsolidierung.
Sie sehen sich also eher in der Rolle eines – wie es so schön heißt – aktiven Konsolidierers? Was muss ein Marktbegleiter mitbringen, um auch für flatexDEGIRO interessant zu sein. Geht es nur um Kunden oder auch um Marken?
Frank Niehage: Mit DEGIRO haben wir vor zwei Jahren das mit Abstand beste Wettbewerbsunternehmen im Markt übernommen. Heute sind wir Europas führender Online-Broker mit starken Marken in allen relevanten Ländern Europas. Wir verfügen über eine Vollbanklizenz und drei Jahrzehnten an IT-Knowhow. Bei einer Akquisition im Online-Brokerage-Bereich ginge es für uns daher ausschließlich um eine Erweiterung unserer Kundenbasis. Stimmen muss hierbei aber vor allem die Qualität der Kunden – und natürlich der Preis. Unser organisches Wachstum kostet uns heute rund 100 Euro je Neukunde. Im Vergleich dazu muten die Bewertungen, die in den zurückliegenden 12 bis 24 Monaten für so manches nicht-gelistetes Vergleichsunternehmen aufgerufen wurden, geradezu absurd an. Aber auch das wird die aktuelle Situation richten.
Auch der Kurs von flatexDEGIRO hat massiv gelitten. Von dem Mitte vergangenen Jahres erreichten Hoch bei knapp 30 Euro hat die Aktie um mehr als 60 Prozent an Wert eingebüßt. Der einmal avisierte MDAX-Platz ist in weiter Ferne gerückt. Wie schätzen Sie das Potenzial der eigenen Aktie ein?
Frank Niehage: Mit der schwachen Kursentwicklung sind wir ja nicht allein. Speziell Technologie- und Wachstumswerte haben seit Jahresbeginn stark eingebüßt. Zins-, Inflations- und Kriegsängste spielen hier eine große Rolle. Eine Normalisierung – nicht zuletzt eine baldige Beendigung des Kriegs in der Ukraine – wird auch wieder zu einer Entspannung führen. Dazu kommt, dass flatexDEGIRO in Sippenhaft genommen wird für die Probleme, die sich jetzt bei schwachen Geschäftsmodellen zeigen. Dementgegen wachsen wir weiter hoch profitabel, streben für dieses Jahr trotz des schwierigen Gesamtumfeldes an, unseren Rekordumsatz vom Vorjahr noch zu übertreffen und das bei ungebrochen starken operativen Margen. Ich bin mir sehr sicher, dass sich diese Stärke auch in unserer Aktie zeigen wird.
Zuletzt haben Sie Themen wie Dividenden und Aktienrückkäufe auf die Agenda gebracht. Gibt es dazu Neuigkeiten?
Frank Niehage: Unseren Halbjahresbericht lassen wir einer prüferischen Durchsicht unterziehen, eine Grundvoraussetzung, um den Halbjahresgewinn dem regulatorischen Eigenkapital anrechnen lassen zu können. Das erweitert unseren finanziellen Spielraum für eine mögliche Dividende, ein Aktienrückkaufprogramm oder die Kombination aus beidem. Aber noch laufen unsere internen Entscheidungsprozesse. Nicht zuletzt sind dies auch Themen, die einer Genehmigung des Regulators bedürfen und letztlich durch die Hauptversammlung zu entscheiden sind.
Auffällig ist, dass die Kursziele der Analysten meilenweit auseinander liegen. Die Spanne reicht von knapp 9 Euro bis hin zu 27 Euro. Kommt die Equity Story momentan nicht klar genug rüber oder welche Erklärung haben Sie hierfür?
Frank Niehage: Das Gros der Analysten sieht den fairen Wert der Aktie derzeit in einer Spanne von 18 bis 27 Euro – also in etwa einer Verdopplung des derzeitigen Kursniveaus innerhalb nur eines Jahres. Bei dem angesprochenen Ausreißer nach unten, handelt es sich um eine extrem pessimistische Zukunftserwartung für den Gesamtmarkt, die wir sicherlich nicht teilen. Die Stärke unseres Geschäftsmodells zweifelt aber kein einziger an.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 107,01 | 125,10 | 131,95 | 261,49 | 417,58 | 406,96 | 390,73 | |
EBITDA1,2 | 32,07 | 42,37 | 37,58 | 98,43 | 112,09 | 183,28 | 140,35 | |
EBITDA-Marge3 | 29,97 | 33,87 | 28,48 | 37,64 | 26,84 | 45,04 | 35,92 | |
EBIT1,4 | 26,48 | 30,62 | 24,75 | 73,79 | 80,26 | 151,28 | 104,35 | |
EBIT-Marge5 | 24,75 | 24,48 | 18,76 | 28,22 | 19,22 | 37,17 | 26,71 | |
Jahresüberschuss1 | 16,80 | 17,47 | 14,91 | 49,92 | 51,55 | 106,19 | 71,86 | |
Netto-Marge6 | 15,70 | 13,96 | 11,30 | 19,09 | 12,35 | 26,09 | 18,39 | |
Cashflow1,7 | 0,11 | 250,07 | -157,25 | 141,45 | 125,03 | 113,32 | 63,08 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,15 | 0,16 | 0,14 | 0,55 | 0,47 | 0,97 | 0,65 | |
Dividende8 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,04 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: BDO |
Wie laufen denn die operativen Geschäfte momentan? Zum Halbjahr war die Zahl der Transaktionen rückläufig, dafür haben Sie mehr Geld pro Kunde umgesetzt. Setzt sich dieser Trend fort? Die Börsen befanden sich zuletzt immerhin im Stabilisierungsmodus – mitunter gab es sogar kräftige Erholungen.
Frank Niehage: Die Zahl der Transaktionen war rückläufig, weil das Vorjahr so stark war. Das Handelsverhalten unserer Kunden hat sich nach den Boom-Jahren wieder normalisiert, da ergibt ein 1:1-Vergleich wenig Sinn. Wichtiger für uns ist in der Tat, dass wir heute bei jeder Transaktion deutlich mehr Umsatz und Ertrag generieren, als noch vor Covid. Diese Entwicklung ist nachhaltig und ermöglicht es uns, auch im aktuellen Umfeld Rekordumsätze und -erträge anzustreben, und das noch vor einer eventuellen Stabilisierung oder gar Erholung der Börsenlandschaft.
Zusätzlich zum Sponsoring von Borussia Mönchengladbach ist DEGIRO zuletzt neuer Hauptpartner vom FC Sevilla geworden. Beim Thema Marketing drücken Sie also weiter aufs Gaspedal. Lohnt sich das in der aktuellen Phase?
Frank Niehage: Absolut. Ziel unseres Sponsorings ist es, die Markenbekanntheit zu steigern; von flatex in Deutschland über Borussia Mönchengladbach und von DEGIRO in Spanien und International mittels Sevilla. Die Markenbekanntheit von flatex konnten wir so schon verdreifachen. Diesen erfolgreichen Weg wollen wir jetzt auch bei DEGIRO gehen. Dass wir dies gerade in Spanien tun, ist kein Zufall. Mit fast 250.000 Kunden ist Spanien mittlerweile der zweitgrößte Markt von DEGIRO, mit enormen Wachstumspotential. Damit legen wir den Grundstein für anhaltendes, profitables Wachstum. Gerade in der aktuelle Phase, in der andere schwächeln, bauen wir so unsere führende Marktstellung weiter aus. Abschließend bleibt festzuhalten, das das Sportsponsering für BMG und Sevilla zusammen dieses Jahr nicht mehr als 20 Prozent des Marketingbudgets ausmacht.
Geben Sie uns bitte noch ein kurzes Update zu den angekündigten Produktausweitungen um digitale Vermögensverwaltung und den Handel mit Kryptowährungen.
Frank Niehage: An beiden Projekten arbeiten wir aktuell mit starken Partnern, mit denen wir jeweils ein Memorandum of Understanding abgeschlossen haben. Bei der digitalen Vermögensverwaltung handelt es sich um unseren langfristigen B2B-Partner Whitebox, einem der führenden unabhängigen Anbieter für Privatanleger. Unsere Kunden erhalten damit ab Spätsommer Zugang zu einer zusätzlichen, sehr attraktiven und komfortablen Form der Geldanlage. Davon profitieren vor allem Kunden, die bisher weniger handelsaktiv waren. Zudem können wir so neue Kundengruppen ansprechen, die generell Unterstützung bei nachhaltigen und langfristigen Investitionen am Kapitalmarkt suchen. Das Angebot einer digitalen Vermögensverwaltung ist der nächste, logische Schritt in der Vertikalisierung unserer einzigartigen europäischen Brokerage-Plattform. Am Handel mit Kryptowährungen arbeiten wir mit der Börse Stuttgart, Europas sechstgrößter Börsengruppe. Die Zusammenarbeit mit einem verlässlichen, etablierten Anbieter ist uns hier besonders wichtig. Einen go-live erwarten wir aber erst zum Jahresende.
flatexDEGIRO hat sich ambitionierte Ziele bis 2026 gesetzt. Sind die aus heutiger Sicht noch realistisch oder sind partielle Anpassungen nötig?
Frank Niehage: Es ist unsere Vision, dass wir bis Ende 2026 unsere Kundenbasis auf 7 bis 8 Millionen Kundenaccounts ausweiten. Davon rücken wir auch nicht ab. Das Potenzial dafür bietet ein europäischer Markt, in dem rund 250 Millionen Menschen noch keinen Zugang zu Online Brokerage haben, und zu dem kein anderer einen besseren Zugang hat, als flatexDEGIRO. Mit dieser Kundenbasis sehen wir uns in der Lage, selbst in Jahren mit niedriger Handelsaktivität, 250 bis 350 Millionen Transaktionen abzuwickeln, was in etwa einer Verdreifachung des letztjährigen Rekordwertes entspricht. Zusammen mit der verbesserten Monetarisierung von mehr als 5 Euro Umsatz pro Transaktion, sollte damit auch die Schallmauer von 1 Milliarde Euro Umsatz deutlich durchbrochen werden.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Niehage!
Frank Niehage verfügt über umfangreiche Erfahrungen in allen Segmenten des Privat- und Geschäftskundengeschäfts und war bis August 2014 Managing Director bei Goldman Sachs, bevor er zu flatexDEGIRO kam. In früheren Positionen war er als CEO in Deutschland maßgeblich am Wachstum der Bank Sarasin AG beteiligt. Davor war er in verschiedenen leitenden Positionen bei der Commerzbank, Credit Suisse, UBS und der internationalen Anwaltskanzlei Beiten Burkhardt in Deutschland und international, insbesondere in Asien, tätig. Frank Niehage ist zugelassener Rechtsanwalt in Deutschland und hat seinen Master of Laws mit Schwerpunkt internationale Wirtschaft am University of Houston Law Center erworben.
Fotos: flatexDEGIRO AG, Clipdealer