Wenn eine Unternehmensmeldung an einem Samstag um 18.30 Uhr über die Ticker läuft, deutet das selten auf gute Neuigkeiten hin. Und wenn in der Headline dann auch noch von „präzisiert die finanziellen Erwartungen“ die Rede ist, dürfte klar sein, was die Anleger erwartet: Eine Gewinnwarnung. Demnach rechnet der Onlinebroker-Verbund flatexDEGIRO für 2022 nun mit einem Umsatz von im Mittel rund 380 Mio. Euro sowie einer bereinigten EBITDA-Marge im Bereich um 37 Prozent, was auf ein – um die Sondereffekte aus dem Aktienoptionsprogramm – adjustiertes Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen von knapp 141 Mio. Euro hinauslaufen würde, die bei Umsatz und Marge angegebenen Toleranzen einmal ausgeklammert. Zum Vergleich: Noch Mitte Oktober bekräftigte der SDAX-Konzern, für 2022 auf Umsatzerlöse von mindestens 400 Mio. Euro zu kommen und dabei eine bereinigte EBITDA-Marge auf dem Vorjahresniveau von gut 42 Prozent zu erzielen.
In absoluten Zahlen wäre das auf ein adjustiertes EBITDA von Untergrenze 168 Mio. Euro hinausgelaufen. „Trotz erster Anzeichen für eine Aufhellung am Aktienmarkt im Oktober hat der Handel von Privatanlegern insgesamt noch nicht zu den normalen saisonalen Mustern zurückgefunden, die in der Regel zu einer erhöhten Handelsaktivität gegen Ende des Jahres führen“, betont das Unternehmen. Konkret wird flatexDEGIRO im Abschlussquartal des laufenden Jahres also rund 20 Mio. Euro Umsatz weniger machen, als eigentlich erwartet. Und exakt dieses Volumen – mit hoher Rendite – fehlt nun. Demnach verhalten sich die Anleger deutlich träger als etwa der DAX, der seit dem Tief von Ende September bereits wieder um etwas als 20 Prozent an Höhe gewonnen hat. Per saldo kommen die Frankfurter damit zwar selbst in einem denkbar schwierigen Jahr wie 2022 auf Rekordwerte bei Umsatz und Ergebnis, was für sich genommen eine bemerkenswerte Leistung ist – selbst wenn die ursprüngliche Erwartungshaltung ein anderes Kaliber war.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 107,01 | 125,10 | 131,95 | 261,49 | 417,58 | 406,96 | 390,73 | |
EBITDA1,2 | 32,07 | 42,37 | 37,58 | 98,43 | 112,09 | 183,28 | 140,35 | |
EBITDA-Marge3 | 29,97 | 33,87 | 28,48 | 37,64 | 26,84 | 45,04 | 35,92 | |
EBIT1,4 | 26,48 | 30,62 | 24,75 | 73,79 | 80,26 | 151,28 | 104,35 | |
EBIT-Marge5 | 24,75 | 24,48 | 18,76 | 28,22 | 19,22 | 37,17 | 26,71 | |
Jahresüberschuss1 | 16,80 | 17,47 | 14,91 | 49,92 | 51,55 | 106,19 | 71,86 | |
Netto-Marge6 | 15,70 | 13,96 | 11,30 | 19,09 | 12,35 | 26,09 | 18,39 | |
Cashflow1,7 | 0,11 | 250,07 | -157,25 | 141,45 | 125,03 | 113,32 | 63,08 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,15 | 0,16 | 0,14 | 0,55 | 0,47 | 0,97 | 0,65 | |
Dividende8 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,04 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: BDO |
Zumindest was die Korrektur der Ergebniszahlen angeht, ist boersengefluester.de mit Blick auf den seit Jahresbeginn kräftig geschmolzenen Aktienkurs gar nicht so pessimistisch. Diese Entwicklung sollte eigentlich im Chart eingepreist sein. Für deutlich mehr Unruhe unter den Investoren dürfte dagegen die Nachricht sorgen, wonach die Finanzaufsichtsbehörde BaFin im Rahmen einer Sonderprüfung Mängel in einigen Geschäftspraktiken und der Unternehmensführung festgestellt hat und vorübergehende zusätzliche Eigenmittelanforderungen für notwendig erachtet. „Aufgrund des transformativen Wachstums betrachtet die deutsche Aufsichtsbehörde flatexDEGIRO nicht mehr als “kleines und nicht-komplexes” Institut, was zu erhöhten regulatorischen Anforderungen für die Gruppe führt, begleitet von einem allgemein höheren Aufsichtsniveau”, heißt es.
Um dem entgegenzutreten, haben Vorstand und Aufsichtsrat beschlossen, die flatexDEGIRO Bank AG mit 50 Mio. Euro aus eigenen Mitteln zusätzlich zu kapitalisieren. Dem Vernehmen nach wäre die 100-Prozent-Tochter für „alle zukünftigen Wachstumsanstrengungen ausreichend finanziert“, eine Kapitalerhöhung der börsennotierten flatexDEGIRO AG wäre demnach nicht notwendig. Um die Organisation noch professioneller aufzustellen, gibt es zudem diverse personelle Veränderungen: Der bisherige CFO Muhamad Chahrour wird zum Jahreswechsel – neben CEO Frank Niehage – zum stellvertretenden CEO und gleichzeitig auch Chief Operating Officer (COO) der flatexDEGIRO AG. Die Position des Finanzvorstands für den Konzern übernimmt Benon Janos, der bislang CFO der flatexDEGIRO Bank AG war.
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Verstärkt wird die Vorstandsebene darüber hinaus durch den bisherigen Chief Technology Officer Stephan Simmang. Last but not least soll die bislang für das Personalwesen zuständige Christiane Strubel zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls auf Vorstandsebene angesiedelt werden. „Die Tatsache, dass diese Schlüsselpositionen mit Kandidaten aus den eigenen Reihen besetzt werden konnten, spricht für die hohe Qualität des Managements auf den verschiedenen Ebenen bei flatexDEGIRO,“ betont der Vorstandsvorsitzende Frank Niehage. Insgesamt sind das aber alles keine Nachrichten, die kurzfristig für einen Vertrauensschub in der flatexDEGIRO-Aktie sorgen. Angesichts der grundsätzlich sehr günstigen Bewertung sollten Anleger für unseren Geschmack aber engagiert bleiben.
Foto: Clipdealer