46 Seiten umfasst der jetzt vorgelegte Zwischenbericht von Drägerwerk für das erste Halbjahr 2021. Für ein SDAX-Unternehmen ist das guter Durchschnitt. Deutlich günstiger als bei den meisten anderen Indexmitgliedern sind jedoch die einschlägigen Bewertungskennzahlen des Medizintechnikkonzerns. Das wiederum liegt daran, dass Drägerwerk durch Corona zwar einen massiven Nachfrageanstieg nach Beatmungsgeräten, Schutzmasken und anderen Produkten erfahren hat, die Investoren aber längst ein deutliches Abflachen der Umsatzkurve antizipieren. Und tatsächlich liegen Auftragseingang und Betriebsergebnis im zweiten Quartal 2021 bereits spürbar unter den vergleichbaren Vorjahreswerten. „Wir gehen auch weiterhin davon aus, dass sich die pandemiebedingte Nachfrage im zweiten Halbjahr normalisieren wird und rechnen nicht mit einer vergleichbaren Nachfrage im kommenden Jahr“, räumt CEO Stefan Dräger ein.
Das klingt zunächst einmal nach Ernüchterung und ist die Erklärung dafür, warum der Kurs der Dräger-Aktien von vielen anderen Titeln aus dem Medizinbereich überholt wird – selbst wenn die operativen Rückgänge weit weniger ausgeprägt sind, als zunächst zu erwarten war. Umso mehr lohnt es sich nach Auffassung von boersengefluester.de, gerade jetzt einen etwas tieferen Blick in den Q2-Report zu werfen. Bemerkenswert finden wir etwa den Hinweis, dass Dräger im Jahresverlauf aus „einer Reihe von Schwellenländern“ größere COVID-bedingte Aufträge erhalten hat. Neben Indien gibt es also noch andere Staaten, die kräftig bei den Lübeckern ordern und so die Einbußen in Deutschland, China oder auch den USA abfedern. Wie breit Drägerwerk aufgestellt ist, zeigt sich zudem auch der Hinweis, dass zurzeit „mobile Gasversorgungsanlagen zur schnellen Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft von Krankenhäusern“ nach der Hochwasserkatastrophe in Teilen Deutschlands wichtig sind.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 2.572,26 | 2.595,01 | 2.780,82 | 3.406,28 | 3.328,42 | 3.045,23 | 3.375,50 | |
EBITDA1,2 | 240,00 | 147,91 | 193,71 | 521,07 | 421,00 | 55,80 | 315,00 | |
EBITDA-Marge3 | 9,33 | 5,70 | 6,97 | 15,30 | 12,65 | 1,83 | 9,33 | |
EBIT1,4 | 155,74 | 62,65 | 66,58 | 396,60 | 271,68 | -88,61 | 166,43 | |
EBIT-Marge5 | 6,05 | 2,41 | 2,39 | 11,64 | 8,16 | -2,91 | 4,93 | |
Jahresüberschuss1 | 98,50 | 34,90 | 33,79 | 249,89 | 154,27 | -63,64 | 111,99 | |
Netto-Marge6 | 3,83 | 1,34 | 1,22 | 7,34 | 4,64 | -2,09 | 3,32 | |
Cashflow1,7 | 143,34 | 4,09 | 164,42 | 459,98 | 384,89 | -144,23 | 189,68 | |
Ergebnis je Aktie8 | 4,18 | 1,48 | 1,44 | 10,25 | 7,19 | -3,47 | 5,92 | |
Dividende8 | 0,46 | 0,19 | 0,19 | 0,19 | 0,19 | 0,19 | 1,80 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: PricewaterhouseCoopers |
Auffällig beim Blick in die Bilanz per Ende Juni 2021 ist zudem, dass die Netto-Finanzverbindlichkeiten um gut 70 Prozent auf nur noch 147,6 Mio. Euro geschmolzen sind. Maßgebliche Treiber hierfür sind insbesondere die vorzeitig zurückgekauften Genussscheine. Sollte die Entwicklung nicht komplett drehen, dürfte Dräger bald womöglich in den Bereich Netto-Cash-Positiv vorstoßen. Das wiederum würde den Unternehmenswert (Enterprise Value = Marktkapitalisierung plus Netto-Finanzverschuldung) weiter verringern und die entsprechende Kennzahl EV/EBITDA nochmals günstiger darstellen. Dabei kommt die Gesellschaft bei der Relation von Enterprise Value zu dem für 2021 zu erwartenden Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen schon jetzt auf einen Faktor von weniger als 3,5. Selbst wenn das EBITDA im kommenden Jahr um 40 Prozent fallen würde, wovon wir allerdings gar nicht ausgehen, käme Drägerwerk bei dieser wichtigen Bewertungsziffer auf einen noch immer ziemlich niedrigen Faktor von gut 5,0.
Parallel zu den operativen Gewinnen und einer Verkürzung der Bilanzsumme klettert derweil auch die Eigenkapitalquote und erreicht bereits wieder ein Level von gut 38 Prozent. Am Kapitalmarkt punkten, sollte Dräger bald auch wieder mit einer Abkehr von der Mini-Dividendenpolitik der vergangenen Jahre. Noch gibt es hierzu freilich keine konkreten Planungen. Die Spielraum wird aber auf jeden Fall wieder größer. Ansonsten sieht der Ausblick für 2021 einen Umsatzrückgang in einer Region zwischen zwei und sechs Prozent sowie eine EBIT-Marge von acht bis elf Prozent vor. Das könnte nach Schätzungen von boersengefluester.de zu einem Betriebsergebnis von rund 335 Mio. Euro führen – nach 397 Mio. Euro für 2020. Gemessen an all den Jahren zuvor bewegt sich Drägerwerk damit noch immer auf Hochplateau. Ein wenig mehr Zuversicht am Kapitalmarkt wäre für unseren Geschmack also durchaus nicht Fehl am Platz.
Die Frage, ob Stämme oder Vorzüge, muss derweil jeder Anleger für sich entscheiden. Grundsätzlich sind wir klare Fans von Aktien mit Stimmrecht. Allerdings sind die stimmrechtslosen Vorzugsaktien von Dräger deutlich liquider als die Stämme und auch im SDAX enthalten. Bewertungstechnisch gibt es zurzeit kaum Unterschiede.
Foto: Drägerwerk AG & Co. KGaA (Polytron 7000 misst Gaskonzentrationen)