Vor lauter Feierlaune bei den Investoren ist in den vergangenen Tagen beinahe untergegangen, dass am 5. Juni der Arbeitskreis Aktienindizes tagt und über mögliche Veränderungen in der DAX-Familie berät. Etatmäßig auf der Tagesordnung steht diesmal nur der SDAX. Doch angesichts prominenter Neuzugänge wie LEG Immobilien oder der RTL Group könnte es auch im MDAX zu Veränderungen kommen – so die Spekulation der Börsianer. Für Spannung ist also gesorgt. Kein Wunder, dass die Indexstrategen in den Banken bereits alle Szenarien durchspielen.
Als heißer Kandidat für einen direkten Aufstieg in den MDAX gilt LEG Immobilien (WKN: LEG111). Der Bestandshalter von Wohnungen in Nordrhein-Westfalen ist seit dem 1. Februar 2013 notiert und erfüllt damit locker die formale Mindestanforderung für eine Indexaufnahme von 30 Handelstagen. Nach einem schwierigen Parkettstart hat sich die Stimmung in den vergangenen Wochen zugunsten der Düsseldorfer gedreht. Mittlerweile notiert der Anteilschein wieder nördlich des Emissionspreises von 44 Euro. 57,5 Prozent der LEG-Aktien befinden sich im Streubesitz. Die wichtigsten Aktionäre sind die Goldman Sachs zurechenbare Saturea B.V. (40,85 Prozent) sowie der Hedgefonds Perry Capital (9,15 Prozent). Interessant: Mit einer gesamten Kapitalisierung von 2,41 Mrd. Euro bringt LEG Immobilien nur geringfügig weniger Gewicht auf die Börsenwaage als die Deutsche Wohnen (WKN: A0HN5C), den mit 2,49 Mrd. Euro momentan schwersten deutschen Immobilienwert. „LEG Immobilien steigt mit den aktuellen Rängen 34/36 in den MDAX auf“, sagt Indexexpertin Silke Schlünsen von Close Brothers Seydler. Voraussetzung für eine außerordentliche MDAX-Beförderung – im Börsensprech Fast Entry – ist, dass der Titel sowohl bezüglich der Marktkapitalisierung des Streubesitzes als auch mit Blick auf die Handelsumsätze zu den 40 führenden Aktien gehört. Für die LEG-Aktie könnte sich die direkte MDAX-Platzierung als Kurstreiber erweisen, denn für etliche Investoren ist der Titel wohl noch immer eher eine Unbekannte. Die zuletzt vorgelegten Zahlen des Immobilienkonzerns waren unterm Strich anständig, die Bewertung an der Börse noch immer relativ moderat. Zudem werden Erinnerungen an GSW Immobilien (WKN: GSW111) wach. Die Aktie des Berliner Immobilienkonzerns bekam mit dem Aufstieg in den MDAX im September 2011 ebenfalls Flügel. Im Hinterkopf sollten Anleger allerdings behalten, dass am 1. August 2013 die sechsmonatige Lock-up-Frist der LEG-Großaktionäre endet. Möglicherweise könnte dann von dieser Seite Abgabedruck auf den Anteilschein kommen. Per saldo ist die LEG-Aktie dennoch kaufenswert.
Des einen Freud, des anderen Leid. Da die Zahl der MDAX-Plätze auf 50 limitiert ist, muss wohl HHLA (WKN: A0S848) aus dem Midcap-Index weichen – so zumindest der Tenor der Analysten. Ironie der Geschichte: Im März 2008, gut vier Monate nach dem Börsengang, startete der Hamburger Hafenkonzern ebenfalls direkt aus dem Niemandsland in den MDAX durch und ersetzte dort den Finanzdienstleister AWD. Für HHLA wäre die Notiz im SDAX also ein Novum. Von der drohenden Herabstufung haben sich die Investoren aber nicht verunsichern lassen. Nach dem April-Tief bei 16,30 Euro zog die HHLA-Notiz zuletzt bis auf 19 Euro an. Über die enttäuschende Langfristperformance der Aktie täuscht das aber nicht hinweg. Von dem deftigen Kurseinbruch zur Finanzkrise im Jahr 2008 konnte sich das Papier nicht wirklich erholen, seit Anfang 2011 ist die HHLA-Aktie tendenziell sogar wieder Richtung Süden unterwegs. Die Einschätzungen der Analysten halten sich in etwa die Waage: Neun Experten sagen Kaufen, zehn Halten, achtmal lautet das Votum Verkaufen. Das durchschnittliche Kursziel von 18,50 Euro liegt dabei sogar etwas unterhalb der aktuellen Notiz. Ein Engagement drängt sich nicht auf.
Den für HHLA nötigen SDAX-Platz muss wohl IVG Immobilien (WKN: 620570) hergeben. Die Bonner schocken ihre Anleger mit immer größeren Verlustmeldungen und ächzen unter einem enormen Schuldenberg von 4,2 Mrd. Euro. Zum Vergleich: Der Börsenwert von IVG ist derweil auf 75 Mio. Euro geschrumpft, seit Ende März 2013 ist der Titel nur noch ein Penny Stock. Größere Gegenbewegungen sind nach einem Kursverfall, wie ihn der Spezialist für Büroimmobilien hinnehmen musste – in den vergangenen zwölf Monaten verlor der Titel 80 Prozent an Wert – stets möglich, vorsichtige Investoren meiden den Titel jedoch. Immerhin: Für IVG dürfte der Abstieg aus der Indexfamilie summa summarum wohl eher eine gute Botschaft sein. Schließlich stehen die Bonner als „normaler“ Small Cap nicht mehr so im Rampenlicht der Investoren.
Munter diskutiert wird in der Börsenszene, was mit RTL Group (WKN: 861149) und dem Spezialchemiekonzern Evonik Industries (WKN: EVNK01) passiert, beide haben zuletzt den Weg „über die kalte Küche“ an die Frankfurter Börse gemeistert. Das formale Kriterium eines Listing im streng regulierten Börsensegment Prime Standard erfüllt RTL seit der zusätzlichen Notizaufnahme in Deutschland am 30. April 2013 auf jeden Fall. Unklarheit herrschte zunächst jedoch darüber, wie das Zusatzlisting für die Berücksichtigung bei der Indexentscheidung zu werten sei. Nach neuesten Informationen wird die Aktie der RTL Group bei der anstehenden Indexüberprüfung im Juni aber berücksichtigt. Auf jeden Fall zu beachten ist, wie sich die Handelsumsätze zwischen Luxemburg und Deutschland verteilen. Gemäß der Deutschen Börse AG müssen mindestens ein Drittel der Order via Xetra beziehungsweise Frankfurt laufen. Diese Regelung wurde BB Biotech vor einem Jahr zum Verhängnis. Nach nur einem Quartal schafften die Schweizer jedoch den Sprung zurück in den TecDAX. Börsenbeobachter gehen davon aus, dass sich das Verhältnis bei RTL künftig weiter zu Gunsten Frankfurt/Xetra verschieben wird. Damit hat der Medienriese gute Chancen auf einen MDAX-Platz bereits im Juni. Das würde jedoch bedeuten, dass ein zweites MDAX-Unternehmen neben HHLA seinen Platz räumen muss.
Laut Silke Schlünsen von Close Brothers Seydler stehen insbesondere BayWa (WKN: 519406) und Rational (WKN: 701080) auf der Kippe. Rational bekommt zwar wegen seiner schlechteren Handelsumsätze Abzüge in der B-Note, dafür liegt der Küchenausstatter aber in punkto Börsenwert klar vor Baywa. Im Zweifel dürfte es daher wohl den Agrarhändler und Baustoffkonzern treffen. BayWa war 2009 für den Industrieroboterhersteller Kuka vom SDAX in den MDAX aufgerückt. Sollte Baywa den Weg zurück antreten, müsste das langjährige SDAX-Mitglied MVV Energie (WKN: A0H52F) zittern – wieder einmal. Nur 12,2 Prozent der MVV-Aktien befinden sich im Streubesitz. Größter Anteilseigner des regionalen Stromversorgers ist mit 50,1 Prozent die Stadt Mannheim. 6,3 Prozent hält GDF Suez. Im Vergleich zu den großen DAX-Versorgern RWE (WKN: A703712) und Eon (WKN: ENAG99) sieht die Performance der MVV-Aktie noch ganz anständig aus, wenngleich es seit 2008 tendenziell auch eher abwärts geht. Die Aktie bietet eine Dividendenrendite von rund vier Prozent. Allerdings fand die Hauptversammlung bereits im März statt.
Sollte es zu den beschriebenen Veränderungen kommen, dürfen sich Villeroy & Boch (WKN: 765723) und SHW (WKN: A1JBPV) im Juni dagegen wohl kaum noch Hoffnungen auf einen Eintritt die Indexwelt machen. Der Automobilzulieferer hat nach der Hauptversammlung am 14. Mai eine Gesamtdividende von 4,00 Euro je Aktie gezahlt. Dementsprechend ging es mit dem Kurs nach unten. Für Verunsicherung bei den Investoren sorgen allerdings die überraschenden Wechsel an der Führungsspitze der Aalener. Neu an der Spitze von SHW ist Thomas Buchholz, der von TI Automotive aus Heidelberg kommt. SHW ist vorerst nur eine Halten-Position. Attraktiver ist da schon die Vorzugsaktie von Villeroy & Boch. Die nächsten Zahlen des Keramik- und Badezimmerkonzerns stehen am 18. Juli an. Das Papier ist, auch unabhhängig von der Indexzugehörigkeit, kaufenswert.
Definitiv keine Chance auf eine Berücksichtigung zum Juni-Termin hat Evonik. Erster Handelstag der Essener war der 25. April 2013. Damit verfehlt das Unternehmen die für Indexmitglieder geforderte Mindestzahl von 30 Handelstagen. Umso spannender wird damit wohl der große Umstellungstermin im September. Neben Evonik müssen Investoren dann womöglich noch ganz andere Unternehmen auf die Beobachtungsliste nehmen. Ob beispielsweise das Kursniveau der Commerzbank (WKN: CBK100) ausreicht, um den DAX-Platz zu behaupten, wird derzeit wohl kaum jemand seriös vorhersagen können. Und außerdem stehen noch andere Großkonzerne wie Osram oder die Deutsche Annington vor der Notizaufnahme. In den kommenden Monaten steht die heimische Indexlandschaft also vor einem großen Stühlerücken. Für Anleger können sich dadurch interessante Investmentchancen ergeben.
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