Etwas mehr als zwei Stunden hat der Kapitalmarkttag der DFV Deutsche Familienversicherung am 12. August gedauert. Gut investierte Zeit, denn auf solchen Veranstaltungen bekommt boersengefluester.de einen sehr viel detaillierteren Einblick in die Unternehmen, als es auf den Präsentationen von Kapitalmarktkonferenzen oder auch zur quartalsweisen Berichterstattung möglich ist. Und: Selbst wenn an der Börse alles zu Kleinholz in Form eines Aktienkurses gemacht wird, am Ende sind die Firmen natürlich deutlich komplexer, als es der Standardparcours durch Umsatz, Gewinn und Prognose vermuten lässt. Und mitunter sind es sogar ganz profane Dinge, die im täglichen Geschäft sehr viel präsenter sind als großspurige Visionen. „Der größte Feind der Digitalisierung ist die Heftklammer“, sagt etwa CIO Marcus Wollny bei seinem Vortrag und verweist dabei auf die Schwierigkeiten beim Scan von auf Papier eingereichten mehrseitigen Arztabrechnungen.
Immerhin bekommt selbst ein digital ausgerichtetes Unternehmen wie die DFV allein im laufenden Jahr fast 50.000 Schadenmeldungen per Post eingereicht. Die gute Nachricht an dieser Stelle: Mehr als drei Viertel aller Dokumente finden bereits online den Weg zur DFV. Nicht minder wichtig ist auch der Hinweis, dass der groß angelegte Outsourcing-Prozess der IT mittlerweile abgeschlossen ist. „Alle relevanten Systeme sind auf der neuen Infrastruktur“, sagt Wollny. Für Techfreaks hat Wollny aber auch noch eine andere heiße Info parat: So machen die Frankfurter jetzt nämlich auch in Blockchain – etwa beim DFV-Ticketschutz. Smart Contracts als Grundlage für smarte Versicherungen.
Die Kernbotschaften des Capital Market Days der Deutschen Familienversicherung gehen freilich weit über solche Spezialthemen hinaus: Wichtig aus Anlegersicht ist insbesondere, dass die Gesellschaft ihr bislang auf Krankenzusatz- und Sachversicherungen (inklusive Tierschutz) fokussiertes Versicherungsportfolio Richtung Vollsortimenter ausbauen will. Zunächst geht es um die Verknüpfung von einfachen Basisversicherungen mit Zusatzfeatures wie einem variablen Sparanteil. Am Ende sollen dann aber auch biometrische Risiken wie Todesfall, Pflege oder Berufsunfähigkeit in einem Globalprodukt inkludiert sein. „Wir glauben, dass dies eine hohe Akzeptanz am Markt haben wird“, sagt Vertriebsvorstand Stephan Schinnenburg. Zurzeit laufen die Vorbereitungen für die Zulassung als Lebensversicherer. „Ab 2022 könnte das möglich sein“, sagt CEO und Firmengründer Stefan M. Knoll.
Eng mit der Erweiterung des Produktangebots um tendenziell erklärungsbedürftigere Produkte – aber auch schlicht und ergreifend zur besseren Marktabschöpfung und intensiveren Betreuung von Bestandskunden – hängt der geplante Ausbau von klassischen Vertriebswegen wie Maklerpools und Call Center zusammen. „Unsere Vertriebswege müssen breiter werden“, sagt Knoll und schiebt in einem Atemzug hinterher, dass es sich hier nicht um einen „Paradigmenwechsel“ handelt. Vielmehr sollen Direkt- und Maklervertrieb auf Augenhöhe mit der bisherigen Benchmark Online gebracht werden. Ohne einen ausgeprägten Ritt durchs aktuelle Zahlenwerk sowie den Prognoseteil, geht aber auch der Capital Markets Day der Deutschen Familienversicherung nicht über die Bühne.
Und für diesen Part ist seit Anfang Februar Karsten Paetzmann als neuer CFO zuständig. An dieser Stelle nur soviel: Die gebuchten Bruttobeiträge zogen im ersten Halbjahr um 24,2 Prozent auf 66,674 Mio. Euro an. Das operative Ergebnis lag mit minus 984.500 Euro sehr deutlich unter dem entsprechenden Vorjahreswert von minus 5,98 Mio. Euro. Hervorzuheben ist dabei, dass die Optimierungen auf der Kapitalanlageseite sowie die Verbesserungen im allgemeinen Kostenbereich sich bereits sehr deutlich positiv bemerkbar machen. Andererseits haben höhere Nettoschäden bei der Zahnzusatzversicherung – etwa im Zuge von COVID19-Hygienepauschalen sowie höheren Festzuschüssen – ein noch besseres Abschneiden verhindert. Per saldo ist Paetzmann aber zufrieden mit dem Zwischenabschluss und den vorgelegten Wachstumsraten im Neugeschäft: „Die Zahlen können sich sehen lassen.“
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 70,66 | 66,52 | 90,92 | 114,74 | 155,22 | 183,51 | 119,50 | |
EBITDA1,2 | 2,12 | -2,88 | -2,71 | -7,52 | 2,42 | 4,03 | 7,33 | |
EBITDA-Marge3 | 3,00 | -4,33 | -2,98 | -6,55 | 1,56 | 2,20 | 6,13 | |
EBIT1,4 | 2,12 | -4,10 | -5,20 | -10,56 | -0,81 | 1,67 | 5,72 | |
EBIT-Marge5 | 3,00 | -6,16 | -5,72 | -9,20 | -0,52 | 0,91 | 4,79 | |
Jahresüberschuss1 | 1,48 | -3,34 | -2,10 | -7,43 | -1,70 | 0,99 | 4,16 | |
Netto-Marge6 | 2,09 | -5,02 | -2,31 | -6,48 | -1,10 | 0,54 | 3,48 | |
Cashflow1,7 | 16,62 | 6,63 | 14,33 | 17,67 | 14,62 | 46,35 | 23,40 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,14 | -0,25 | -0,37 | -0,53 | -0,12 | 0,26 | 0,28 | |
Dividende8 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: Deloitte |
Entsprechend bleibt es auch dabei, dass die im Prime Standard gelistete Deutsche Familienversicherung den Verlust vor Steuern für 2021 auf 4 Mio. Euro begrenzen will. Zum Halbjahr steht hier ein Minus von etwas mehr als 991.000 Euro. So gesehen ist die Gesellschaft also gut in der Spur, auch wenn noch einige Investitionen anstehen. Beinahe schon eine Herzensangelegenheit ist es, dem CFO auch mitzuteilen, dass die von der Finanzaufsicht BaFin zwischenzeitlich angezweifelte Fähigkeit der DFV, einen Rechnungszins von 2 Prozent bei der Kalkulation von Pflegetarifen zu erwirtschaften, nun auch zugunsten der Familienversicherung entschieden ist. Jedenfalls bestätigen die Gutachter, dass die Berechnung des Rechnungszinses angemessen war.
Umso bitterer, dass die Frankfurter zum Jahresende 2020 gedrängt worden sind, aus dem Careflex-Konsortium der Chemiebranche auszuscheiden. Immerhin: Der ausgehandelte Rückversicherungsvertrag mit dem Konsortium ist weiter aktuell und liegt zurzeit zur Prüfung bei der BaFin. Ansonsten bleibt es dabei, dass die Aktie der Deutschen Familienversicherung sich zwar vom Careflex-Tief gelöst hat, aber noch immer weit unter den Kurszielen der Analysten notiert. „Der Aktienkurs gibt nicht das wider, was wir wirklich sind“, sagt CEO Knoll. Und auch CFO Paetzmann betont: „Wir sind eine attraktive, seltene Gelegenheit, in ein umfassendes InsurTech-Geschäftsmodell zu investieren.“
Bleibt eigentlich nur, dass sich diese Einschätzung auch an der Börse durchsetzt. Weitere Überzeugungsarbeit kann das Vorstandsteam schon bald leisten, denn allein im September steht die Teilnahme auf vier Kapitalmarktkonferenzen an. Normalerweise sollte das für Auftrieb sorgen, denn die Investmentstory der DFV Deutsche Familienversicherung hört sich in der Tat deutlich besser als der aktuelle Aktienkurs an.
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