Die vor knapp einem Jahr erfolgte Übernahme von Tirendo entwickelt sich immer mehr zum Bumerang für Delticom. So ist die ehemals super saubere Bilanz des SDAX-Unternehmens mittlerweile von hohen Finanzverbindlichkeiten geprägt. Diese Veränderung wäre nicht weiter schlimm, wenn der zugekaufte Berliner Online-Reifenhändler für die gewünschten Ergebnisse sorgen würde. Danach sah es bislang allerdings nicht aus. Im Gegenteil: Verglichen mit dem Marketingbudget und der Mitarbeiterzahl von Delticom kann einem fast schwindelig werden, was Tirendo so alles durchbringt. Kostprobe: Tirendo hatte im ersten Halbjahr ein Werbebudget von 5,3 Mio. Euro, beschäftigte 151 Mitarbeiter, kam auf leicht rückläufige Erlöse von 17,5 Mio. Euro und weist eine negatives Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT) von 7,2 Mio. Euro aus. Dem stehen im Delticom-Konzern (ohne Tirendo) 6,3 Mio. Euro Marketingausgaben, 149 Mitarbeiter, knapp 209 Mio. Euro Umsatz und ein EBIT von 9,3 Mio. Euro entgegen.
Fast schon ein wenig verbittert räumt Delticom im Zwischenbericht ein: „Position in den sonstigen betrieblichen Aufwendungen von Tirendo sind die Marketingaufwendungen. Im zweiten Quartal wurden die Werbemaßnahmen nicht an die schwächere Geschäftsentwicklung angepasst. Gleiches gilt für die Personalaufwendungen.“ Anders ausgedrückt: Im zweiten Halbjahr muss das Management komplett anders agieren. Das wird wohl auch geschehen. Ende Juli hat Delticom die bisherigen Tirendo-Geschäftsführer per Ende 2014 vor die Tür gesetzt (sie werden sich „neuen Herausforderungen stellen“) und mit sofortiger Wirkung durch eigene Manager ersetzt. „Ziel ist es jetzt, die nächste Wachstumsstufe zu zünden und das Unternehmen auf einen profitablen Zukunftspfad zu führen”, kommentierte Delticom-Vorstand Andreas Prüfer damals den Schritt.
Die Skepsis der Börsianer zeigt sich auch im Aktienkurs: Seit der Tirendo-Akquisition im vergangenen September für immerhin rund 50 Mio. Euro hat die Aktie von Delticom um rund 40 Prozent an Wert verloren. Das entspricht einem Verlust an Marktkapitalisierung von 200 Mio. Euro – ein Trauerspiel. Nicht sonderlich erbaulich hört sich derweil der Ausblick der Hannoveraner für 2014 an. „Nachdem die Winterreifennachfrage in den letzten drei Jahren eher enttäuschend verlaufen ist, bleibt abzuwarten, inwieweit sich die Hoffnung des Reifenhandels hinsichtlich eines positiven Wintergeschäfts in diesem Jahr erfüllen kann.“ Dennoch bleibt das Unternehmen bei der Vorhersage, wonach ein Umsatzplus von zehn Prozent möglich sei, obwohl Tirendo bislang nicht so performt wie erhofft. Daher macht der SDAX-Konzern auch eine Einschränkung: „Für die zweite Jahreshälfte ist die Zielsetzung dementsprechend ambitionierter als noch zu Jahresbeginn und basiert auf der Annahme einer gegenüber Vorjahr stärkeren Winterreifennachfrage. In den kommenden Monaten werden wir die Kosten- und Prozessoptimierungen sowohl in Hannover als auch in Berlin weiter vorantreiben.“ Beim Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) strebt der SDAX-Konzern weiterhin den Vorjahreswert von rund 24 Mio. Euro an. Zum Halbjahr kam Delticom hier allerdings erst auf 6,2 Mio. Euro.
Demnach bleibt für Anleger nur die Hoffnung, dass das Delticom-Management das Ruder tatsächlich rumreißen kann. Der Chart sieht alles andere als erbaulich aus und passt sich damit nahtlos an die jüngsten Zahlen an. Andererseits liegen die Fakten nun auf dem Tisch – alle schlechten Nachrichten sind (zumindest aus heutiger Sicht) bekannt. Das macht die Delticom-Aktie womöglich zu einer interessanten Turnaroundspekulation. Vor einem Einstieg sollten Anleger jedoch eine charttechnische Stabilisierung abwarten. Eile ist bei diesem Titel derzeit aber nicht wirklich geboten. Dabei ist es gerade einmal drei Jahre her, dass die Delticom-Aktie zu Kursen um 80 Euro an der Börse gehandelt wurde und ein Vorzeigewert aus dem ohnehin spärlich besetzten heimischen E-Commerce-Sektor galt. Viel vom damaligen Lack ist abgeblättert. Nun heißt die Devise für Neueinsteiger: Kursentwicklung und den weiteren Nachrichtenfluss genau verfolgen. Auch bei Kursen von mittlerweile 25 Euro ist nicht sicher, dass der Abwärtsschub bereits komplett ausgestanden ist.