Es gibt da diesen bekannten Spruch von Altmeister Warren Buffett: „Turnarounds seldom turn“, wonach die an der Börse häufig so beliebten Unternehmen in Umbruchsituationen den Dreh am Ende meist doch nicht schaffen. Zumindest für den Online-Reifenhändler Delticom gilt das scheinbar nicht. Nachdem erst kürzlich eine zuversichtliche Analystenstudie vom Bankhaus Metzler mit Kursziel 15 Euro für deutlichen Schub sorgte, legt nun Delticom mit dem Geschäftsbericht 2020 und dem erhofft guten Ausblick für das laufende Jahr nach. Doch die Gemengelage ist komplex. Zunächst einmal der Blick in den Rückspiegel: 2020 kamen die Hannoveraner auf Erlöse von 541,26 Mio. Euro. Das ist etwas weniger als zuletzt avisiert wofür insbesondere der Lockdown zum Jahresende hin – aufgrund des Winterreifengeschäfts normalerweise eine wichtige Periode im Jahr – verantwortlich ist.
Der signifikante Rückgang gegenüber 2019 hängt indes damit zusammen, dass sich Delticom von unprofitablen Bereichen getrennt hat. Beim Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) kommt Delticom auf 15,04 Mio. Euro – bei einer in Aussicht gestellten Spanne von 14 bis 17 Mio. Euro. Belastend wirkten sich der leicht unter den Erwartungen liegende Umsatz aus, während die Restrukturierungsaufwendungen etwas niedriger als gedacht ausgefallen sind. Die wichtige Botschaft ist indes, dass die markanten Verbesserungen bei den Zahlen im Wesentlichen aus dem operativen Geschäft kommen, da sich Sonderfaktoren im Zuge des Konzernumbaus weitgehend neutralisiert haben. Beim Gewinn nach Steuern von 6,87 Mio. Euro sollten Anleger jedoch beachten, dass hierfür ein positiver Steuerertrag von mehr als 4 Mio. Euro im Zuge der Aktivierung von latenten Steuern auf den vorhandenen Verlustvortrag maßgeblich verantwortlich ist.
Die wichtigsten Finanzdaten auf einen Blick | ||||||||
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | 2022 | 2023 | ||
Umsatzerlöse1 | 667,71 | 645,72 | 625,76 | 541,26 | 585,37 | 509,30 | 475,69 | |
EBITDA1,2 | 9,27 | 9,00 | -6,64 | 15,04 | 17,09 | 15,00 | 20,64 | |
EBITDA-Marge3 | 1,39 | 1,39 | -1,06 | 2,78 | 2,92 | 2,95 | 4,34 | |
EBIT1,4 | 2,04 | 1,09 | -42,05 | 5,36 | 7,06 | 4,22 | 11,52 | |
EBIT-Marge5 | 0,31 | 0,17 | -6,72 | 0,99 | 1,21 | 0,83 | 2,42 | |
Jahresüberschuss1 | 1,12 | -1,70 | -40,78 | 6,87 | 6,81 | 2,81 | 8,03 | |
Netto-Marge6 | 0,17 | -0,26 | -6,52 | 1,27 | 1,16 | 0,55 | 1,69 | |
Cashflow1,7 | 15,38 | -11,71 | -22,45 | 35,89 | 21,93 | -5,52 | 33,06 | |
Ergebnis je Aktie8 | 0,09 | -0,13 | -3,27 | 0,55 | 0,49 | 0,19 | 0,54 | |
Dividende8 | 0,10 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
1 in Mio. Euro; 2 EBITDA = Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen; 3 EBITDA in Relation zum Umsatz; 4 EBIT = Ergebnis vor Zinsen und Steuern; 5 EBIT in Relation zum Umsatz; 6 Jahresüberschuss (-fehlbetrag) in Relation zum Umsatz; 7 Cashflow aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit; 8 in Euro; Quelle: boersengefluester.de Wirtschaftsprüfer: BDO |
Das für 2020 von minus 3,13 auf plus 0,55 je Euro verbesserte Ergebnis je Aktie ist also nur bedingt ein Indikator für die Bewertung des Spezialwerts. Trotzdem: „Der Gesellschaft ist es in einem coronabedingt schwierigen Marktumfeld gelungen, ein Jahr früher als in der Sanierungsplanung vorgesehen, zu einem positiven Konzernergebnis zurückzukehren“, betont der Vorstand. Für das laufende Geschäftsjahr steht ein EBITDA in einer Spanne von 16 bis 20 Mio. Euro auf der Agenda. Rein gemessen am Börsenwert von zurzeit knapp 100 Mio. Euro kommt das Unternehmen also zunächst einmal recht günstig daher. Allerdings drücken noch immer Finanzverbindlichkeiten von insgesamt gut 94 Mio. Euro auf der Bilanz – bei eher überschaubaren Cashbeständen. Spätestens bis Ende 2021 muss hier eine Lösung mit den finanzierenden Banken her.
Zerschlagen hat sich dabei die Hoffnung, dass Delticom das US-Geschäft für einen attraktiven Preis verkaufen kann – obwohl die amerikanische Tochter „gute Erfolge im Umsatz und Ertrag erzielt“, wie es heißt. Unterm Strich wäre eine größere Barkapitalerhöhung wohl die sinnvollste Lösung für Delticom. Der Erfolg solch einer Maßnahme wiederum hängt maßgeblich an der Performance der Aktie. Und hier befindet sich die Gesellschaft durchaus in einer Zwickmühle. Einerseits ist das Potenzial des Small Caps noch längst nicht ausgeschöpft. Andererseits lässt sich kaum valide vorhersagen, ob die Börsenrally auch in drei oder sechs Monaten noch intakt ist. Ideal wäre also ein strategischer Partner, der bei Delticom einsteigt und den Erfolg einer Kapitalerhöhung garantiert. Insgesamt überwiegen für borsengefluester.de aber die positiven Aspekte. Es handelt sich jedoch um eine heiße Wette, die sich nur für sehr risikobereite Investoren eignet. Und außerdem gibt s ja noch diesen Spruch bezüglich Turnaround-Wetten.
Foto: Markus Spiske